Eventim-Chef im Gespräch :
„Ich gehe davon aus, dass die Roger-Waters-Konzerte stattfinden“

Lesezeit: 5 Min.
Klaus-Peter Schulenberg im Juni 2021 in der Eventim-Zentrale in Hamburg
Der Veranstaltungs- und Ticketingriese blickt auf ein Rekordjahr zurück. Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenberg über die vorsichtige Prognose, steigende Ticketpreise, das Geschäft in Amerika – und die Debatte um Roger Waters.
In München wird der Pink Floyd-Mitgründer auftreten. Es gebe keine rechtlichen Möglichkeiten, das Konzert von Roger Waters in der Olympiahalle zu untersagen, erklärte die Stadt am Mittwoch. So dürfte es an jedem der fünf deutschen Tour-Halte ausgehen, erwartet Klaus-Peter Schulenberg: „Ich gehe davon aus, dass die Roger Waters-Konzerte in allen deutschen Städten stattfinden werden – auch in Frankfurt“, sagt der Chef von Europas größtem Veranstaltungs- und Ticketingkonzern im Gespräch mit der F.A.Z.

Waters steht für seine Unterstützung der Israel-Boykottbewegung BDS und Äußerungen zum Ukrainekrieg in der Kritik. Kürzlich hatte er über sein Management erklären lassen, rechtliche Schritte gegen drohende Absagen in München und Frankfurt zu prüfen und den Vorwurf des Antisemitismus zurückgewiesen: „Meine allgemeinbekannten Ansichten beziehen sich ausschließlich auf die Politik und die Handlungen der israelischen Regierung und nicht auf die Menschen in Israel“, hieß es in einem Statement.

Veranstaltet wird die kürzlich gestartete Europa-Tour von FKP Scorpio, nicht zuletzt bekannt als Unternehmen hinter den Festivals Southside und Hurricane und Teil des M-Dax-Konzerns Eventim. „Wir haben vor einigen Tagen die Kündigung von Seiten der Messe erhalten und werden nun rechtliche Schritte einleiten“, sagt Schulenberg mit Blick auf das für den 28. Mai geplante Konzert in Frankfurt. Die finanziellen Kosten einer etwaigen Absage lägen im siebenstelligen Bereich. „In einer Demokratie müssen wir auch unangenehme Meinungen aushalten, unabhängig davon, dass ich die Position von Roger Waters nicht teile.“

Fast zwei Milliarden Euro Umsatz für Eventim

Fernab der Kontroverse um Waters, kann CTS Eventim auf ein Rekordjahr zurückblicken. Rund 1,93 Milliarden Euro Umsatz übertreffen die Bilanz nach zwei von der Pandemie geprägten Jahren für das bis dato beste Jahr, 2019, deutlich. Damals hatten 1,44 Milliarden Euro zu Buche gestanden. Selbst veranstaltete Tourneen und Festivals trugen mit rund 1,4 Milliarden Euro den Großteil des Umsatzes bei, der Ticketverkauf für eigene, aber gerade auch für eine Vielzahl an anderen Veranstaltungen steuerte 541 Millionen Euro bei.

Diese Eckwerte hatte der Konzern schon Mitte Februar mitgeteilt, ebenso wie das operative Ergebnis (bereinigtes Ebitda) in Höhe von 384 Millionen Euro. Den Großteil machte mit 263 Millionen Euro wie üblich das Ticketing-Segment aus, wo der Konzern auch bei konzernfremden Veranstaltungen über Gebühren stets mitverdient. Eventim betreibt zudem große Spielstätten wie die Kölner Lanxess Arena oder die Berliner Waldbühne. Unter dem Strich belief sich der Gewinn im vergangenen Jahr auf 203,8 Millionen Euro. In den 87,9 Millionen Euro aus dem Jahr 2021 waren noch mehr als 100 Millionen Euro staatliche Corona-Hilfen enthalten gewesen. 50 Prozent des 2022 erzielten Gewinns, und damit 1,06 Euro pro Aktie, sollen als Dividende ausgeschüttet werden.

Das Wiederanziehen des Live-Geschäfts nach Wegfallen der Pandemie-bedingten Einschränkungen hatte 2022 zeitweise für ein wahres Überangebot an Konzerten gesorgt. Sehr viele, teils mehrfach verschobene Konzerte seien nachgeholt worden, so Schulenberg, „dazu kam eine Vielzahl an neu gebuchten Tourneen.“ Der Einfluss dieses Sondereffekts sei nicht unerheblich: „Wir gehen dennoch davon aus, dass wir den Gesamtumsatz im Vergleich zu 2022 steigern werden.“ Der eher zurückhaltende Ausblick mit dem Verweis auf ein Ergebnis in etwa auf Vorjahresniveau kam an der Börse nicht gut an. Die Aktie notierte am Nachmittag rund 5 Prozent im Minus. „Wir haben schon immer konservative Prognosen abgegeben und sehen keinen Grund, daran etwas zu ändern“, gibt sich Schulenberg unbeeindruckt. Tatsächlich übertraf der Jahresumsatz für 2022 die Anfang November abgegebene Prognose von „mindestens 1,7 Milliarden Euro“ letzten Endes deutlich.

„Ticket-Nachfrage zieht in der Breite wieder an“

„Dass wir im Live Entertainment-Bereich leicht niedrigere Umsätze prognostizieren liegt am Tour-Plan, viele unserer großen Künstler waren 2022 unterwegs“, sagte er. Da könne aber schon Mitte des Jahres „noch einiges dazukommen“. Unter anderem die große Europa-Tour von Superstar Ed Sheeran oder Rolling Stones-Konzerte hatten im vergangenen Jahr stattgefunden. Für 2023 hat allen voran Weltmarktführer Live Nation, zu dem auch die Ticketing-Plattform Ticketmaster gehört, viele große Tourneen angekündigt: Internationale Stars wie Beyoncé, Harry Styles, Bruce Springsteen oder Madonna sind unterwegs, ebenso Helene Fischer. Die vorherigen Tourneen der Schlager-Sängerin hatte noch die Eventim-Gesellschaft Semmel Concerts veranstaltet, die kommende verantwortet Live Nation. „Bei 250 Millionen jährlich verkaufter Tickets fallen eine Million mehr oder weniger durch turnusmäßig dieses Jahr besonders viele große Tourneen von Wettbewerbern nicht allzu sehr ins Gewicht“, sagt Schulenberg. Ein volles Jahr komme Eventim aber natürlich insgesamt immer zugute.

In den vergangenen Monaten sah sich die vielschichtige Branche mit kleineren und größeren Akteuren einer Reihe von sich teils verstärkenden Problemen gegenüber: Die allgegenwärtigen Kostensteigerungen verteuerten das Touren an sich, gleichzeitig lief der Ticketverkauf gerade für kleine und mittlere Künstler mitunter nur schleppend. Obendrein mangelte es nach 2 Jahren Pandemie an Personal. „Abseits der Superstars hielten sich die Ticketkäufer zuletzt mitunter etwas zurück, die Nachfrage zieht aber in der Breite wieder an, auch mit Blick auf die Tour-Planung wächst die Zuversicht und mehr Veranstaltungen kommen in den Verkauf“, sagt Schulenberg. Nach wie vor fehle aber an vielen Stellen Personal, „mit Blick auf die Abwicklung von Shows ist das das größte Problem. Hier haben wir teilweise Kostensteigerungen von mehr als 30 Prozent und das führt letztlich auch zu leicht erhöhten Ticketpreisen. Im Vergleich zu 2019 sehen wir hier aktuell Steigerungen von ungefähr 10 Prozent.“

Zuversichtlich blickt Schulenberg derweil in die Vereinigten Staaten. Eventim ist auf dem Heimatmarkt von Live Nation seit 2020 als Veranstalter aktiv, seit September 2021 auch mit einer Ticketing-Plattform. Letztere brauche noch etwas, um Fuß zu fassen, aber die Live-Seite laufe sehr gut: „Die USA dürften in diesem Jahr um die 30 Prozent unseres Live Entertainment-Umsatzes ausmachen“, rechnet er vor. Das entspreche etwa dem Anteil von Deutschland und das, obwohl hierzulande viele große und umsatzstarke Festivals des Konzerns stattfinden. Die USA seien aber nun einmal alleine schon ob ihrer Größe sehr attraktiv. Mit Blick auf Welttourneen mache ein Künstler hier etwa 80 Prozent des Umsatzes, „20 Prozent läuft dann unter `Rest der Welt`.“ Erst am Dienstag hatte der Konzern die Gründung eines neuen Joint Ventures fürs Tour-Geschäft in den USA bekanntgegeben.

Potential sieht Schulenberg auch abseits der Musik beispielsweise im Sport: „Wir haben gerade mehr als 3 Millionen Tickets für die Olympischen Spiele in Paris verkauft – ohne jegliche technische Schwierigkeiten – und wollen auch auf dem Gebiet weiter wachsen“.