Faith Ringgold gestorben :
Kunst als Mittel der Befreiung

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Faith Ringgold, 1930 bis 2024
Die Malerin, Performerin und Aktivistin Faith Ringgold war eine der wichtigsten Stimmen der afroamerikanischen Gegenwartskunst. Jetzt ist sie dreiundneunzigjährig gestorben.

„Die Menschen waren einander sehr nahe, kämpften für ihre Freiheit und unterstützten einander. Ich fühlte, dass ich etwas zu sagen hatte, und ich wollte es sagen.“ So beschrieb Faith Ringgold einmal ihre Anfänge in der schwarzen Befreiungsbewegung der Sechzigerjahre. Sie vereinte als Künstlerin viele Medien – Malerei, Performance, das Knüpfen von Quilts – und war gleichzeitig Aktivistin und Kinderbuchautorin.

Geboren 1930 in Harlem als Tochter eines Lastwagenfahrers, besuchte Ringgold das öffentliche City College und wurde Kunstlehrerin. So konnte sie Kunst studieren – als Hauptfach war das Frauen an der Hochschule noch verwehrt. Ringgolds Werke befassten sich von Anfang an mit Rassismus und den Erfahrungen von Schwarzen in Amerika. Arbeiten wie die „American People Series“ zeigen die unterschiedlichen Einflüsse auf Ringgolds Werk, etwa aus der Pop-Art, der sie ihre eigene kritische Wendung gab. Ihre Perspektive war dabei immer eine feministische – Ringgold verstand ihren Aktivismus gegen Rassismus und Frauenhass nicht als getrennt von ihrer Kunst. In den Sechziger- und Siebzigerjahren organisierte sie Proteste gegen Museen, die keine oder nur wenige nichtweiße Künstler ausstellten.

Die amerikanische Flagge blutet

Damals war auch Ringgolds Kunst besonders deutlich politisch. „The American People Series #18: The Flag is Bleeding“ kann als Auseinandersetzung mit Jasper Johns’ amerikanischen Flaggen-Bildern gelesen werden, nur dass hier Blut aus den roten Streifen trieft, hinter denen Menschen nicht entkommen können, und ein Schwarzer mit einem Messer in der Hand aus der Brust blutet. Auch „#20: Die“ („Stirb“) zeigt blutige Gewalt: Schwarze und Weiße gehen mit Messern und Pistolen aufeinander los, formal erkennbar inspiriert von Picassos Gemälde „Guernica“ von 1937.

Ringgold fand zwar früh Anerkennung durch Sammler, aber der große Erfolg blieb lange aus – nicht nur sie selbst machte dafür strukturellen Rassismus und Sexismus verantwortlich. Im Jahr 2019 stellte das Museum of Modern Art Ringgolds „American People Series #20“ neben Picassos „Les Demoiselles d´Avignon“ aus – Teil einer Neuausrichtung, die die Konzentration auf das Schaffen weißer Männer in der modernen Kunst korrigieren will. Das New Museum veranstaltete 2022 eine Retrospektive von Ringgolds Werk. Sie sei sich der neuen großen Aufmerksamkeit bewusst und sehr dankbar dafür, sagte die Künstlerin laut „Art News“ im Jahr 2019 – doch sie wisse auch, dass es sehr lange gedauert habe, „denn ich musste 89 Jahre alt werden, um es zu erleben.“

Strandidyll auf dem Teerdach

Berühmt wurde Faith Ringgold auch für ihre Quilts. Die Handarbeiten knüpfen an afrikanische und afroamerikanische Traditionen an. Ringgolds Ur-Ur-Ur-Großmutter hatte als versklavte Frau Quilts für Plantagenbesitzer angefertigt. Ihr eigenes Interesse an der Form soll auf einen Besuch im Rijksmuseum in Amsterdam zurückgehen, wo sie tibetanische Thangka-Textilarbeiten sah. Auf ihren bunten Quilts zeigte Ringgold häufig schwarze Frauen in glücklichen Situationen. Besonders bekannt wurde „Tar Beach“ – so nennen New Yorker die schwarzen Dächer vieler Altbauten, die im Sommer zwar brennend heiß werden, auf denen sie aber dennoch gern Zeit verbringen.

Auf dem bunten Quilt von 1988, der zur „Woman on a Bridge“-Serie gehört, spielt eine Familie Karten neben einer Wäscheleine, zwei Kinder liegen auf einer Decke, über ihnen der Sternenhimmel und am Horizont die George Washington Bridge. Darüber schwebt ein weiß gekleidetes Mädchen – es ist die von Ringgold erdachte Heldin Cassie Louise Lightfood, die 1939 träumt, wie sie durch die Sommernacht in Harlem fliegt. Am Rand des Quilts kann man ihre Gedanken lesen: „Auf dem Teerstrand zu schlafen, war magisch.“

Das fliegende Mädchen vom Tar Beach fand auch Eingang in Ringgolds gleichnamiges Kinderbuch, das heute ein Klassiker ist. Die Mädchen und Frauen in ihren Werken seien frei, sagte Ringgold über die „Woman on a Bridge Series“: „Sie sind tatsächlich frei, komplett. Sie nehmen sich ihre Befreiung, indem sie sich dieser großen maskulinen Ikone stellen – der Brücke.“ Am 13. April ist Faith Ringgold im Alter von dreiundneunzig Jahren in Englewood, New Jersey, gestorben.