Zum Tod von Erika Hegewisch :
Nachts leuchten die Schatten

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Erika Hegewisch (1929-2024) zusammen mit ihrem Mann Klaus im Jahr 1998
Auf ihren Bildern traf sich die Nacht mit dem Tag: Zum Tod der sammelnden Künstlerin und großzügigen Mäzenin Erika Hegewisch.

Es gibt eine Kaltnadelradierung von Erika Hegewisch, die zeigt ein in die Nacht entschwindendes Pferd. Man sieht das Tier nur in Umrissen. Im Grunde ist es nur ein Schimmern am Horizont. Das Licht zieht das Tier an und nimmt es gleichzeitig in sich auf. Kein loderndes Feuer, sondern ein sanfter Schimmer bildet den Fluchtpunkt. Es ist ein typisches Bild für die 1929 in Dortmund geborene Künstlerin Erika Hegewisch, die ihre Karriere in München als Mitarbeiterin von Willy Fleckhaus bei der legendären Jugend-Zeitschrift Twen begann und zahlreiche Abdrucke klassischer und moderner Erzählungen illustrierte, bevor sie sich Mitte der Achtzigerjahre als Künstlerin mit einer suggestiv traumwandlerischen Bildsprache selbständig machte.

Die Zusammenhänge, die Erika Hegewisch in ihren Werken durch eine ausgefeilte Schattentechnik von Hell und Dunkel herstellt, sind poetisch, nicht pointiert. Das Verschwommene, Unbestimmte, Waghalsige gibt den Ton an. Und obwohl die Düsternis technisch gesehen überwiegt, liegt stets ein glänzender Hauch von Hoffnung über dem Geschehen. Es ist, als ob sich die Formen und Figuren nach langer Zeit frei gemacht hätten von den Zwängen der Nacht. Als ob sie gerade voller Mut zum ersten Mal aus dem Schatten heraus ins Helle getreten wären. Daher rührt die besondere Anziehungskraft ihrer Bilder. Von dem Gefühl, in einem bedeutenden Augenblick dabei zu sein: wenn einer sich das erste Mal für einen Moment ins Licht traut.

„Frühstück im Atelier“, Kaltnadelradierung, 54,9 mal 54,2, Erika Hegewisch, 1990
„Frühstück im Atelier“, Kaltnadelradierung, 54,9 mal 54,2, Erika Hegewisch, 1990Erika Hegewisch

Um Dauer geht es dabei nicht. Die Figuren und Formen bleiben nicht im Hellen. Unser Blick erwischt nur noch einen Teil ihrer Umrisse, bevor sie wieder im Jenseits der Nacht verschwinden. Es ist wie in unseren Träumen; auch da sehen wir in den seltensten Fällen scharf, bleiben die Gesichter und Körper meistens unbestimmt. Was leicht auch albtraumhaft wirken könnte, wird bei Erika Hegewisch zum Emblem einer gelassenen Zuversicht gewendet. Es sind keine Heiligenscheine, die sie auf ihren Bildern erschafft, aber etwas Heiliges haben ihre weich schimmernden Szenen doch.

In der Wunderkammer

Vielleicht kommt das von der Gesellschaft, in der sie sich aufhielt. Seit ihrer Bindung mit dem Hamburger Kunstmäzen Klaus Hegewisch, der eine der eindrucksvollsten Sammlungen an Druckgrafiken und Zeichnungen von der Renaissance bis zur Klassischen Moderne besaß, lebte sie umgeben von den größten Namen der Kunstgeschichte. 

„Das Buch“ von Erika Hegewisch
„Das Buch“ von Erika HegewischErika Hegewisch

Viele Jahre verbrachten die beiden den Frühling auf der griechischen Insel Rhodos. Dort hatten sie ein wunderschönes Haus mit einer Terrasse direkt aufs Meer. Auch nach dem Tod ihres Mannes saß die Künstlerin dort oft und sog die unterschiedlichen Stimmungen des Lichts ein.

Erika Hegewisch, die jetzt im Alter von 95 Jahren in Hamburg verstorben ist, war eine großzügige Träumerin. Von ihrem Innenblick wurde man reich beschenkt. Beim Münsteraner Verleger Kleinheinrich ist eben noch ein Bildband erschienen, der zur stillen Einkehr ins Werk dieser Künstlerin einlädt und bestimmt flüstert: „Träumt unbedingt auch ohne mich weiter!“