Chips Act der EU :
Europas Booster für die Chipfertigung

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Chips aus Schleswig-Holstein: Der Chips Act der EU soll auch Vorhaben wie die des Konzerns Wishay in Itzehoe unterstützen.
Ohne Halbleiter aus Amerika und Asien ist die EU aufgeworfen. Der Chips Act soll das nun ändern. Nicht nur modernste Chips kleinster Größten sollen dabei in den Genuss von Milliardeninvestitionen kommen.

Der Zeitpunkt ist perfekt: Nachdem sich Europaparlament und Ministerrat nun auf das neue EU-Gesetz zur Halbleiterförderung, den Chips Act, geeinigt haben, könnte schon an diesem Donnerstag der taiwanische Konzern TSMC Milliardeninvestitionen in Dresden ankündigen. Der Punkt „Fab in Germany“ steht offenbar oben auf der Agenda der Pressekonferenz zu den TSMC-Quartalszahlen. Auch dem stockenden Bau mehrerer Chipfabriken von Intel in Magdeburg könnte die Einigung Schwung verleihen. Die Bagger rollen zwar, aber der amerikanische Chiphersteller pokert in Berlin noch um ein Subventionspaket von rund 10 Milliarden Euro.

Das Geld muss Deutschland bereitstellen. Die Einigung der Unterhändler auf den von der EU-Kommission im Februar 2022 vorgeschlagenen Chips Act verschafft den Konzernen aber Planungssicherheit über den Rahmen: Unter welchen Bedingungen und in welcher Höhe können die Staaten Investitionen fördern? Wie können Genehmigungen und Umweltprüfungen beschleunigt werden? Wie fördert die EU Forschung? Auf solche Fragen gibt der Chips Act Antworten.

Die EU zielt mit dem Act, der aus mehreren Teilgesetzen besteht, darauf, den Anteil an der Halbleiterproduktion auf der Welt bis zum Jahr 2030 auf 20 Prozent zu steigern. Heute beträgt er nicht einmal 10 Prozent. In einem dynamisch wachsenden Markt entspricht das Ziel einer Vervierfachung der Produktion. Binnenmarktkommissar Thierry Breton will so nicht nur die Versorgung der EU sicherstellen, sondern auch die übrige Welt mit Spitzenchips beliefern.

Vor allem jedoch zieht die EU mit dem Gesetz eine Lehre aus den Erfahrungen nach der Corona-Krise, als Schwierigkeiten in den Halbleiter-Lieferketten nicht nur die Autoindustrie ausbremsten. Ohne Chips läuft auch kein Smartphone, keine Wärmepumpe, kein Haushaltsgerät. Für 80 Prozent der Industrieunternehmen sind sie unverzichtbar.

USA nehmen noch mehr Geld in die Hand

Hinzu kommt die wachsende Sorge vor einem Konflikt zwischen China und Taiwan. Hochleistungschips kommen derzeit vor allem aus Taiwan oder Korea, Industriechips aus China. Auch die USA spielen eine wichtige Rolle. Sie wiederum haben schon vor der EU ihren eigenen Chips Act vorgelegt, der Staatshilfen von 53 Milliarden Dollar vorsieht. Damit kann der Chips Act der EU nicht mithalten. Die Kommission spricht zwar von 43 Milliarden Euro. Auf diese Summe kommt sie allerdings nur, da sie „altes Geld“ von nationalen und EU-Projekten zur Chipförderung großzügig dazu zählt.

An frischen Mitteln werden aus dem EU-Haushalt nur 3,3 Milliarden Euro bereitgestellt. Das war schwierig genug. Die Unterhändler rangen bis zum Schluss um die letzten 100 Millionen Euro. Ergänzt um Geld der EU-Staaten sollen so insgesamt 6,2 Milliarden Euro in das Programm „Chips für Europa“ fließen. Das soll die Forschung und Pilotprojekte etwa zum Chip-Design fördern.

Nach Ansicht des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) ist das viel zu wenig. „Der Ausbau der Halbleiterproduktion dürfte sich noch stärker in die USA verlagern“, warnt Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. „Die momentane Investitionswelle in Halbleiter wird die EU mit diesem Chips Act nicht für sich nutzen können.“

Möglichst schnell und möglichst flexibel

„Europa ist vergleichsweise spät dran und wirft weniger in die Waagschale“, sagt auch Achim Berg, Präsident des Branchenverbands Bitkom. Umso wichtiger sei es, „dass wir bei der Umsetzung des Chips Act keine Zeit verlieren“. Tatsächlich dürfte entscheidender als neues EU-Geld sein, wie flexibel sich die EU bei der Genehmigung der Beihilfen zeigt, die Staaten für Investitionen wie in Magdeburg und Dresden gewähren.

Die Kommission hat ihr Beihilferegelwerk dafür schon angepasst, so dass nicht nur Hilfen für global einzigartige, sondern auch für nur in der EU einzigartige Investitionen („first of a kind“) möglich sind. Mit der Einigung zum Chips Act wird ermöglicht, dass das nicht nur für Fabriken, sondern auch für Ausrüster wie die Hersteller der für die Chipherstellung benötigen Maschinen gilt.

Vor allem aber wird klargestellt, dass Innovationen nicht nur Chips möglichst kleiner Strukturgrößen sind, sondern auch den Herstellungsprozess betreffen. Das heißt: Staatshilfen können auch fließen, wenn Halbleiter umweltfreundlich hergestellt werden, weil sie wenig Energie oder Wasser verbrauchen.

Das ist ein Erfolg für die deutsche Industrie. Sie hatte am Kommissionsvorschlag kritisiert, dass er den Fokus zu sehr auf die Förderung moderner Chips richte statt auf die herkömmlichen Industriechips aller Größen, wie sie nicht nur die Autobranche braucht. Das Europaparlament hat zudem durchgesetzt, dass innovative sogenannte Exzellenzzentren für das Design neuer Chips von kleinen und mittleren Unternehmen mit bis zu 90 Prozent gefördert werden können.

„Nicht bloß Werkbank sein“

„Wir wollen uns nicht nur auf einige wenige Nutznießer konzentrieren“, sagte Henrike Hahn, EU-Abgeordnete der Grünen. Es gehe auch darum, einen positiven Beitrag zu einem wachsenden europäischen Chipsektor zu leisten. Europa dürfe nicht bloße Werkbank, sondern müsse Technologieführer sein, sagte der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken.

Werke mit dem Siegel „first of a kind“ profitieren auch von beschleunigten Genehmigungsverfahren. Sie müssen zugleich aber garantieren, dass sie bei Lieferengpässen verlässlich produzieren können. Um Engpässe wie nach der Corona-Krise zu verhindern oder zumindest abzumildern, wird zudem ein Notfallmechanismus inklusive Frühwarnsystem eingeführt. Der erlaubt der Kommission im Extremfall die Herstellung und Versorgung mit bestimmten Halbleitern zu priorisieren oder sie – wie bei der Versorgung mit Impfstoffen – für die EU-Staaten zentral einzukaufen.

Die Einigung muss noch von Europaparlament und Ministerrat offiziell angenommen werden. Das dürfte aber reine Formsache sein.