Auftritt im Dieselskandal :
Die Erinnerungslücken des früheren VW-Chefs Diess

Von Christian Müssgens
Lesezeit: 3 Min.
Der ehemalige VW-Chef Herbert Diess als Zeuge in Braunschweig am 16. Januar 2024
In Braunschweig gibt der einstige Topmanager tiefe Einblicke in die Stimmung kurz vor Auffliegen des Dieselskandals. In Amerika wurde es eng, US-Behörden stellten unbequeme Fragen – doch entscheidende Details bleiben im Dunkeln.

Langweilig wird ihm nicht, so viel steht fest. Herbert Diess, vor anderthalb Jahren von der Volkswagen-Spitze abberufen, ist heute Aufsichtsratschef des Chipherstellers Infineon. Er engagiert sich für das Start-up The Mobility House, das Elektroautos zu Stromspeichern fürs Energienetz machen will, außerdem züchtet er Birnen auf einem Gut in Spanien.

Sein Auftritt am Dienstag wirkt wie ein Kontrastprogramm. Stadthalle Braunschweig, Eichenparkett, vertäfelte Wände: Es geht um das Jahr 2015, als Diess als Chef der Marke VW nach Wolfsburg kam und kurz darauf der Dieselskandal ausbrach. Das Oberlandesgericht Braunschweig vernimmt ihn als Zeugen, um herauszufinden, ob VW und die Stuttgarter Holding Porsche SE ihre Aktionäre rechtzeitig informiert haben.

Diess, 65 Jahre alt, dunkelblauer Anzug, weinrote Krawatte, beschreibt, dass schon kurz nach seinem Antritt als Markenchef im Juli 2015 die damaligen Probleme in Amerika zum Thema wurden. US-Behörden verweigerten damals die Zulassung für neue Modelle, auch weil drei frühere Generationen von Dieselmotoren auffällige Abgaswerte zeigten. In den Werken in Chattanooga und im mexikanischen Puebla füllten sich die Stellplätze der Fabriken mit Neuwagen, die der Konzern nicht ausliefern konnte – man habe das „mit einer gewissen Unruhe“ beobachtet, sagt Diess.

Die Details hat Diess vergessen

Heute ist klar, dass VW die Emissionen mit einer Software manipulierte. Im Herbst 2015 machten die US-Behörden dies öffentlich und stürzten damit den Konzern in eine existenzielle Krise. In den Monaten davor habe er keine Kenntnis von unzulässigen Abschalteinrichtungen gehabt, sagt Diess. Die Gefahr milliardenhoher Strafen sei nicht erkennbar gewesen. „Mir war klar, dass die Fahrzeuge nicht gesetzeskonform sind, aber die Hintergründe waren mir nicht klar.“ VW-Techniker hätten gesagt, dass es bald Lösungen für die US-Zulassungen gebe, alle zuständigen Konzernstellen seien involviert gewesen, die Kosten mutmaßlich weit entfernt von der Schwelle für eine Pflichtmeldung an die Börse. „Ich hatte den Eindruck, dass das Thema solide abgearbeitet wird.“

Dabei, so scheint es in der Beweisaufnahme immer wieder durch, hätte es durchaus Chancen gegeben, die Sache zu durchblicken – wenn das Management genauer hingeschaut und Fragen gestellt hätte. Mehrmals lässt Richter Christian Jäde Dokumente an die Wand projizieren, etwa eine Notiz vom Juli 2015, in der der damalige Leiter der Qualitätssicherung auf Tests in Amerika hinwies, in denen „bis zu Faktor 15 höhere Abgaswerte ermittelt wurden“.

Rund um eine Sitzung des Markenvorstands im August 2015, so die Anwälte der Musterklägerin Deka Investment, sei vorgetragen worden, dass möglicherweise Strafzahlungen von mehr als 20 Milliarden Dollar drohten. Diess sagt, er könne sich an die Zahl nicht erinnern, so wie er auch an anderen Stellen erklärt, sich der Details nicht entsinnen zu können. Ein Strafverfahren wegen Marktmanipulation gegen ihn und VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch war schon im Jahr 2020 gegen eine Geldauflage eingestellt worden.

Auch den Ex-VW-Chef Martin Winterkorn nimmt Diess in seiner Aussage wie erwartet aus der Schusslinie. Er habe „nicht den Eindruck“ gehabt, dass Winterkorn vor Bekanntwerden des Skandals in Amerika Mitte September über die Umstände im Bilde gewesen sei, sagt er. Der heute 76 Jahre alte Winterkorn trat damals zurück, Nachfolger wurde Matthias Müller, den Diess 2018 ablöste.

Alle drei sollen im Anlegerprozess aussagen, in dem die Kläger mehrere Milliarden Euro Schadenersatz verlangen, weil sie Aktien nach eigener Darstellung zu teuer gekauft oder durch den Skandal Kursverluste erlitten hatten. Der Vorstand habe Kenntnis gehabt, aber nicht schnell genug informiert, so der Vorwurf, den VW zurückweist. Müller soll am 7. Februar aussagen, Winterkorn an mehreren Tagen Mitte Februar.