Kolumne „Uni live“ :
Können wir „Columbia“ noch guten Gewissens auf den Lebenslauf schreiben?

Von Franziska Sittig
Lesezeit: 4 Min.
Propalästinensischer Protest an der Columbia
Wegen antisemitischer Vorfälle wird nun auch gegen meine Universität, die etablierte Columbia in New York, ermittelt. Ein Diskurs findet kaum statt. Und wir Studis fragen uns, wie das zu einer Elite-Uni passt.

Seit einigen Wochen wird nun auch gegen meine Uni, die etablierte Columbia University in New York City, ermittelt – wegen des schockierenden Ausmaßes an antisemitischen Vorfällen, die sich in den letzten Monaten zugespitzt haben und Columbias unzureichender Antwort darauf. Das US-Repräsentantenhaus konstatiert in seinem Untersuchungsbericht, dass Columbia in seiner Pflicht, dem Schutze aller Studenten nachzukommen, versagt hat.

Parallel dazu haben verschiedene jüdische Alumni- und Studentenverbände sowie Einzelpersonen die Columbia University verklagt. Damit reiht sich mit Harvard, dem MIT und der University of Pennsylvania eine weitere amerikanische Elite-Uni in gerichtliche Klageverfahren wegen Antisemitismus ein. Das wiederum bringt mehrere tieferliegende Krisen ans Licht.

Zum einen haben Unis, der wichtigste Ort für freien und toleranten Diskurs, zu dem gehört, sowohl seine Meinung jederzeit äußern zu dürfen als auch sich mit unbequemen Gesichtspunkten der Gegenseite auseinanderzusetzen, diesen ureigenen Zweck fast vollends verloren. So scheint es zumindest, wenn es nicht mehr möglich ist, offene und wissenschaftliche Diskurse über die Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts oder die jüdische Identität zu führen, weder im Klassenraum noch untereinander. Ich habe selbst mehrmals erlebt, wie ich nach einem „Let’s talk about this” binnen Sekunden abgekanzelt wurde und sich keine einzige Person auf einen Dialog eingelassen hat.

Verbale und körperliche Gewalt

Das ist allerdings nichts dagegen, was meine jüdischen Freunde derzeit durchmachen müssen. Der Untersuchungsbericht des US-Repräsentantenhauses listet auf, was antisemitische Columbia-Studentengruppen online posten „(Wenn ich sage, dass der Holocaust nicht besonders war, dann meine ich das so“, „Ich wünschte, wir könnten Zionisten kennzeichnen, dass wir sie und ihre Läden aktiv vermeiden können - vielleicht mit dem Davidstern?“), was auf am Campus vorbeifahrenden Trucks geschrieben steht ( „Israel is the new Nazi Germany“ und „Israel steals Palestinian organs“), oder welche Vorfälle körperlicher Gewalt jüdische Studenten auf dem Campus durchmachen. Verbale Angriffe mitten im Unterricht gehören anscheinend auch dazu und stammen auch von hier lehrenden Professoren selbst.

Als eine Studentin etwa zugab, dass ihre Familie aus Israel stammt, entgegnete der Professor, dass es eine Schande sei, dass ihr Volk damals überlebt habe, nur um jetzt Genozid betreiben zu können. Ein anderer Professor hier, der schon seit Jahren für seine offenkundig antisemitische Haltung bekannt ist, bezeichnete den 7.Oktober in einem Online-Artikel als „glorreich” und „wunderbar”, und verglich den palästinensischen Widerstand – sprich, das Massaker der Hamas – mit dem damaligen europäischen Widerstand gegen die Nazis. Zu guter Letzt bekleckerte sich ein dritter Columbia-Professor mit Ruhm, als er im November vergangenen Jahres schrieb, dass alles vor dem 7. Oktober nur eine Aneinanderreihung von Daten und Fakten eines mörderischen Kolonialprojekts gewesen sei. Jeder, der Zionist sei, also an das Existenzrecht des Staates Israels glaube, würde automatisch einen „rassistischen Apartheid-Staat“ befürworten.

Meine israelische Freundin rennt weinend aus dem Klassenzimmer

Hiermit kommt eine weitere Krise des Wissenschaftsbetriebs zum Vorschein – der seit Jahrzehnten verwurzelte und mittlerweile institutionalisierte Antisemitismus in Forschung und Lehre, der sein hässlichstes Gesicht ab dem 7. Oktober gezeigt hat. Es scheint nun fast lächerlich, der jahrelangen Forderung von akademischer Diskurskultur und Toleranz an Unis nachzukommen, wenn nicht einmal mehr die rein physischen Sicherheitsstandards für eine Gruppe von Studenten gegeben sind.

Wenn „Jude“ unter Studenten als Schimpfwort gilt, meine israelische Freundin weinend aus dem Klassenzimmer rennt ob der Kommentare, die sie sich zu Israel hat anhören müssen, oder sich jüdische Studierende von vornherein nicht mehr auf den Campus trauen, können wir Columbia, Harvard und Co überhaupt noch mit gutem Gewissen auf den Lebenslauf schreiben? Eigentlich hatten wir, jüdische und nicht-jüdische Studenten aus aller Welt, uns auf eine Top-Ausbildung an einer Top-Uni gefreut. Nun haben wir das Gefühl, um den Wert unserer Ausbildung betrogen zu werden.

Mir ist bewusst, wie schwer die Geschehnisse im Nahen Osten wiegen, mir ist bewusst, dass beide Seiten der Studenten unmittelbare Verwandte und Freunde durch den Konflikt verloren haben, trauern, vollkommen am Ende sind. Man hat natürlich das Recht dazu, das Vorgehen der israelischen Regierung zu kritisieren.

Universitäre Bildung wird ihres Wertes beraubt

Doch umso weniger Grund gibt es dann doch für eine akademische Community, jüdische Studierende in den USA kollektiv haftbar für das Geschehen in Gaza zu machen. Umso weniger Grund gibt es, die Debatte in eine Richtung zu steuern und die Vielfalt aller anderen Stimmen militant zu unterdrücken. Umso weniger Grund gibt es, universitäre Bildung, die eigentlich pulsierend sein sollte und neugierig auf intellektuelle Herausforderung, ihres Wertes zu berauben.

Der 7. Oktober ist für jüdische, aber auch nicht-jüdische Studenten in den USA ein Schicksalstag gewesen. Er hat sowohl uralten Antisemitismus in neuem Gewand als auch die Verweigerung einer toleranten, akademischen und vor allem friedlichen Debattenkultur der höchsten universitären Institutionen ans Licht gebracht. Man kann nur hoffen, dass deutsche Universitäten, die das dunkelste Kapitel von Judenhass und Intoleranz schon einmal erlebt haben, es sich dieses Mal eine Lehre sein lassen.

Franziska Sittig, 22 Jahre alt, ist Studentin der Columbia University in New York. Seit diesem Semester absolviert sie dort einen Auslands-Master in „European Politics“. Schon länger fragt sie sich, was das Studium mit unseren Beziehungen anstellt.