CDU-Streit um Marschflugkörper :
Kiesewetter wirft Kretschmer Doppelmoral vor

Von Stefan Locke, Dresden
Lesezeit: 2 Min.
Michael Kretschmer in der Sächsischen Staatskanzlei
Sachsens Ministerpräsident lehnt deutsche Marschflugkörper für die Ukraine ab – und erntet damit heftige Kritik aus der eigenen Partei. CDU-Außenpolitiker Kiesewetter macht Kretschmer schwere Vorwürfe.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat mit seiner strikten Ablehnung der Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine harsche Kritik geerntet. „Mit Deiner Haltung zerfällt die Ukraine und Putin setzt den Krieg gegen Moldau und die baltischen Staaten fort“, reagierte CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter auf der Plattform X direkt auf Kretschmer. Millionen Ukrainer würden dann ihre Heimat verlassen und auch in Sachsen Wohnraum verknappen. „Dann kannst Du Deine Wiederwahl und die CDU Sachsen zurecht vergessen.“

Zuvor hatte Kretschmer der Bundesregierung mit Blick auf Überlegungen, der Ukraine nun auch Marschflugkörper zu liefern, vorgeworfen, „immer wieder selbstgesetzte rote Linien“ zu überschreiten. Stattdessen verlangte er „nach neuen, intensiven diplomatischen Initiativen des freien Westens“, um den russischen Krieg in der Ukraine zu beenden. Deutschland habe eine „verantwortungsvolle, kluge und ausgewogene Außen- und Sicherheitsstrategie“ gehabt. „Wollen wir wirklich in Kauf nehmen, dass deutsche Raketen in Russland einschlagen könnten?“ Er sei „ganz klar gegen die Lieferung von Marschflugkörpern“.

„Ich bin enttäuscht wie entsetzt!“

Kiesewetter entgegnete, dass es sich nach Übergabe um ukrainische Raketen handele. Er fragte Kretschmer in Anspielung auf die Herstellung von Mi­krochips in Dresden, warum er hinnehme, dass mit Infineon-Chips aus Sachsen, die in russischen Raketen verbaut werden, ukrainische Kinder und Familien getötet würden. „Warum hast Du eine doppelte Moral?“, ging Kiesewetter Kretschmer direkt an. „Ich bin enttäuscht wie entsetzt!“

Am Wochenende hatte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung aufgedeckt, dass sich trotz der Sanktionen gegen Russland Halbleiter aus westlicher Produktion, darunter von Infineon, in von Russland gegen die Ukraine abgeschossenen Raketen befinden. Die Bauteile gelangen offenbar über Drittländer sowie eine lange Kette von Zwischenhändlern an das russische Militär.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, antwortete Kretschmer, dass niemand mit deutschen Waffen Russland angreifen wolle. Es gehe darum, das tägliche Sterben in der Ukraine zu stoppen. Er sei kommende Woche in Dresden und habe sein Notizbuch dabei, kündigte Makejew an, „für den Fall, wenn Sie den vom Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, initiierten Friedensprozess mit Ihren Ideen ergänzen möchten“.

Kretschmer hatte sich seit Kriegsbeginn mehrfach gegen die Lieferung schwerer Waffen sowie für mehr Diplomatie ausgesprochen. Seitdem steigt in Umfragen auch wieder seine Beliebtheit bei den Sachsen, die während der Pandemie stark gefallen war. So ist inzwischen rund die Hälfte der Einwohner mit der Arbeit des Ministerpräsidenten, der eine schwarz-grün-rote Koalition führt, zufrieden. Zugleich kann Sachsens CDU bisher auch ihren Vorsprung vor der AfD behaupten, was für die Landtagswahl im Herbst 2024 bedeutsam ist.