Zum Tod von Roberto Cavalli :
Als „sexy“ noch nicht abgegriffen klang

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Roberto Cavalli steht nach einer Modeschau seines Labels im Juni 2014 In Mailand zwischen seinen Models.
Roberto Cavalli ist im Alter von 83 Jahren gestorben. Der Modemacher stand für italienischen Lebensstil. Dabei begann sein glitzerndes Leben traurig.

Solche Szenen gab es nicht oft bei Modenschauen. Als Roberto Cavalli in den Nullerjahren in Mailand seine neue Kollektion zeigte, kam er plötzlich vorher aus dem Backstage-Bereich hervor, ging die erste Reihe ab, schüttelte jedem die Hand und verteilte Küsschen an die Italienerinnen. Die französischen, amerikanischen, deutschen und britischen Gäste schauten sich verdutzt an: Da kam also ein Star der italienischen Mode vom Himmel herab und grüßte die Erdlinge, als wäre er einer von ihnen. Dann erst begann die Schau.

Roberto Cavalli war wirklich einer von ihnen. Das zeigen all die Trauerbekundungen nach der Nachricht von seinem Tod. Am Freitagabend teilte sein Unternehmen mit, dass der Modeschöpfer am Freitag im Alter von 83 Jahren in Florenz gestorben sei. Und bald darauf floss Instagram über von Abschieds-Posts.

Sein Verlangen stillte er mit Kunst

Roberto Cavalli war am 15. November 1940 geboren worden. Seine frühe Kindheit war durch den Tod des Vaters überschattet. Mit 172 weiteren Männern aus seinem Dorf Cavriglia und weiteren Orten der Toskana wurde er am 4. Juli 1944 von Wehrmachtssoldaten erschossen und verbrannt, in einer Vergeltungsaktion der Deutschen nach Anschlägen italienischer Partisanen. „Als die Soldaten im Morgengrauen kamen, versteckte er sich nicht, er lief nicht davon“, sagte Roberto Cavalli dem „Stern“ 2009 über seinen Vater. „Wir haben seine Leiche nie gefunden.“

Die folgenden Jahre verbrachte der Junge mit seiner Mutter und seiner Schwester in ärmlichen Verhältnissen am Stadtrand von Florenz. Dem „Stern“ erzählte er, seine Kindheit habe ihm vor allem Sehnsüchte mitgegeben. Also startete dieser Mann mit einem Fiat 500 ins Leben und rauschte schließlich im Ferrari in den Sonnenuntergang.

Sein Verlangen stillte er mit Kunst – schon sein Großvater war ein bekannter Maler gewesen. Cavalli studierte an der Akademie der Schönen Künste in seiner Heimatstadt Florenz, experimentierte mit Materialien und Drucktechniken, gründete 1970 die Modemarke seines eigenen Namens, präsentierte seine erste Kollektion gleich mal in Paris und eröffnete eine Boutique in Saint-Tropez.

Wie geschaffen für die Siebzigerjahre

Seine Mode mit vielen leichten Seidenkleidern, mit Animal-Prints und Leder-Patchwork war wie geschaffen für die Siebzigerjahre, die sich locker machten. Letztlich behielt er den leichten Look aus den Zeiten, als das Wort „sexy“ noch nicht abgegriffen klang, immer bei. Der Erfolg gab ihm Recht: Stars wie Lenny Kravitz, Charlize Theron, Taylor Swift und Jennifer Lopez brachten ihn ins Rampenlicht. Noch am Tag vor seinem Tod trug Madonna zur Kunstausstellung ihres Sohnes Rocco einen grünen Cavalli-Hosenanzug.

Sein Stil, den er um Jeans erweiterte, die mit Strass und Perlen bestickt waren, brachte ihm 2007 einen der lukrativen H&M-Verträge für eine Designer-Kooperation ein. So eroberte er sich eine neue Generation von Kunden. Als der Designer am Morgen des 9. November 2007 am ersten Verkaufstag vor dem H&M-Laden an der Fifth Avenue aus der Limousine stieg, Zigarre in der Hand, so berichtete „Women's Wear Daily“ damals, rief eine junge Frau, die seit dem Vorabend gewartet hatte: „Ich habe Robertos Zigarre! Sie ist heruntergefallen, als er hier stand.“ Sie habe sie aufgehoben und in eine Plastiktüte gepackt. „Die verkaufe ich auf Ebay.“

Der Erfolgsmann war ein „Playboy“, als auch dieses Wort noch nicht schmierig klang. Das qualifizierte Roberto Cavalli offenbar für die Jury des Miss-Universe-Wettbewerbs 1977 in der Dominikanischen Republik. Dort verliebte er sich in „Miss Austria“ Eva Maria Düringer, die er 1980 heiratete. Als seine wichtigste Mitarbeiterin wurde Eva Cavalli, mit der er die Kinder Rachele, Daniele und Robin bekam, 1994 zur Kreativdirektorin seiner Marke.

Roberto Cavalli 2013 in Wien mit dem deutschen Model Eva Padberg (links) und ihrer italienischen Kollegin Eva Riccobono
Roberto Cavalli 2013 in Wien mit dem deutschen Model Eva Padberg (links) und ihrer italienischen Kollegin Eva Riccobonodpa

Die zupackende Österreicherin, die in Dornbirn geboren wurde, musste sich nicht nur mit den beiden Kindern Tommaso und Cristiana aus Cavallis erster Ehe mit Silvanella Giannoni abfinden. Der nimmermüde Italiener verliebte sich vor einigen Jahren in das schwedische Model Sandra Nilsson Bergman, und Anfang 2023 wurde Cavalli mit 82 Jahren Vater eines kleinen Jungen. „Ich habe ihn Giorgio genannt“, sagte er einer italienischen Zeitschrift, „nach meinem Vater, den die Nazis im Massaker von Cavriglia erschossen haben“.

„Exzess ist Erfolg“

In den Nachrufen auf den Modemacher heißt es nun, dass Kunst und Tiere zu seinen größten Leidenschaften gehörten. Für seine Mailänder Wohnung und seine Villa in den Hügeln über Florenz schufen solche Interessen sicher eine wunderbar eklektische Kulisse. Aber sein Leitspruch „Exzess ist Erfolg“ hatte ästhetisch gesehen oft zweifelhafte Folgen. Für Minimalismus-Fans, die in der Modeszene außerhalb Italiens dominieren, war der Glitzer und Glamour einfach zu viel. Die Ausschnitte zu tief, die Prints zu bunt, die Pelze zu dick, die Auftritte zu billig – so lauteten oft die Urteile nach den Schauen in Mailand. Seine Zweitlinie Just Cavalli und die vielen Produkte in seinem Namen wie Möbel, Tapeten, Fliesen und Heimtextilien konnten den Ruf auch nicht bessern.

Es machte ihm nichts aus, denn er war ja schon ein Mythos. Daher konnte es Cavalli auch gut verkraften, dass sein Unternehmen in den vergangenen Jahren zweimal den Besitzer wechselte. 2015 verkaufte er 90 Prozent seiner Marke an den italienischen Investmentfonds Clessidra, der das Unternehmen wieder in die schwarzen Zahlen brachte. Auf den Gründer folgte als Designer Peter Dundas, der den glamourösen Stil fortsetzte. 2019 übernahm dann der aktuelle Eigentümer, Vision Investment Co. LLC aus Dubai. Die Kollektionen entwirft nun der genialische Modemacher Fausto Puglisi, dessen intelligenter Maximalismus fast schon an die überaus erfolgreiche Schiaparelli-Ästhetik heranreicht.

Roberto Cavalli ist tot, aber immerhin: Sein Name glänzt weiter.