Darmstadt 98 vor dem Abstieg :
„Es ist ein extrem bitterer Tag“

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Augen zu – und durch: Lieberknecht und die „Lilien“ nehmen langsam Abschied aus der Bundesliga.
Nach dem 0:4 in Mainz gibt sich „Lilien“-Trainer Torsten Lieberknecht keinen Illusionen hin. Nicht mehr aus der Fußball-Bundesliga abzusteigen, wäre für Darmstadt 98 „ein mehr als großes Wunder“.

Als Torsten Lieberknecht am Samstag auf dem Podium im Mainzer Pressekonferenzraum Platz nahm, atmete er tief durch. Für ein paar Sekunden rutschte der Darmstädter Fußballtrainer unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Seine Miene war ernst in Blickrichtung der Medienvertreter. Monatelang hatte Lieberknecht als Frontmann nach außen unbeirrt und tapfer die Rolle des Daueroptimisten beim Abstiegskandidaten Nummer eins eingenommen. Der Klassenverbleib, der Sprung auf den Relegationsplatz 16, sei trotz der langen Sieglosserie der „Lilien“ immer noch machbar, lautete beharrlich seine Botschaft. Der 50-Jährige zeigte im Misserfolg Haltung.

Das tat er nach dem 28. Spieltag und dem deprimierenden 0:4 bei Mainz 05 wieder. Nur diesmal konnte der 50-Jährige in trüben Tagen keine Hoffnung mehr verbreiten. „Wir müssen realistisch sein“, sagte Lieberknecht. Nun nicht mehr abzusteigen, „wäre ein mehr als großes Wunder. Es wird sehr, sehr schwer“, gab er aus nachvollziehbaren Gründen zu. Sechs Runden vor dem Saisonende liegt der Tabellenletzte neun Punkte hinter Mainz (Rang 16). Außerdem haben die „Lilien“, die Paul Fernie (SV Wehen Wiesbaden) als neuen Sportlichen Leiter auserkoren haben, im Tabellenkeller – Siebzehnter ist Köln – das mit Abstand schlechteste Torverhältnis. Die Darmstädter können sich nichts mehr vormachen, bald wird ihre Erstligazugehörigkeit endgültig Vergangenheit sein.

Seit 21 Spielen sind die Südhessen jetzt ohne Sieg, das ist die drittlängste Negativserie der Bundesliga-Geschichte. Nach dem Abpfiff in der Mainzer Arena mussten sich die Geschlagenen und tief Getroffenen dementsprechend einiges anhören: „Auf Wiedersehen!“ skandierten gegnerische Anhänger mit Häme. Von der Tribüne gab es auch „Absteiger“-Rufe, als die geknickten und in der Begegnung chancenlosen SVD-Profis in den Katakomben verschwanden.

Bartol Franjic und Emir Karic schauten auf dem Weg in die Kabine zu Boden. Teamkollege Thomas Isherwood blieb kurz vor der Tür stehen und fasste sich vor Enttäuschung an den Kopf. „Es ist ein extrem bitterer Tag“, sagte Fabian Holland stellvertretend für seine Mitspieler. Wie der Kapitän sagte auch Vereinspräsident Rüdiger Fritsch, dass die Darmstädter die Tabelle „lesen“ könnten. Mehr wollte er in diesem Moment nicht kundtun. Für die Bewertung im Fachbereich Sport verwies der Funktionär auf den Trainer.

Jetzt, da Darmstadts Tage in der Bundesliga wohl gezählt sind, sprach Torsten Lieberknecht in eigener Sache von einem „sehr, sehr enttäuschenden Tag“. Für die Mainzer hingegen sei es „ihr Tag“ gewesen – „für ihre Reise, um in der Liga zu bleiben“. Der Samstag war auch der Tag, an dem Heidenheim die Bayern trotz eines 0:2-Rückstands bravourös 3:2 besiegte. Darmstadts Mitaufsteiger, auf Platz zehn notiert, hat schon 19 Punkte mehr als der SVD gesammelt. Wie ist das möglich? Eine „kleine Erklärung“, so Lieberknecht, sei, dass die Heidenheimer starke Spieler wie Tim Kleindienst und Jan-Niklas Beste hätten halten können, der SVD den nach Augsburg abgewanderten Torjäger Phillip Tietz aber nicht. „Vielleicht hatte Heidenheim auch ein Quäntchen mehr Glück.“ So oder so: „Wir müssen respektvoll nach Heidenheim schauen“, sagte Lieberknecht.

Der erste Samstag im April war der Tag, an dem der Trainer Rechenschaft über die Zusammenstellung des „Lilien“-Aufgebots ablegen sollte. War die Qualität des Kaders zu schlecht oder sei das Potential nicht ausgeschöpft worden, lautete die Frage eines Reporters. Es kämen „viele Aspekte zusammen, da in die Tiefe zu gehen, fällt mir gerade schwer“, antwortete Lieberknecht. Auf einen Aspekt ging er doch näher ein: den des plötzlichen Abgangs des ehemaligen Sportlichen Leiters Carsten Wehlmann, der im Dezember seinen Vertrag fristgerecht zum 31. März gekündigt hatte. „Fakt ist, dass sich bei uns auch personell in der Verantwortung komplett etwas verschoben hatte in der Winterpause. Zwei Tage vor Einreichung der Kündigung sitzt du zusammen und hältst eine neunstündige Kaderplanungssitzung ab. Und zwei Tage später ist der Sportliche Leiter dann auf einmal so weit, dass er den Verein verlassen möchte“, sagte Lieberknecht. Ende Dezember stellten die Darmstädter den heute in Kiel arbeitenden Wehlmann mit sofortiger Wirkung frei. Unter dem Strich seien es „ein paar Dinge“ gewesen, „die erschwerend hinzukamen“, teilte der Trainer mit. Sie kosteten auch ihn Kraft in harten Zeiten.

Einfacher wird es für ihn in Zukunft wohl nicht. Trotzdem will Lieberknecht „weitermachen, ja, ich bringe die Kraft auf“, betonte er. Er wird als in vielerlei Hinsicht stark beanspruchte Führungskraft abermals vorangehen und die Richtung vorgeben. „Es geht jetzt darum, als Team zusammenzuhalten und unsere Aufgabe sauber und sorgfältig zu beenden. Wenn wir uns verabschieden müssen, dann mit einer gewissen Würde.“ Und so nahm der Trainer seine Spieler am für den SVD so schlimmen Spieltag in Schutz. Gegen Begriffe wie „Auflösungserscheinungen“ oder „Katastrophe“, die Lieberknecht zu hören bekam, wehre er sich „vehement. In der zweiten Halbzeit war mit dem 0:2 unser Energielevel aufgebraucht und der Stecker gezogen. Wir wollten alles auf eine Karte setzen, hatten dann aber wenig Defensivarbeit“. Dass es am Ende 0:4 stehe, „tut noch mal mehr weh“, sagte Lieberknecht. Der Samstag war der Tag der großen Leiden für die „Lilien“.