„Lilien“ vor Bundesliga-Abstieg :
Der komplizierte Neuaufbau in Darmstadt

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Tabellenletzter der Fußball-Bundesliga: Darmstadt 98 um Oscar Vilhelmsson
Viel Arbeit für Paul Fernie, den neuen Sportlichen Leiter des Bundesligaklubs Darmstadt 98: Wie will der Brite ein schlagfertiges Fußballteam für die zweite Liga formen?

Von Wiesbaden nach Darmstadt ist es nicht weit. Die beiden Fußball-Stadien trennen nicht mal 50 Kilometer voneinander, was einem gerade besonders gut in den Kram passen dürfte: Paul Fernie, in der vergangenen Woche noch Sportlicher Leiter beim SV Wehen Wiesbaden, wird in der kommenden seinen Job als Sportdirektor beim SV Darmstadt 98 antreten und muss sich zumindest nicht an eine neue Umgebung, Sprache und Kultur gewöhnen.

Genug zu tun gibt es trotzdem. Mitten im April laufen die Planungen für die neue Saison längst. Gespräche werden geführt, Verträge verlängert, Abschiede vorbereitet. Es gilt für den neuen Manager, keine Zeit zu verlieren. Denn in Darmstadt warten gleich mehrere Baustellen. Fernie, das müssen selbst die kühnsten Optimisten konstatieren, wird nach dem 0:4 gegen den FSV Mainz 05 vom vergangenen Wochenende für die zweite Liga planen.

Der Rückstand seines neuen Klubs auf den Relegationsrang beträgt vor dem Heimspiel gegen Freiburg an diesem Sonntag (15.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei DAZN) neun Punkte bei noch sechs ausstehenden Partien. Die „Lilien“ haben seit 21 Begegnungen nicht mehr gewonnen, was wiederum zeigt, wie groß die Arbeit ist, die auf Fernie zukommt.

Darmstadt stellt die mit Abstand schwächste Defensive der Liga. Im Abwehrverbund konnte sich über die gesamte Saison hinweg kaum eine Dreier- beziehungsweise Fünferkette einspielen. Trainer Torsten Lieberknecht wechselte munter durch, probierte zahlreiche Konstellationen aus oder – das muss man ihm zugutehalten – war dazu auch immer wieder aufgrund von Ausfällen gezwungen.

Beste Spiele mit Routiniers

Der für die Rolle als Abwehrchef prädestinierte Christoph Zimmermann, ein Garant für Verlässlichkeit in der Aufstiegssaison, fiel zweimal länger aus und saß zuletzt meist nur auf der Bank. Christoph Klarer hat die meisten Einsatzminuten aus dem Defensivverbund. Der 23 Jahre alte Österreicher besitzt Potential, für die Chefrolle in der Bundesliga war es womöglich aber noch etwas früh. Dass es nach dem Abgang von Patric Pfeiffer gerade in diesem Bereich an Konstanz fehlte, machte die Sache für ihn nicht leichter – und ist einer der Gründe für die Misere.

Fehlende Konstanz gab es aber auch im Mittelfeldzentrum. Ihre besten Spiele machten die „Lilien“ in der Phase, als sie auf die Routiniers Fabian Holland, Tobias Kempe und den Wirbler Marvin Mehlem im Zentrum setzen konnten. Doch auch hier war Lieberknecht immer wieder zu Umstellungen gezwungen. Insgesamt haben die Darmstädter 31 Spieler in der laufenden Saison eingesetzt. Mitaufsteiger Heidenheim kommt auf 21. In der Aufstiegssaison profitierte der Klub noch von einer Achse mit Torhüter Marcel Schuhen, Zimmermann, Kempe, Mehlem und Stürmer Phillip Tietz – ähnlich verlässliche Stützen braucht es auch in der kommenden Saison, um wieder erfolgreicher Fußball zu spielen.

Nach diesem Spiel war vielen klar, dass es für Darmstadt 98 wieder in die zweite Liga gehen dürfte: Die „Lilien“ verlieren in Mainz deutlich.
Nach diesem Spiel war vielen klar, dass es für Darmstadt 98 wieder in die zweite Liga gehen dürfte: Die „Lilien“ verlieren in Mainz deutlich.dpa

Doch die größte Aufgabe bleibt die Stürmer-Suche. Nach dem Abgang von Tietz, der wie Patric Pfeiffer zu Augsburg gewechselt war, haben die „Lilien“ es mit vielen Angreifern probiert: Fraser Hornby und Braydon Manu? Dauernd verletzt. Luca Pfeiffer? Ohne Nebenmann Tietz kaum torgefährlich. Oscar Vilhelmsson? Gute Ansätze, aber noch zu jung und unerfahren für die erste Liga. Und der im Winter gekommene Sebastian Polter? Kam in neun Partien auf eine Vorlage.

Bester Torschütze bei den „Lilien“ ist Tim Skarke mit acht Treffern. Dahinter folgen mehrere Akteure mit drei Toren, unter ihnen auch Mehlem. Fernie wird alles daran setzen, ihn und Skarke zu halten. Ob das gelingt, scheint jedoch fraglich. Beide liebäugeln mit der ersten Liga.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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Genügend Gestaltungsspielraum gibt es für den neuen Sportdirektor. 17 Verträge, inklusive die der Leihspieler, laufen aus. Auf den Neuen kommt auch hier viel Arbeit zu. Die Verantwortlichen trauen ihm den Job zu, weil Fernie „über ein sehr gutes Netzwerk“ verfüge, wie Präsident Rüdiger Fritsch unlängst sagte.

Der in dieser Woche 37 Jahre alt gewordene Engländer spielte selbst nie als Profi, begann seine Karriere als Jugendtrainer bei Leeds United und arbeitete dann sieben Jahre lang bei vier verschiedenen Klubs in England als Scout. Später wurde er erst Leiter der Scouting-Abteilung beim SV Wehen Wiesbaden und bekleidete selbigen Posten dann auch bei den New York Red Bulls für zwei Jahre, ehe er als Sportlicher Leiter nach Wiesbaden zurückkehrte.

„Er hat in der Vergangenheit bereits bewiesen, dass er dank ungewöhnlicher und kreativer Lösungen immer wieder Wege findet, auch ohne ein immenses Budget erfolgreich zu arbeiten“, sagt Fritsch. Kontakte in eine Weltstadt wie New York, den Red-Bull-Kosmos und nach England. Das liest sich gut. Entscheidend für die Verpflichtung dürfte aber etwas anderes gewesen sein: Fernies Verdienste vor der Haustür in Wiesbaden.