Kolumne „Uni live“ :
Klebrige Angewohnheiten

Von Lina von Coburg
Lesezeit: 4 Min.
Muss hier wirklich immer alles rumstehen? Küche einer Studenten-WG
Immer diese Mitbewohner und ihre seltsamen Marotten: rumkrümeln, Müllberge hinterlassen, Gemüse komisch stapeln. Muss das alles eigentlich sein? Ja, muss. Ist schließlich eine WG. Die Kolumne „Uni live“.

Mit 19 Jahren bin ich aus meinem Elternhaus aus- und in meine erste WG eingezogen. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich mit meinen Eltern und meinen Möbeln vor dem mehrstöckigen Wohnhaus parkte, einen Transporter mit all meinen Habseligkeiten im Schlepptau. Noch heute höre ich meine Mutter laut aufschreien, als sie die totgebackene Pizza mit dem verblichenen Pappuhrzeiger, die als WG-Uhr umfunktioniert war, über der Küchentür erspähte, sehe sie, wie sie angewidert Essenreste aus dem Abflusssieb in den Mülleimer kippt und mit ihrem Zeigefinger Staub von den Fensterbrettern wischt.

All das war mir damals egal. Mit meinem neuen Zimmer in der zugegebenermaßen eher heruntergekommenen Vierer-WG lernte ich erstmals eine Freiheit kennen, die ich niemals wieder hergeben wollte. Eltern, die mich nicht fragten, mit wem ich mich traf, langes Ausschlafen und Aufräumen, wenn ich gerade Lust darauf hatte. Meine Mitbewohner, alle schon im Masterstudium und wesentlich älter als ich, wurden rasch zu Freunden. Kneipentouren, lange Gespräche an unserem runden Küchentisch und die ausufernden WG-Partys wurden fester Bestandteil meines Studi-Lebens – und ich genoss es in vollen Zügen.

Dieser Umzug liegt nun fast sechs Jahre zurück. Mittlerweile wohne ich nicht mehr in meiner ersten WG, die ich in den vier Jahren, die ich dort wohnte, lieben gelernt habe. Stattdessen hat es mich in eine andere Vierer-WG verschlagen, studienbedingt sogar in eine andere Stadt. Auch in dieser Wohnung verstehe ich mich mit meinen Mitbewohnern eigentlich sehr gut. Tägliches Quatschen in der Küche, gemeinsames Stöhnen über Uni-Abgaben oder Filmabende versüßen mir mein manchmal sehr stressiges Studi-Leben immer wieder. Außerdem ist die Wohnung, in der wir leben definitiv ein Upgrade: Sie ist um einiges sauberer und neuer. Die Pizza-Uhr ist einer richtigen Küchenuhr gewichen und in der Spüle kleben auch keine Essensreste von vor fünf Tagen.

Krümel und Papiermüll

Mit der schickeren WG bin ich selbst jedoch auch penibler geworden. Während es mir in der alten Wohnung und mit Anfang zwanzig noch egal war, ob ich zwischen ungewaschenen Töpfen und Soßenflecken meine Hausarbeiten tippte, regte ich mich nun im Stillen darüber auf, wenn mein Mitbewohner beim Essen krümelte oder der Papiermüll mal wieder überquoll. Der eine putzte mir zu wenig, der andere hatte die nervige Angewohnheit, Dinge auf eine ganz bestimmte Art und Weise im Gemüsefach anzuordnen. Mitunter regte ich mich über diese Dinge, eigentlich Kleinigkeiten, so sehr auf, dass ich wütend meine Eltern anrief und minutenlang über die Marotten meiner Mitbewohner lamentierte.

Bestimmt bin ich mit solchen Empfindungen nicht allein. Schließlich entwickeln viele Menschen je älter sie werden, das Bedürfnis nach einem schönen und den eigenen Vorstellungen entsprechenden Zuhause. Außerdem ist ein Zusammenleben mit anderen, egal wie bereichernd es sein mag, auch immer mit Spannungen und Kompromissen verbunden.

In manchen Fällen können solche Spannungen sogar so weit führen, dass jemand ausziehen muss. So kam beispielsweise eine Freundin von mir mit dem Gefühl nicht zurecht, niemals allein zu sein und sich alles teilen zu müssen – und zog nach wenigen WG-Monaten wieder in eine Einzimmerwohnung. Eine andere Kommilitonin zog mit ihren Kindheitsfreundinnen zusammen und zerstritt sich mit einer von ihnen so sehr, dass nicht nur die WG, sondern auch ihre Freundschaft daran zerbrach.

Ein bisschen Glück gehört dazu

Manchmal entscheidet wohl auch ein bisschen Glück über die Frage, ob es in der WG mit Freundinnen oder noch unbekannten Menschen tatsächlich so rosig läuft, wie man es sich ausmalt. Was jedoch in jedem Fall hilft, ist eine gewisse Toleranz gegenüber den Eigenheiten der anderen. Natürlich gibt es auch Dinge, die man in einer WG nicht tolerieren muss. Beispielsweise, wenn Mitbewohner stehlen oder Dinge mutwillig zerstören. Allerdings handelt es sich bei solchen Fällen glücklicherweise nur um Ausnahmen, meistens reibt man sich ja doch an Kleinigkeiten. Und das ist auch völlig normal. Es kommt bloß darauf an, wie man mit eben solchen Konflikten umgeht. Spreche ich die Dinge an oder ärgere ich mich nur heimlich darüber? Bin ich bereit Kompromisse einzugehen?

So habe auch ich nach einigen Monaten und mehrfachen Gesprächen mit meinen Mitbewohnern erkannt, dass ich nur zwei Möglichkeiten habe: Entweder rege ich mich weiterhin über ihre Eigentümlichkeiten auf, gefährde dann aber im Zweifel unser Miteinander. Oder ich mache mich von dem Gedanken frei, dass alles blitzeblank sein muss. Letzten Endes entschied ich mich für die zweite Option und konnte so nicht nur den WG-, sondern auch meinen persönlichen Seelenfrieden wiederherstellen. Auch meine Mitbewohner bemühten sich nach diesen Gesprächen, die Arbeitsfläche in der Küche sauber zu halten oder den Boden zu wischen. Und wenn ich mich heute doch mal über etwas ärgere, bleibt mir immer noch die Möglichkeit in mein Zimmer zu gehen und die Tür zu schließen. In meinen eigenen vier Wänden kann ich immerhin alles genau so machen, wie ich es möchte.

Auch wenn ich es ungerne zugebe, habe ich währende meines WG-Daseins noch etwas gelernt: Und zwar, dass auch ich einige Eigenheiten habe, die andere nerven können. Aber sind wir mal ehrlich: Wer hat die nicht, diese kleinen Marotten?