French Open in Paris :
Das Tennis-Finale der Hochbegabten

Von Thomas Klemm, Paris
Lesezeit: 3 Min.
Nach dem Einzug ins Finale schreit Iga Swiatek ihre Freude heraus.
Auf der einen Seite steht die Sandplatzprinzessin Iga Swiatek. Auf der anderen Seite steht die Tschechin Karolina Muchova, die immer wieder überrascht. Beide haben Ähnlichkeiten mit Rafael Nadal.

Wir wissen selbstverständlich nicht, ob Rafael Nadal an diesem Samstag daheim vor der Glotze sitzt. Sollte der verletzte Sandplatzkönig die Freizeit, die ihm seine Reha nach der Hüftoperation lässt, aber nutzen und sich das Damen-Endspiel von Roland Garros anschauen, wird ihm einiges bekannt vorkommen. Der Court Phil­ippe Chatrier sowieso, den der Spanier vierzehnmal als Turniersieger verlassen hat. Ebenso die stets parteiischen Tennisfans auf den Rängen, die in diesem Jahr Plakate wie „Rafa, wir vermissen dich!“ herzeigen. Sogar bei den beiden Frauen, die die Turniersiegerin am Samstag ausspielen (von 15 Uhr an auf Eurosport), wird Rafael Nadal einige Ähnlichkeiten mit sich selbst feststellen können.

Da ist hüben die Polin Iga Swiatek, die sich zur Sandplatzprinzessin entwickelt hat und bei ihrer erst fünften Teilnahme schon zum dritten Mal in Paris triumphieren könnte. Nur zwei ihrer bisher 30 Matches hat die Weltranglistenerste dort verloren, wenn es so weitergeht, könnte sie fast Nadal-Niveau erreichen. Und da ist drüben die Tschechin Karolina Muchova, die fast schon über eine ähnlich dicke Patientenakte verfügt wie der Spanier und es ebenfalls immer wieder aufs Neue schafft, entgegen aller Vorhersagen erfolgreich aufzustehen und weiterzuspielen.

„Ich weiß es zu genießen“

Fuß, Rücken, Bauchmuskulatur – die 24-Jährige hatte im vergangenen Jahr mit den gleichen Körperpartien zu kämpfen wie der Schmerzensmann aus Mallorca. Auch sie hat von ihren Doktoren zu hören bekommen, dass sie womöglich nicht länger in der Lage sein könnte, Leistungssport zu betreiben. „Aber ich bin immer zuversichtlich geblieben, habe versucht, weiter an mir zu arbeiten, alle Übungen zu machen und bereit zu sein, zurückzukommen“, sagte sie vor ihrem ersten Grand-Slam-Finale.

Im vergangenen Jahr hatte es Muchova in Paris erwischt. Sie war stark ins Turnier gestartet, dann aber umgeknickt und hatte ihr Drittrundenmatch mit verletztem Sprunggelenk verloren – ähnlich wie der Hamburger Alexander Zverev ein paar Tage später in seinem Halbfinale gegen Nadal. In diesem Jahr hat sie nicht nur ihre Knöchel besser mit Tapes stabilisiert, sondern sie spielt auch mit einer festen Überzeugung. „Nach allem, was ich in der Vergangenheit durchgemacht habe, weiß ich mein Abschneiden hier umso mehr zu genießen“, sagte Muchova, die als fünfte Tschechin in der Profiära in einem French-Open-Finale steht. Vor ihr gelungen war dies Martina Navratilova, Lucie Safarova, Marketa Vondrousova sowie Barbora Krejčíková, die vor zwei Jahren triumphierte.

Dass von Muchova Großes erwartet werden kann, wenn sie gesund ist, hat sie in der Vergangenheit oft angedeutet. 2021 erreichte sie das Halbfinale der Australian Open, in Wimbledon zweimal die Runde der letzten acht. Besonders auffällig ist ihre weiße Weste gegen die Top drei der Welt: 5:0-Siege lautet Muchovas Bilanz gegen jene, die gerade dort oben standen.

Selbstbefragungen in Sekundenbruchteilen

„Das gibt meinem Selbstvertrauen einen Schub“, sagte die Tschechin, die am vergangenen Donnerstag im Halbfinale gegen die aktuelle Weltranglistenzweite Aryna Sabalenka besonders beeindruckte. Bei 2:5-Rückstand im entscheidenden Satz wehrte sie einen Matchball ab und gewann die folgenden fünf Aufschlagspiele. Wirklich verblüfft war die unterlegene Belarussin darüber nicht: „Sie flog ein bisschen unter dem Radar. Aber es ist sehr knifflig, einen Punkt gegen sie aufzubauen.“

Sabalenka gehört zu jenen, die aus ihren begrenzten Möglichkeiten das Maximum herausholen. Muchova ist eine, deren größte Herausforderung es ist, aus dem Höchstmaß ihrer Möglichkeiten eine passende zu finden. Ständig fragt sie sich in einem Match, ob sie nun aggressiv spielen oder lieber einen Stoppball einstreuen, ob sie unterschnitten oder überrissen schlagen, ob sie an der Grundlinie bleiben oder ans Netz gehen solle. Solche Selbstbefragungen in Sekundenbruchteilen während der Arbeit kennt die Tenniswelt von den hochversierten Herren Roger Federer und Grigor Dimitrow.

„Sie erscheint wie eine Spielerin, die alles kann“, sagte Swiatek über Muchova vor dem gemeinsamen Finale. „Ihren Bewegungen zeigen Freiheit.“ Die 21 Jahre alte Polin, die nach Sabalenkas Niederlage nach den French Open auf jeden Fall die Nummer eins der Damenwelt bleibt, muss es wissen: Sie hat in den vergangenen Jahren sehr oft mit Karolina Muchova trainiert. Aber Swiatek kann schon drei Grand-Slam-Titel ihr eigen nennen, sie spielt Tennis wie eine Schachspielerin, die Züge der Gegnerinnen im Voraus berechnet. „Ich bin auf alles vorbereitet“, sagte die Polin. Am letzten Turniertag, am Sonntag, kann Nadal dann zusehen, wer bei den Herren sein Nachfolger wird.