Kolumne „Uni live“ :
Generation Spaßbefreit

Von Franziska Sittig
Lesezeit: 4 Min.
Wofür sich unsere Generation am liebsten die Nächte um die Ohren schlägt: arbeiten.
Von wegen arbeitsfaule Gen Z: Die Leistungsbereitschaft meiner Generation lässt jugendliches Mal-über-die-Stränge-Schlagen so selten werden, dass sich schon unsere Eltern und Professoren darüber lustig machen.

Es ist Samstagabend 20 Uhr im schillernden New York City, ich bin eigentlich gleich mit einem Kumpel in einer Bar verabredet. Lieber würde ich allerdings im Bett chillen und mir eine ZDF-Dokumentation über das Kaiserreich anschauen oder einfach gleich schlafen gehen. Klingt eher nach etwas, was meine Eltern, wenn nicht gar Großeltern machen würden. Ich bete dreimal zu Gott, dass für heute Abend noch eine Absage kommt. Ein „Ja, du hast recht, verschieben wir es lieber“ auf mein höflich-gequältes „Mach dir gar keinen Stress, können es echt auch wann anders machen“. Dann hätte ich den Samstagabend für mich. Nichts wünsche ich mir sehnlicher, als möglichst viel Zeit insbesondere zum frühen Schlafen zu haben.

Am nächsten Morgen frage ich meine beste Freundin am Telefon, ob sie diese Situation kennt, dass man am Wochenende um 20 Uhr ins Bett will, anstatt noch sozialen Aktivitäten nachzugehen, geschweige denn wilde Partys zu feiern. „Ja safe, gefühlt jeden Tag“, kommt die Antwort. Im Laufe des Gesprächs kommen wir darauf, dass die totale Erschöpfung bei uns tatsächlich schon ab der Hälfte des Tages einsetzt: „Sobald ich mich eine Minute aufs Bett setze, schlafe ich direkt ein.“ Ich frage mich laut, ob wir für unser Alter unnormal sind. Wir sogenannten Early Twenties sollten vor Energie und Elan sprühen und uns nicht nach verfrühter Einweisung in die Seniorenresidenz sehnen. Oder uns nach einem Glas Wein bei Freunden nicht erst mal hinlegen müssen, weil man mittlerweile so wenig verträgt. Early Twenties sollten nicht, wie zum Beispiel ein anderer Freund von mir, jeden Morgen um Punkt 5.30 Uhr automatisch aufwachen – und aufstehen.

Doch in der Tat, die meisten Menschen in meinem Umfeld sagen Ähnliches über ihren Tagesablauf: früh aufstehen, arbeiten oder studieren, abends ohne Umschweife direkt ins Bett. Zu Partys will man nur gehen, wenn sie nicht wesentlich länger als eine Stunde dauern. Wach bis drei Uhr bleibt man mittlerweile nur für die Uni oder Arbeit. Alkohol wird von vielen vermieden, wo es geht, schließlich zeigen neueste Studien allesamt, dass jedes einzelne Glas Alkohol schon zu viel ist. Auch meinem Vater rate ich gewissenhaft und etwas altklug, das abendliche Rotweinglas der Gesundheit wegen doch lieber häufiger durch Traubensaft zu ersetzen; besonders im Alter könne man schließlich nicht genug aufpassen.

An Silvester um 0.05 Uhr nach Hause

Noch mal – es geht nicht nur mir so. Viele Vertreter der Gen Z, so mein Eindruck, verhalten sich auf fast satirische Weise mustergültig und gewissenhaft. An meinem Geburtstag kürzlich trank zum Beispiel fast jeder von uns maximal einen (alkoholfreien) Cocktail, und als eine einzige Freundin der Runde etwas beschwipst zu kichern anfing, drehten wir uns zu ihr und starrten sie ungläubig an. An Silvester wollten meine Freunde und ich, nach einem halb ausgetrunkenen Glas Sekt und einem halb beendeten Feuerwerk, um 0.05 Uhr schon nach Hause, was höchste Verwunderung selbst bei meinen Eltern auslöste, die wesentlich später als wir heimkamen. Das hier sind nur meine deutschen Freunde.

Man sollte meinen, dass die Situation in New York etwas lockerer ist (Come on, it’s New York!), doch hier nimmt man mehr Leistungspillen als sonst irgendwelche Drogen. Das repräsentiert einen generellen Trend in den USA, der sich teilweise schon in der Highschool abzeichnet: Studenten lassen sich reihenweise Pillen verschreiben, die eigentlich etwa für ADHS gedacht sind, um länger durchlernen zu können. Vorzugeben, dass man unter Konzentrationsschwierigkeiten leidet, reicht für den zuständigen Arzt oft schon aus, um Adderall und Co. zu verschreiben. Das Hochgefühl, das sich meine Generation verschafft, kommt nicht durch Alkoholsausen oder Partydrogen wie Koks oder Heroin, sondern mithilfe hoch dosierter und medizinisch anerkannter Aufputschmittel, die einen zwölf Stunden ungestört arbeiten lassen. Ein Hochgefühl verschaffen einem keine Feiernacht und kein Mushroom-Trip, sondern wenn man es hinkriegt, eine Hausarbeit innerhalb eines halben Tages einzureichen, für die man sonst wesentlich länger brauchen würde.

Unsere Rebellion ist nicht mehr ins Auto kotzen

Man muss nicht besonders komplex denken, um zu verstehen, dass diese Dauererschöpfung, diese Sehnsucht, bis es endlich 20 Uhr und Bettzeit ist, stark vom Leistungswillen oder vielmehr -druck rührt. Kein Wunder, dass aus uns eine 20-Uhr-Generation zu werden scheint, wenn wir 20-Stunden-Tage aushalten müssen oder zumindest meinen, aushalten zu müssen. Jedenfalls trifft das auf meine „Bubble“ zu, auf uns ambitionierte Akademiker, vielleicht aber auch auf ambitionierte junge Fachkräfte aus Handwerk und Co., die spüren, wie ihre Generation immer kleiner wird und immer mehr auffangen muss.

Und wenn man körperlich eigentlich nicht mehr kann, dann müssen eben Amphetamine herhalten und daheim in Deutschland Ritalin oder Koffeinpillen, weil die US-Medikamente in den meisten europäischen Ländern unter das Betäubungsmittelgesetz fallen und entsprechend verboten sind. Unsere Rebellion ist nicht mehr ins Auto kotzen oder gegen die Eltern aufbegehren. Uns geht es ums Durcharbeiten bis 3.30 Uhr, notfalls mithilfe von als Leistungspillen missbrauchten Medikamenten, um trotz null Stunden Schlaf am nächsten Tag zu funktionieren und am Samstagabend als Ausgleich um 20 Uhr schlafen zu gehen.

Wenn wir uns dann schon so anstrengen und unsere letzte spaßige Partynacht gefühlt im Jahr 2013 mit „Gangnam Style“ hatten, wäre es schön, von den werten Vorgängergenerationen, die sich in unserem Alter zu LSD und Spice Girls vergnügt haben, nicht permanent als arbeitsfaule und überempfindliche Generation Schneeflocke eingestuft zu werden oder aber damit aufgezogen zu werden, dass wir ja gar keinen Spaß mehr verstehen. Vielleicht sollten unsere Eltern und Professoren uns 2000er-Kids mal eine Einführung geben, wie man richtig Party macht, mit Fünf-Uhr-morgens-Heimkommen und Jägermeister-Shots (sind die noch in?). Wenn wir mal wieder richtig durchmachen und mit Fahne zur Vorlesung auftauchen – sofern wir nicht gerade bis 13 Uhr unseren Rausch ausschlafen –, dann nehmen uns die Senioren vielleicht wieder ernst. Auf der anderen Seite scheint sich mein Dad meine wertvollen Tipps mittlerweile zu Herzen zu nehmen. Wenig bis keinen Alkohol, nicht bis Mitternacht aufbleiben, dafür früh aufstehen. Ich bin stolz auf ihn, er wird anscheinend endlich erwachsen.

Franziska Sittig, 22 Jahre alt, ist Studentin der Columbia University in New York. Seit diesem Semester absolviert sie dort einen Auslands-Master in „European Politics“. Schon länger fragt sie sich, was das Studium mit unseren Beziehungen anstellt.