Künstlerin Valie Export :
Plauderstunde mit einer Rebellin

Von Freddy Langer
Lesezeit: 5 Min.
Identitätstransfer: Valie Exports Selbstporträt mit Strumpfhalter-Tattoo „Body sign B.“ von 1970
Ein halbes Jahrhundert feministischer Avantgarde: Die großartige Retrospektive der österreichischen Künstlerin Valie Export bei C/O Berlin.

Valie Export ist eine kleine Frau, vierundachtzig Jahre alt und nicht mehr allzu gut zu Fuß. Die Stufe zur Bühne nimmt sie nicht ohne helfende Hand, aber kaum, dass sie zu reden beginnt und Fragen nicht knapp beantwortet, sondern ausholt tief in die Geschichte und sich nicht zurückhält mit scharfer Kritik an der Gegenwart, begreift man, weshalb sie in ihrer Retrospektive in der Berliner Fotohalle C/O unter den hundert und mehr Bildern, für die sie sich im Laufe des Lebens für ihre „Selbstaufnahmen“ Modell gestanden hat, nur die Spiegelung ihres Kopfes über einem Vulkan mit „Selbstporträt“ betitelt hat.

Noch immer brodelt es in dieser Frau, dieser frühen Rebellin einer feministischen Avantgarde, die in den Sechzigerjahren zum ersten Mal für Verstörung sorgte und mit ihren radikalen Ideen bis heute keine Ruhe gibt. „Valie“, sagte am Ende des Künstlergesprächs in Berlin eine andere ältere Frau aus dem Publikum, „Valie, du hast uns allen mit der Vielfalt deiner Arbeiten so viele Wege eröffnet und gewiesen, dafür sind wir dir für immer dankbar.“ Es war Gabriele Stötzer, eine andere lebende Legende feministischer Kunst.

Gabriele Stötzer hatte in der DDR als künstlerischen Ausdruck ihrer tief empfundenen Verbitterung gegenüber den gesellschaftspolitischen Zuständen als brutalst mögliche Sinnbilder ihren nackten Leib übermalt, verdreht und verschnürt bis über die Schmerzgrenze hinaus und wurde ihrer kritischen Diskurse wegen erst vom Studium exmatrikuliert und später im Frauengefängnis Hoheneck inhaftiert. Valie Export wurde nach mehr als einer ihrer Performances von Polizeiwagen abgeholt und hat in Wien einige Zeit zumindest über Nacht in Zellen verbracht. Radikale Kunst ist nichts für schwache Seelen. Und nichts für unsichere Regierungen.

Die Wiederentdeckung einer ganzen Generation von Fotokünstlerinnen, die ihren Missmut buchstäblich am eigenen Leib abgearbeitet hat, mag im weiteren Sinn damit zu tun haben, dass „Selfstaging“ wieder eine große Rolle in der Fotografie unserer Tage spielt, auch wenn sich die jungen Frauen heute mit einem anderen Selbstverständnis den Themen und dem eigenen Körper zuwenden. Und sie verdankt sich im engeren Sinn der Sammlung Verbund aus Wien, für die Gabriele Schor die Avantgarde dieser Bewegung im großen Stil zusammengetragen hat und seit einigen Jahren in Wanderausstellungen präsentiert: als Zusammenkunft von Riesinnen, auf deren Schultern sich die junge Generation nun eingerichtet hat.

Kunst als Forschungsarbeit

Dass sie eben keine Vorbilder hatte und schon gar nicht in der Kunst der Männer, sagt Valie Export heute, sei der Grund für ihre Radikalität. Kunst sei für sie Forschungsarbeit gewesen. Dabei war ihre Absicht, Dinge zu verändern, in erster Linie auf die gesellschaftliche Situation der Zeit mit ihren spießbürgerlichen Geschlechterkonventionen gerichtet und viel weniger auf den Verlauf der Kunstgeschichte, auch wenn sie tradierte Formen von Kunst immer wieder aufbrach. Damit aber die Kunst wahrgenommen wurde, zumal Kunst von Frauen, musste sie laut sein, sagt sie. Musste um jeden Preis auffallen. Allemal verstören. „Wir wollten Aggressionen provozieren“, fasste sie das zusammen. „Das Ziel war Anarchie.“ Ebendiese hemmungslose Bedingungslosigkeit ist es, die dem Werk bis heute seine Kraft verleiht, eine Wucht, die Valie Export noch immer aufzugreifen in der Lage ist. Oder wie sie es im Gespräch lakonisch formuliert: „Die Kunst ist in mir drinnen. Die kann ich doch nicht weggeben.“

Dann schildert sie in knappen Sätzen einen Werdegang, der sich von der strengen Mutter, einer autoritären Kriegerwitwe, über den Besuch einer katholischen Klosterschule bis zum Studium an der Textilfachschule in Wien resümieren lässt als ein Aufwachsen zwischen Vorschriften und Verboten. Und ganz langsam, sich mehrmals verbessernd und mit ihrer für das Thema viel zu freundlich österreichischen Dialektfärbung rezitiert sie ein Gedicht, das sie als Teenager geschrieben habe und in dem bereits ihre ganze Programmatik enthalten ist: „Das Wort ist Gott / das Wort ist ein Mann / das Wort bin ich.“

Aber natürlich hat sie es beim Wort nie belassen; im Gegenteil. Es waren herbe Auftritte, mit denen sie das Publikum verwirrte und verschüchterte, etwa als sie sich für „Genitalpanik“ rund um den Reißverschluss ein riesiges Loch in ihre Jeans schnitt und sich in dieser Hose durch die Reihen eines Kinos zwängte; als sie sich in Wien eine Pappschachtel mit zwei Löchern vor die nackten Brüste schnallte und Passanten aufforderte, hineinzugreifen; oder als sie ihren damaligen Lebenspartner Peter Weibel an einer Leine durch die Wiener Innenstadt hinter sich herzog, er auf allen vieren wie ein Hund. Das waren bissige Kommentare zu den damals von Männern bestimmten Rollen der Frau, die aber an Aktualität kaum eingebüßt haben und in denen Valie Export die Gender- und MeToo-Debatten von heute vorweggenommen hat. Wie sie überhaupt ihrer Zeit stets voraus war.

Die erste wahrhafte Medienkünstlerin?

Als sie sich 1968 für die Bildreihe „Identitätstransfer“ in ihrem Atelier in zahlreichen Verkleidungen fotografierte, war Cindy Sherman vierzehn Jahre alt. Mit ihren autoaggressiven Gesten und der Auseinandersetzungen mit Schmerz im Jahr 1973, für die sie unter anderem nackt zwischen nicht isolierten Stromkabeln zunächst hindurchlief, am Ende aber erschöpft und geschunden nur noch krabbeln konnte, war sie Marina Abramovics „Body Limits“ zwei Jahre voraus. Schon dreizehn Jahre bevor die Guerrilla Girls fragten, ob Frauen nackt sein müssten, um ins Museum zu kommen, hatte Valie Export 1976 die Haltungen nackter Frauen auf berühmten Gemälden der Renaissance nachgestellt. Und die skurrilen Posen, die heute die erfolgreiche holländische Fotografin Melissa Schriek von ihren Modellen zwischen Bordstein und Straße verlangt, hatte Valie Export 1982 in Wien am Heldenplatz und dem Justizpalast eingenommen, als sie sich unbequem und unter Schmerzen mit ihrer Haltung den Vorgaben der Architektur von Macht anpasste – man muss nur aussprechen, was sie tat, um zu verstehen, was sie meinte.

ALIE EXPORT – SMART EXPORT, Selbstportrait, 1970
ALIE EXPORT – SMART EXPORT, Selbstportrait, 1970VALIE EXPORT, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Doch belässt es die umfassende Retro­spektive, von Walter Moser ursprünglich für die Albertina in Wien zusammengestellt, nicht bei der Dokumentation hintergründiger Auftritte. Vielmehr hebt sie hervor, mit welchem Scharfsinn Valie Export stets der Frage nach den Möglichkeiten der medialen Umsetzung nachging und auf diesem Weg eben doch auch die Kunstgeschichte mehr als einen Schritt nach vorne brachte. Nur die Malerei lehnte sie ab mit der Begründung, es sei längst alles gemalt. Stattdessen reichen ihre Auseinandersetzungen von fotografischen Sequenzen über Experimente mit dem 8-mm-Film bis zu Videoarbeiten. Womöglich kann man Valie Export als die erste Medienkünstlerin überhaupt bezeichnen.

Ihr wichtigestes Medium aber war der Körper als Zeichenträger zivilisatorischer und gesellschaftlicher Systeme, nicht nur durch die höhnisch zur Schau gestellte Tätowierung eines Strumpfhalters auf dem Oberschenkel. Sie benutzte ihn stets schonungslos als Werkzeug und setzte ihn bisweilen auch als Waffe im Kampf gegen das Schubladendenken und für Gleichberechtigung ein. Auf die Frage am Ende des Künstlergesprächs in Berlin, ob sie denn irgendetwas von ihrer Vision einer gesellschaftlichen Umwälzung über die Dogmen des Feminismus hinaus umgesetzt sähe, wurde Valie Export ein Moment lang still. Es sei viel erreicht worden, sagte sie langsam, fügte allerdings umso schneller an, dass sie nicht wenig Angst davor habe, all das könne im Rahmen rechter und rechtsradikaler Politik demnächst wieder zurückgefahren werden. Dann lächelte sie ins gebannt lauschende Publikum: „Immerhin! Eine Plauderstunde wie diese jedenfalls wäre in den Sechzigerjahren undenkbar gewesen.“

Valie Export – Retrospektive. C/O Berlin; bis 21. Mai. Der Katalog kostet 49 Euro.