Grand-Slam-Rekord in Paris :
Novak Djokovic im Sturm auf den Thron

Von Thomas Klemm, Paris
Lesezeit: 4 Min.
Der Erfolgreichste, der er immer sein wollte: Novak Djokovic mit seiner 23. Grand-Slam-Trophäe.
Mit seinem Sieg gegen Casper Ruud bei den French Open krönt sich Novak Djokovic zum Grand-Slam-Rekordsieger und wird wieder die Nummer eins der Tennis-Welt.

Jetzt hat er es also endlich geschafft. Nun hat er den einen Titel mehr gewonnen, der ihn hervorhebt aus allen anderen Männern der Tennisgeschichte. Seit Sonntag, kurz vor halb sieben mitteleuropäischer Sommerzeit, als es in der Sporthistorie 23 schlug, ist er der Erfolgreichste, der er immer sein wollte: Novak Djokovic darf sich nun Grand-Slam-Rekordsieger nennen. Er hat nach seinem 7:6 (7:1), 6:3, 7:5 gegen den Norweger Casper Ruud seinen 23. Titel bei einem der vier wichtigsten Tennisturniere gewonnen und damit den Spanier Rafael Nadal (22) hinter sich gelassen und den Abstand auf Roger Federer (20) vergrößert.

Durch seinen dritten Titelgewinn bei den French Open hat Djokovic zugleich den Spanier Carlos Alcaraz wieder von der Spitze verdrängt und geht in seine 388. Woche als Weltranglistenerster – auch das eine Bestmarke. Und zweitältester Einzelsieger in der Turniergeschichte von Roland Garros ist der 36-Jährige auch geworden, hinter dem Amerikaner Bill Tilden, der 1930 fünfzehn Monate älter war. Viel mehr Dekor geht nicht.

Auf der Sportjacke, die er vor  der Siegerehrung überstreifte, war schon eine „23“  eingestickt – selbstverständlich in den serbischen Nationalfarben Rot, Blau und Silber. In seiner Ansprache dachte Djokovic aber über die Heimat hinaus,  ermutigte die Jugend der Welt, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, wie er selbst es von  Kindheitstagen an  „mit jeder Körperzelle“ vormacht:  „Wenn ihr eine bessere Zukunft wollt, gestaltet sie.“

Vor dem unerwarteten Pathos gab es viel Bekanntes zu sehen, vor allem die Taktik, die sich Ruud offenbar zurechtgelegt hatte: viele lange Topspin-Bälle vor allem auf des Gegners Rückhandseite, um ihn nicht zur Entfaltung kommen zu lassen, dann aus der Vorhand ein schneller Schuss. Ein paar Überraschungen gab’s obendrauf, wie gelegentliche Stoppbälle und Netzattacken. Das kennt man gut, das ist hohe spanische Sandplatzschule und zeigt, dass Ruud bei seinen regelmäßigen Studienreisen in die „Rafa Nadal Tennis Akademie“ auf Mallorca gut aufgepasst hat.

Auch der Schlag des Tages gelang dem 24-Jährigen: mit dem Rücken zum Netz schlug er den Ball zwischen den Beinen hindurch und über den vorne lauernden Djokovic hinweg. Einige solcher „Tweener“ waren bei diesen French Open zu bewundern – der von Ruud bekam den meisten Beifall. Zu Recht.

Eine halbe Stunde dauerte es, bis Djokovic nach schlappem Start und 1:4-Rückstand genug inneren Abstand zu seiner bedrückenden historischen Mission hatte. Dann kam er in jenen gewohnten Flow, den seine Gegner in großen Endspielen fürchten. Punkt für Punkt, Spiel um Spiel begann er, das Geschehen zu diktieren. Seine Dominanz erreichte im Tiebreak den ersten Höhepunkt, den er mit einem Vorhand-Winner zum 7:1 vollendete.

Vom Beginn des zweiten Satzes an war der Serbe und damit seine Landsleute auf den Zuschauerrängen kaum mehr zu stoppen. Ruud schlug sich zwar wacker, hielt unermüdlich dagegen und kam nicht so unter die Räder wie im Finale des Vorjahres gegen Nadal. Aber weil Djokovic unverdrossen solide spielte und anfing, sich nach umkämpften Ballwechseln an die Stirn zu tippen und damit auf seine mentale Stärke zu verweisen, war es um den Norweger geschehen. In den Sätzen zwei und drei war der Weltranglistenvierte nicht mehr als der letzte Widerständler, der Djokovics Sturm auf den Thron hinauszögerte. Nachdem er seinen zweiten Matchball mit Ruuds Hilfe verwertet hatte, fiel der Serbe auf den Rücken und ließ sich feiern. „Dieses Turnier ist mir immer am schwersten gefallen, zu gewinnen“, sagte Djokovic nach 3:13 Stunden Spielzeit und Pokalübergabe. Ruud nannte die neue Bestmarke „unglaublich“ und lächelte ein wenig schicksalergeben in Richtung des Siegers: „Ein anderer Tag, ein anderer Rekord“.

Der Moment des Sieges, ein kleiner Moment der Schwäche
Der Moment des Sieges, ein kleiner Moment der SchwächeEPA

So erfolgreich Djokovics zweiwöchige Roland-Garros-Kampagne endete – die Umstände hatten ihm die Arbeit am dritten French-Open-Sieg erleichtert. Rekordturniersieger Nadal musste wegen seiner langwierigen Hüftverletzung daheim bleiben; der andere Spanier, der ein sportliches Hochrisiko dargestellt hätte, also Carlos Alcaraz, bekam im Halbfinale gegen Djokovic vom dritten Satz an Ganzkörperkrämpfe und spielte fortan außer ernsthafter Konkurrenz.

Die Mission des Serben, der nach einer Ausnahmestellung in der Tennisgeschichte giert wie kein zweiter, ist noch nicht zu Ende: Er will der erfolgreichste zu werden, der je gespielt hat bei Damen und Herren. Nachdem er mit seinem 23. Grand-Slam-Titel mit der Amerikanerin Serena Williams gleichgezogen hat, steht nur noch Margareta Court vor ihm. Die Australierin hat in den sechziger und siebziger Jahren einmal mehr triumphiert als Djokovic bis jetzt. Wie glücklich und fokussiert er sei, weiter Geschichte schreiben zu können, betonte der Serbe in Paris.

Auch der „Grand Slam“ scheint nach den Triumphen im Januar bei den Australian Open und am Sonntag bei den French Open in Reichweite, also der Gewinn aller vier großen Turniere in einem Kalenderjahr. In der Profiära ist dies bisher nur dem Australier Rod Laver als einzigem Mann gelungen. Djokovic nimmt seinen dritten Anlauf. Schon 2016 und 2021 hatte er die beiden ersten Grand-Slam-Turniere gewonnen, vor zwei Jahren wurde er erst durch eine Finalniederlage bei den US Open gestoppt.