„Winzige Fehler“ zugegeben :
Medizin-Nobelpreisträger Südhof unter Druck von Plagiatsjägern

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Thomas Südhof bei der Verleihung des Nobelpreises 2013
Gibt es eine Hexenjagd auf das Team des deutsch-amerikanischen Nobelpreisträgers Südhof? Der Neuroforscher gibt Flüchtigkeitsfehler zu und antwortet mit einer beispiellosen „Integritätsoffensive“.

Der aus Göttingen stammende deutsch-amerikanische Medizin-Nobelpreisträger von 2013, der Neurowissenschaftler Thomas C. Südhof, ist ins Visier von Plagiats- und Betrugsdetektiven geraten. Seine Forschungsgruppe an der Stanford-Universität hat inzwischen eine „Integritätsinitiative“ und Transparenzsoffensive auf einer eigenen Webseite gestartet, in der zwar mehr als ein Dutzend „winziger Fehler“ zugegeben werden, in der Südhof aber auch unmissverständlich abstreitet, Forschungsergebnisse und Publikationen manipuliert zu haben.

Nachdem Südhofs Gruppe an der Stanford-Universität Anfang März dieses Jahres eine vielbeachtete PNAS“- Studie aus dem Jahr 2023 nach zahlreichen Kommentaren wegen Ungereimtheiten in den Rohdaten offiziell zurückgezogen hatte, berichtet das Insidermagazin der Neurowissenschaften „The Transmitter“ nun von drei weiteren – älteren – Veröffentlichungen in den Fachjournalen „Cell“ und „Journal of Neuroscience“, die Fehler enthalten sollen. Entdeckt und öffentlich gemacht wurden die Vorwürfe von der bekannten niederländischen Mikrobiologin Elisabeth Bik, die sich seit Jahren darauf spezialisiert hat, in wissenschaftlichen Veröffentlichungen nach Fälschungen und Betrugsfällen zu suchen.

KI durchsucht Publikationen

Bik nutzt dazu inzwischen vielfach Künstliche Intelligenz, mit der systematisch nach Duplikationen in Fotos und Abbildungen gefahndet werden kann. In den vergangenen Wochen hat sie damit drei ältere Publikationen der Südhof-Gruppe ausfindig gemacht, in denen duplizierte Abbildungen nachgewiesen wurden. Die Vorwürfe waren von Bik zuerst auf „Pub-Peer“ erhoben worden. Diese von einer kalifornischen Stiftung zur Qualitätssicherung gegründete Onlineplattform hat sich auf Post-Publication-Review fokussiert, sprich: auf die fachliche Kommentierung von veröffentlichten Artikeln nach dem eigentlichen, in Wissenschaftsjournalen üblichen Peer Review.

In Kommentaren auf Pub-Peer hat die Südhof-Gruppe die drei Beanstandungen durch Bik eingestanden. Auf seiner Labor-Seite bezeichnete Südhof sie als „winzige Fehler“, die „ohne den Einsatz der Künstlichen Intelligenz überhaupt nicht zu entdecken gewesen wären“. Der Nobelpreisträger lobte ausdrücklich die Intentionen und die Errungenschaften durch Pub-Peer, gleichzeitig beklagte er aber, dass „seit 2023 eine große Zahl von oft gleichen Pub-Peer-Posts über angebliche Probleme mit Papern aus dem Südhof-Labor handeln“. Es gebe allerdings keineswegs „ein systematisches Problem“. Im Gegenteil, notiert die Südhoff-Gruppe auf der “Integritätsoffensiv“-Seite: Von den ungefähr 600 Publikationen der Gruppe mit insgesamt mehr als 10.000 Abbildungen seien „nur 20 Fehler“ moniert worden: „Diese Fehlerrate (weniger als 0,2 Prozent) ist erstaunlich, wenn nicht sogar unwahrscheinlich niedrig“.

Auf der Transparenzseite hat Südhof tatsächlich insgesamt 30 „unbegründete Vorwürfe“ aufgelistet und kommentiert. Dazu werden 15 in Pub-Peer monierte Paper besprochen, die nach Südhofs Bewertung „winzige Fehler“ enthalten, ein weiterer „winziger Fehler“ in einer von der Südhof-Gruppe selbst identifizierten Veröffentlichung. Gezielte Manipulationen seien darunter keine, vielmehr wurden von seiner Gruppe fast immer Übertragungsfehler beim Copy-and-paste der Bilddateien und Flüchtigkeitsfehler dafür verantwortlich gemacht. Alle diese Mängel wurden nach Aussagen Südhoffs inzwischen korrigiert. Lediglich die noch immer nicht aufgeklärten Ungereimtheiten in der PNAS-Publikation aus dem März 2023 wurde offiziell zurückgezogen.

Auf die Nachfrage von „The Transmitter“ soll Südhof in einer E-Email geantwortet haben, „die identifizierten Fehler seien komplett irrelevant für die wissenschaftliche Aussage“ der jeweiligen Veröffentlichung. Dafür allerdings klagte Südhoff gegenüber dem Onlinemagazin über die „zerstörerische“ Wirkung insbesondere für die betroffenen jungen Wissenschaftlerinnen in seinem Labor. Diese fühlten sich persönlich attackiert, einige sollen das Labor verlassen haben.

Auf unsere Anfrage zu einer Stellungnahme antwortete Südhoff ausführlich. Dabei räume er „einen ernsthaften Fehler“ ein, der allerdings nicht etwa durch die Plagiatsdetektive aufgedeckt worden sei, sondern “nach einer Neuanalyse der Originaldaten unserer Paper“.  Die Flüchtigkeitsfehler seien hauptsächlich durch die Arbeitsweise bei der Übertragung von Abbildungen aus einem großen Panel von Aufnahmen in die Paper passiert. Seine Erklärungen und die Transparenzoffensive seien gescheitert, „die Kritiker haben offensichtlich kein Interesse an der Wissenschaft“.

Insgesamt, so Südhof, sieht er eine neue „Anklagebewegung“, die sich der KI-Tools bediene und vor allem einige wenige prominente Wissenschaftler im Visier habe. Es gebe ein tatsächliches Problem in der Wissenschaft, das der „Reproduzierbarkeit und Wahrhaftigkeit“. Südhof bezieht sich damit auf ein ganz anderes Problem der experimentellen Forschung, nämlich auf den zunehmenden Drang von Fachmagazinen, aufsehenerregende Ergebnisse publizieren zu wollen, die unter Umständen auf „schlechter Wissenschaft“ beruhe. Die Krux sei, so Südhof, dass dann „zwar die Daten und Abbildungen korrekt seien, aber die Experimente und Schlussfolgerungen falsch“, Südhof: “Wir sind angewiesen auf Journals, die offensichtlich nicht mehr zu den Mechanismen dieser Zeit passen.“     

Der Biochemiker Thomas C. Südhof hatte 2013 für seine Neurotransmitter-Forschung zusammen mit den beiden US-Kollegen James Rothman und Randy Shekman den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhalten. Die Auszeichnung bezog sich auf „die Entdeckung der Maschinerie, die den Vesikel-Transport reguliert, einem der wichtigsten Transportsysteme in den Zellen“. Daneben wurden Südhof zahlreiche weitere hochkarätige Medizin- und Wissenschaftspreise und Akademie-Mitgliedschaften zugesprochen. 1983 war er nach seinen Studien in Aachen, Göttingen und Harvard und seiner Promotion am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie nach Dallas gegangen.

Zwischen 1995 und 1998 war er kurzzeitig als Direktor an das MPI zurückgekommen. Die Berliner Charité, wo Südhof zwischen 2014 und 2019 Gastprofessor war, nominierte Südhof vor knapp zwei Jahren für eine Humboldt-Professur. Neben seiner Avram-Goldstein-Professur an der Stanford-Universität ist der heute 68 Jahre alte Forscher seit inzwischen fast vierzig Jahren Forscher des renommierten Howard Hughes Medical Institute.