Hoeneß beim F.A.Z.-Kongress :
„Wenn auf mich gehört würde, gäbe es die AfD nicht“

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Offen, selbstkritisch, meinungsstark und fordernd: Uli Hoeneß (links) beim F.A.Z.-Kongress im Gespräch mit Sportredakteur Christopher Meltzer.
Uli Hoeneß, Ehrenpräsident des FC Bayern, spricht auf dem F.A.Z.-Kongress über die Trainerwahl der Münchner, die Investorenfrage im deutschen Profifußball und die allgemeine Unzufriedenheit im Land.

Graue Eminenz – diese Bezeichnung mag Uli Hoeneß gar nicht. Ausgerechnet mit diesen beiden Worten endete seine Vorstellung auf dem F.A.Z.-Kongress in Frankfurt, auf dem er am Freitag sprach. Der Titel des etwa 60-minütigen Gesprächs mit F.A.Z.-Sportredakteur Christopher Meltzer lautete: „Wem gehört der Fußball, Uli Hoeneß?“ Aber zunächst wollte er etwas klarstellen: „Die Mär muss aufhören, ohne mich würde beim FC Bayern gar nichts gehen. Das ist nicht ganz richtig.“ Das Publikum im Saal Okzident im Frankfurter Kap Europa spürte den Hauch von Selbstironie, der im Wörtchen „ganz“ lag, und lachte.

Seit 2009 schon leitet der 72 Jahre alte Schwabe nicht mehr das operative Geschäft des deutschen Fußball-Rekordmeisters, und immer noch wird ihm zugetraut, die Geschicke des Klubs maßgeblich zu lenken, obwohl er seit 2019 auch nicht mehr Klubpräsident und Aufsichtsratsvorsitzender ist, sondern „nur noch“ Ehrenpräsident und einer von neun Aufsichtsräten: „Aber mitreden werde ich immer, sonst müsste man mich rausschmeißen.“

Damit beschreibt Hoeneß sein Wirken als Mitglied der Runde, in der die richtungsweisenden Entscheidungen des FC Bayern besprochen werden. Dazu gehören die Sportliche Leitung mit Max Eberl und Christoph Freund, Präsident Herbert Hainer, der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen und Finanzvorstand Michael Diederich. „Da diskutieren wir, und wenn einer der Entscheider zum Beispiel den neuen Trainer überhaupt nicht ertragen kann, dann kommt er nicht. Aber dieses Recht habe nicht nur ich, das haben Herbert Hainer und die anderen auch.“

Wie einst Gerd Müller nahm Meltzer die Steilvorlage von Hoeneß auf: „Lassen Sie mich nicht hängen, sagen Sie uns, wer wird denn nun der neue Bayern-Trainer, nachdem so viele Namen im Spiel waren?“ Hoeneß holt aus: „Das Pingpongspiel, das von der ein oder anderen Zeitung veranstaltet wird, ist des FC Bayern unwürdig. Und es ist auch nicht so, dass wir gleichzeitig mit drei Leuten verhandelt hätten. Das tun wir nicht. Erst wenn der eine Kandidat absagt, wird mit dem nächsten gesprochen.“

Hoeneß: „Xabi Alonso hat Charakter“

Hoeneß, der als Spieler zwischen 1970 und 1979 in 239 Bundesligabegegnungen 86 Tore schoss und je dreimal Europapokalsieger der Landesmeister und deutscher Meister wurde, bestätigt, dass der Leverkusener Trainer Xabi Alonso die erste Wahl des Gremiums gewesen sei. „Meine Frau hat gleich gesagt: Wenn er Charakter hat, kommt er nicht, und wenn er keinen Charakter hat und zusagt, dann ist er nicht der richtige Trainer für euch. Und sie hat wie immer recht behalten“, erzählte Hoeneß: „Alonso sagte uns: ,Wir haben unser Masterpiece gemacht, viele Spieler sind wegen mir gekommen, ich kann den Verein jetzt nicht verlassen.‘“

Durch die Absage sei der FC Bayern aber nicht als Verlierer zu bezeichnen: „Xabi Alonso hat einen Vertrag in Leverkusen bis (zum Sommer, d. Red.) 2026, wir haben höflich angefragt, er hat abgesagt, weil er Charakter hat, er wäre zu keinem anderen Verein gegangen.“ Nicht weiter schlimm, sagte Hoeneß: „Dadurch hat er sich qualifiziert, später einmal Trainer des FC Bayern zu werden.“

„Spieler auch mal in den Arm nehmen“: Nach seinem Plädoyer für Trainer mit Empathie lässt Hoeneß gegenüber F.A.Z.-Lesern die gewünschte Nähe zu.
„Spieler auch mal in den Arm nehmen“: Nach seinem Plädoyer für Trainer mit Empathie lässt Hoeneß gegenüber F.A.Z.-Lesern die gewünschte Nähe zu.Frank Röth

Als Nächster sei Julian Nagelsmann angesprochen worden. „Aber nicht durch mich und Kalle Rummenigge, sondern durch die neue Sportliche Führung mit Max Eberl und Christoph Freund, die das übrigens sehr gut machen, nachdem wir zugegebenermaßen unruhige Zeiten in der Führung hatten.“ Einige Zeit hätten Eberl und Freund geglaubt, dass Nagelsmann kommen würde, der es dann aber vorzog, Bundestrainer zu bleiben. „Wenn Deutschland bei der EM erfolgreich ist, war es die richtige Entscheidung von Julian“, sagte Hoeneß, „wenn er scheitert, ist es eine Katastrophe.“

Also wurde ein Dritter gefragt: Ralf Rangnick, der Bundestrainer der Österreicher, bestätigte jedenfalls die Kontaktaufnahme. Der Stand der Dinge bei der Trainersuche? „Ich denke, wir werden innerhalb einer Woche eine Entscheidung haben“, erklärte Hoeneß. Konkreter mochte der Ehrenpräsident nicht werden. Meltzer versuchte ihn zu locken: „Ist denn Ihre Frau mit Rangnick einverstanden?“ Seine Antwort nach kurzem Lachen: „Sie hat eine neutrale Haltung eingenommen, was seine Chancen nicht verringert.“

„Dieser Satz gilt nicht mehr“

Hoeneß behielt seine Lockerheit, als er auf die unliebsame Tatsache angesprochen wurde, dass sein Herzensverein erstmals nach elf Jahren nicht mehr das Maß aller Dinge im deutschen Ligafußball ist. Ganz sportlich zollte er Bayer Leverkusen und auch dem VfB Stuttgart für ihre Arbeit Lob: „Der deutsche Fußball ist in der Spitze besser als sein Ruf. Es gilt nicht mehr der Satz, dass es dem deutschen Fußball schlecht geht, wenn es den Bayern schlecht geht.“

Auch die jüngsten beiden Länderspiele unter Nagelsmann machen Hoeneß Hoffnung: „Wenn Julian die Initialzündung durch die Siege gegen Frankreich und die Niederlande auf die EM übertragen kann und wenn das durch weitere Erfolge der Vereine im Europapokal begleitet wird, dann kann wieder eine richtige Euphorie um den deutschen Fußball entstehen.“ Im Moment jedoch vermisst er die Vorfreude in Deutschland auf die Europameisterschaft im eigenen Land. „Das war vor der WM 2006 anders. Aber diesmal hat der DFB ja auch Erfahrung und keine Leute von Weltruf mehr, die so etwas richtig aufziehen können.“

Kritik auch am FC Bayern

Nach dem Seitenhieb in Richtung Verband legte er auch bei seinem Verein die Finger in die Wunde. „Bis vor ein, zwei Jahren lief alles glatt. Die Meisterschaften wurden relativ locker geholt, in der Champions League alle Vorrundenspiele gewonnen – da scheint eine gewisse Sattheit in den Verein eingedrungen zu sein. Wir hatten zu wenige junge, ehrgeizige Spieler, die von hinten nachgedrängt haben.“ Als Zeichen der Saturiertheit der erfahreneren Spieler nannte er die geringe Anzahl von Gelben Karten gegen das Bayern-Team und die schlechte Defensiv-Zweikampfquote. „Es wurde immer auf die Abwehr geschimpft, aber die beginnt für mich im Sturm. Wir haben einfach nicht nach hinten gearbeitet, das Mittelfeld war zu oft ein „Open Village“. Es sei auch ein Fehler gewesen, Julian Nagelsmann weggeschickt zu haben.

Und jetzt? Mit welchem sportlichen Konzept soll die Spitzenstellung in Deutschland zurückerobert und der Kampf gegen die wirtschaftlich potenteren Klus aus England sowie Real Madrid bestanden werden? Für Hoeneß geht es nur über die Nachwuchsarbeit. „Wir können einmal 100 Millionen Euro für einen Harry Kane ausgeben, vielleicht noch einmal für einen deutschen Spieler, aber nicht vier- oder fünfmal.“ Deshalb sei auch Christoph Freund als Sportdirektor geholt worden. „Er hat für Red Bull Salzburg einen Transferüberschuss von über 600 Millionen Euro erwirtschaftet, das ist der Ansatz für Bayern. Freund kennt jeden guten jungen Spieler auf der Welt.“

Jahrelang hätten es die Bayern gut gemacht, mit weniger Geld genauso gut zu arbeiten wie die von Investoren unterstützten und durch hohe TV-Einnahmen gesegneten englischen Klubs: Dazu komme Real Madrid, das vom Staat am Leben erhalten werde. „Real kann 500 Millionen Schulden haben, bevor es pleitegeht, geht Spanien pleite.“ Nun werde die Lücke aber immer größer. Spieler wie Musiala und Pavlovic seien die Zukunft. „Und auch Florian Wirtz ist ja noch ein Nachwuchsspieler“, merkte Hoeneß an, der ein großer Fan des 20 Jahre alten Leverkusener Nationalspielers ist. Er meinte Wirtz, als er sagte, dass die Bayern noch mal 100 Millionen für einen deutschen Spieler hinlegen könnten.

Das soll die wichtigste Tugend des künftigen Trainers sein

Der Wille und die Fähigkeit, junge Profis geduldig bis in die Weltklasse zu fördern, müsse, so Hoeneß, die wichtigste Tugend des zukünftigen Bayern-Trainers sein: „Ich habe mit Thomas Tuchel gar kein Problem, er war ein paar Mal beim uns zum Essen, das waren schöne Abende, alles okay. Aber er hat eine andere Einstellung. Er meint nicht, dass man einen Pavlovic verbessern kann, dass man den Davies verbessern kann. Wenn es nicht weitergeht, dann kaufen wir. Das kann nicht die Lösung sein. Ich bin der Meinung, wir müssen mal ein, zwei gute Spieler kaufen, aber den Spielern, den wir haben, Selbstvertrauen geben und hart an denen arbeiten.“

Hoeneß erzählt von Giovanni Trapattoni, Bayern-Trainer in den Neunzigerjahren: „Er hat unserem Verteidiger Sammy Kuffour immer wieder die einfachsten Dinge beigebracht. (...) Ich fragte Trapattoni, warum. Seine Antwort: Ich bin Fußball-Lehrer.“ Genau das erwartet Hoeneß von einem Trainer: „Dass er  Spieler verbessert und sie zwischendurch in den Arm nimmt.“

Für Hoeneß ist es keine Option, die wirtschaftlichen Nachteile gegenüber den Premier-League-Klubs durch eine weitere Öffnung gegenüber Investoren auszugleichen. In der Bundesliga müssen die Vereine mindestens 50+1 Prozent der Anteile behalten, mehr als 49 Prozent der Anteile dürfen also nicht an Investoren gehen. „Wir bei den Bayern haben für uns sogar die Regel 30+1, an die wir uns halten. Im Moment sind 25 Prozent auf die Investoren Adidas, Allianz und Audi verteilt.“ Es sei zurzeit nicht einmal angedacht, die fünf Prozent Spielraum noch zu nutzen. Die Bundesliga insgesamt würde aber, so Hoeneß, attraktiver, wenn 50+1 aufgehoben würde.

Investoren – bei diesem Thema reagieren viele deutsche Fußballfans allergisch, und viele Klubs werden bei ihren Entscheidungen von der Stimmungslage der Anhänger beeinflusst. Der Antrag, dass die DFL acht Prozent der Marketingeinnahmen für einen Zeitraum von 20 Jahren an einen Investor abtritt und mit dem Kapital in Digitalisierung und eine Verbesserung der gemeinsamen Auslandsvermarktung investiert, wurde abgelehnt. Für Hoeneß ein Fehler. „Wir müssen aufpassen, dass das Machtvolumen der Fans nicht in die falsche Richtung läuft. Es geht ihnen oft nicht um die Sache, sondern nur darum, ihre Meinung durchzusetzen und sich zu produzieren. Ich bin überzeugt, dass von den Leuten, die bei den Protesten Tennisbälle aufs Spielfeld warfen, viele nicht wussten, warum sie es taten.“ Fußball sei ein Geschäft und müsse professionell betrieben werden: „Wenn die Premier League bei der Auslandsvermarktung zwei Milliarden einnimmt und die Bundesliga nur 150 Millionen Euro, dann kann etwas nicht stimmen und muss geändert werden.“ Karl-Heinz Rummenigge und er seien wild entschlossen, „künftig mehr Einfluss innerhalb der DFL auszuüben“.

Insgesamt habe er jedoch das Gefühl, dass der deutsche Fußball zu negativ gesehen werde. Und das gelte für viele Dinge in Deutschland. „Für mich ist das Glas immer halb voll, für 90 Prozent der Deutschen halb leer. Warum? Ich bin viel auf der Welt rumgekommen. Ein sozialeres, ehrlicheres Land habe ich nicht gesehen.“ Die allgemeine Unzufriedenheit und auch so mancher Anspruch seien ihm unverständlich: „Die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich zu fordern, verstehe ich nicht. Die Überlegung sollte in die Richtung gehen, mehr zu arbeiten. Viele Leute auf der Welt wären froh, bei uns arbeiten zu dürfen.“

Hoeneß ist bewusst, dass er mit so mancher Einstellung aneckt. Und er weiß auch, dass sein Einfluss begrenzt ist. Als ein Zuhörer seine Frage mit dem Satz einleitet: „Auf Sie, Herr Hoeneß, wird in Deutschland ja gehört“, unterbricht er sofort: „Wenn auf mich gehört würde, gäbe es die AfD nicht.“ Was aber kein Grund für ihn ist, seine Meinung nicht weiter zu vertreten.