2:0 in Frankreich :
Die Nationalelf macht endlich wieder Spaß

Von Tobias Rabe, Lyon
Lesezeit: 4 Min.
Freudentaumel nach der frühen Führung: Wirtz und die Kollegen
Gegen Frankreich geht die deutsche Nationalmannschaft dank eines Anstoßtricks schon nach acht Sekunden in Führung. Auch in Halbzeit zwei geht es schnell. Der Auftakt ins Jahr der Heim-EM gelingt eindrucksvoll.

Als Julian Nagelsmann vor dem Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zum Thema der Woche befragt wurde, verortete er den emotional diskutierten Ausrüsterwechsel des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) von Adidas zu Nike vom Jahr 2027 an als „nicht meine Baustelle. Meine ist das tägliche Geschäft auf dem Platz“. Und dort hat er, das wurde am Samstagabend in Lyon überraschend deutlich, weniger Probleme, als nach den düsteren Niederlagen im November befürchtet. 2:0 siegten die Deutschen und machten Hoffnung, dass der Fußballsommer 2024 doch ein guter werden könnte.

Florian Wirtz gelang nach acht Sekunden das schnellste Tor der deutschen Länderspiel-Geschichte, Kai Havertz erzielte den zweiten Treffer gleich zu Beginn der zweiten Halbzeit. Genau 83 Tage vor dem Eröffnungsspiel des kontinentalen Championats im eigenen Land traten nicht die Franzosen, sondern die Deutschen wie der nächste Champion auf. „Wir können sehr zufrieden sein“, sagte Toni Kroos im ZDF: „Ich denke, dass wir einen guten Schritt nach vorne gemacht haben, einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht haben. Weil es so langsam die letzten Chancen sind, sich Richtung EM ein bisschen Gefühl zu holen.“

Selten hatte es um eine deutsche Aufstellung vor einem Spiel so wenige personelle Fragezeichen wie am Samstag gegeben. Nagelsmann hatte seine Wunschelf schon im Training am Donnerstag durch die Einteilung visuell und am Freitag verbal verraten. Mit dabei waren Marc-André ter Stegen im Tor, der den wieder verletzten Manuel Neuer vertrat und das auch am Dienstag (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zu Länderspielen und bei RTL) in Frankfurt gegen die Niederlande tun soll, Debütant Maximilian Mittelstädt links hinten, Robert Andrich als Nebenmann von Toni Kroos und Kai Havertz als Spitze.

Ein Rekordtreffer von Wirtz

Der Schiedsrichter hatte nach einer Schweigeminute für die verstorbenen Franz Beckenbauer und Andreas Brehme gerade angepfiffen, da wurde es schon wieder ganz ruhig im Groupama Stadium. Nach acht Sekunden schlug der Ball im französischen Tor ein. Havertz hatte den Anstoß zu Kroos geschoben, der sich um die eigene Achse drehte und den freien Wirtz fand. Der lief ein paar Meter und überraschte Torwart Brice Samba mit seinem Schuss aus 22 Metern. So schnell hatte noch nie ein deutscher Nationalspieler getroffen; Lukas Podolski brauchte 2013 gegen Ecuador neun Sekunden.

Auch danach ließ sich der Spielverlauf gut am Klangteppich unter den knapp 60.000 Zuschauern in Lyon verfolgen. Als Wirtz am linken Flügel durchlief und Musiala fand, dessen Abschluss zu schwach war, war es ganz still (5. Minute). Nagelsmann klatsche dennoch. Dem Bundestrainer gefiel, was er sah. Laut wurde es nur, wenn Kylian Mbappé loszog, doch zunächst hatte der Star aus Paris wenig Fortune. Vielmehr bestimmten die Deutschen die ersten zwanzig Minuten durch ihre Stafetten der ballsicheren Kroos, İlkay Gündoğan, Musiala und Wirtz. Dem Publikum gefiel das nicht; es pfiff.

Erst danach wich die Enttäuschung über die Dominanz des Gastes. Marcus Thuram gab den ersten Torschuss der Franzosen ab (20. Minute). Da wurde es wieder laut, aber es war eher ein Aufstöhnen, dass der Ball doch deutlich über das Ziel hinausschoss als ein Freudenruf über die erste Annäherung. Doch es sollten fast im Minutentakt weitere folgen. Mbappés Rechtsschuss, nachdem sich Joshua Kimmich verschätzt hatte, flog knapp am Tor vorbei (22.), ein Kopfball von Adrien Rabiot flog über ter Stegens Tor (23.), und wiederum Mbappé scheiterte mit einem Lupfer am deutschen Torwart (25.).

Sind das wirklich die Deutschen?

Jetzt waren auch die Franzosen knapp drei Monate vor Beginn der EM im Länderspieljahr 2024 angekommen. Doch die deutsche Elf des EM-Jahrgangs scheint widerstandsfähiger zu sein als die Elf, die sich vor vier Monaten mit einem 2:3 gegen die Türkei und einem 0:2 in Österreich in den Winter verabschiedet hatte. Das lag nicht zuletzt an Kroos, den Rückkehrer von Real Madrid in seinem ersten Länderspiel seit fast drei Jahren. Wie er die Seinen immer wieder mit Wirtz, Musiala und Gündoğan über technisch hochwertige Kombinationen aus dem französischen Druck befreite, war sehenswert.

Die Stärke in diesem deutsch-französischen Freundschaftsspiel speiste sich auch aus der Kraft, die die drei Leverkusener Wirtz, Andrich und Jonathan Tah ihrer Elf gaben. Das Selbstverständnis, das sie in ihrer in dieser Saison ungeschlagenen Mannschaft entwickelt haben, zeigte sich auch im Spiel ihrer Nationalmannschaft. Und wer gedacht hatte, nach der Halbzeit würden auch die Franzosen mal so richtig ihre Muskeln spielen lassen, sah sich getäuscht. Denn schon schnell wurde es wieder ruhig.

Havertz‘ erster Versuch flog noch vorbei, der zweite nach der Pause landete im Netz. Der Weltklasse-Pass von Wirtz fand den in die Spitze laufenden Musiala. Der umkurvte Torwart Samba und legte mit aller Übersicht in die Mitte; Havertz musste nur noch vollenden (49.). Waren das in den weißen Shirts, die beeindruckend auftraten, tatsächlich die Deutschen und die in den blauen Trikots die Franzosen, die gemeinhin als Favorit auf den EM-Titel gelten. In Zeiten, in denen die Ausrüster allerhand neue Hemden mit gewöhnungsbedürftigen Farbkombinationen vorstellen, sollte man genauer hinschauen.

Applaus für Kroos

Wer lieber hinhörte, bemerkte deutsche Gesänge im Oberrang und französische Pfiffe, abgelöst von lauten „Giroud“-Rufen. Die Fans forderten mit Olivier Giroud den Rekordtorschützen. Nachdem die Schüsse von Ousmane Dembele (55.) und Aurelien Tchouameni (58.) vorbeigingen, erfüllte Didier Deschamps den Wunsch seines Fußballvolkes und wechselte gleich vier Spieler aus und ein, darunter auch Giroud. Kurz zuvor stand Bundestrainer Nagelsmann ebenfalls im Fokus. Er sah vom spanischen Schiedsrichter Jesus Gil Manzano die erste Gelbe Karte des Spiels wegen Meckerns.

Die nächsten sahen Andrich und Mbappé. Der Deutsche hatte den Franzosen gefoult, der revanchierte sich. Danach wurde wieder gewechselt. Nagelsmann nahm den Spieler des Spiels, Wirtz, vom Rasen und brachte den Stuttgarter Chris Führich, für Gündoğan kam Thomas Müller. Am Kräfteverhältnis auf dem Rasen änderte sich dennoch wenig. Mittelstädt hätte beim Debüt seine gute Leistung mit einem Tor gekrönt, doch Samba hielt (79.), genau wie gegen Versuche von Müller und Undav (81.). Schon da waren fast nur noch die wenigen deutschen Fans zu hören mit ihren Siegesgesängen in Lyon.

Als Mittelstädt der Ball nach einer Flanke von Mbappé beim Klärungsversuch an die Hand sprang und Antonio Rüdiger danach auf der Linie klärte, hatten die Deutschen nochmal einen bangen Moment zu überstehen, doch der Schiedsrichter gab auch nach Rücksprache mit dem Videoassistenten keinen Strafstoß (89.). Girouds artistischer Schuss segelte ebenfalls am Tor vorbei (90.+1). Den akustischen Höhepunkt hatte es schon kurz zuvor gegeben. Als Kroos, der so viele Bälle magisch angezogen und weitergeleitet hatte, ausgewechselt wurden, klatschten sogar die französischen Fans mehrheitlich.