Ricky Martin im Interview :
„Mein Coming Out war ein durch und durch egoistischer Schritt“

Von Patrick Heidmann
Lesezeit: 4 Min.
Ricky Martin bei der Premierenfeier von „Palm Royale“ in Beverly Hills.
Ricky Martin steht nicht nur auf der Bühne, sondern ist als Schauspieler gerade auch in der Serie „Palm Royale“ zu sehen. Im Interview erzählt er von seiner Traumrolle und von der Last, die ihm von den Schultern fiel, als er seine Homosexualität öffentlich machte.
Herr Martin, Sie standen schon am Broadway auf der Bühne und hatten Auftritte in der Serie „American Crime Story: Der Mord an Gianni Versace“. Doch in „Palm Royale“ (Apple TV+) spielen Sie nun Ihre bislang größte Rolle. Wann entstand der Wunsch, neben der Musik auch Schauspieler zu sein?

Eigentlich gibt es den schon ewig. Ich war 15 Jahre alt, als ich das erste Mal nicht ausschließlich als Sänger vor einer Kamera stand. Mit der Band Menudo, in der ich damals war, wurden wir für eine Serie engagiert, die sich vielleicht am ehesten mit „Glee“ vergleichen lässt, also eine Art Musical. Das war aufregend und hat mir viel Spaß gemacht. Besonders weil meine Rolle ziemlich dramatisch und emotional war. Da habe ich auf jeden Fall Blut geleckt.

Warum sind Sie nicht am Ball geblieben?

Hier und da tat ich das ja durchaus. Ich ­habe in Mexiko ein bisschen Theater gespielt, stand in den Vereinigten Staaten für eine Seifenoper vor der Kamera, später kam das Broadway-Engagement beim ­Musical „Evita“. Aber die Musik blieb eben eine treibende Kraft in meinem ­Leben. Als von Mitte der Neunzigerjahre an meine Solokarriere so richtig Fahrt aufnahm, musste ich diese Welle einfach reiten. Plötzlich gewann das eine Eigen­dynamik, der ich mich mit Haut und Haar verschreiben wollte. Da blieb für viele ­Jahre kaum Zeit für anderes. Wirklich losgelassen hat mich der Gedanke an die Schauspielerei allerdings nie. Die Chance, die mir Ryan Murphy schließlich bei „Glee“ und später „American Crime ­Story: Der Mord an Gianni Versace“ gab, öffnete dann ganz neue Türen, und jetzt freue ich mich darüber, diesem Kapitel meines künstlerischen Schaffens endlich gebührend Energie widmen zu können.

Können Sie Ihre Fähigkeiten als Entertainer auch als Schauspieler anwenden?

In der Musik bin ich viel impulsiver, vor allem auf der Bühne. Das ist ein unmittelbares Erlebnis, da gehen schon einmal die Emotionen mit einem durch. Wenn vor dir 20.000 Menschen stehen und deine Lieder mitsingen, das macht etwas mir dir. In der Schauspielerei bin ich viel kontrollierter und mit mir selbst beschäftigt. Das hat fast etwas von Psychoanalyse, so sehr geht man da der menschlichen Natur auf den Grund. Gleichzeitig geht es nie nur um einen selbst, in der Regel hat man ja Kolleginnen und Kollegen, mit denen man eine Szene teilt und für deren Gefühle man auch empfänglich sein muss.

Tragen Sie sich schon mit dem Gedanken, die Musik an den Nagel zu hängen?

Nein, das wird niemals passieren. Vor ­allem ohne Konzerte könnte ich nicht ­leben. Ich bin süchtig nach dieser Energie, die das Publikum mir gibt. Ich liebe den Applaus. Deswegen hätte ich große Lust, wieder am Broadway auf der Bühne zu stehen. Die Zuschauer dort sind zwar echt nicht ohne, die muss man wirklich überzeugen. Aber Schauspiel, Musik und Livepublikum in einem? Das ist eine Kombination wie für mich gemacht.

Das Magazin „GQ“ betitelte einen Text über Sie kürzlich mit „Die Wiedergeburt des Ricky Martin“.

Mir gefällt der Gedanke dahinter. Zumal ich an Wiedergeburt glaube. Ob ich meine aktuelle Lebensphase als solche empfinde, weiß ich allerdings nicht so genau. Ich arbeite in der Unterhaltungsbranche, seit ich zwölf Jahre alt war. ­Natürlich gab es da immer Auf und Abs, was die öffentliche Aufmerksamkeit und den Erfolg angeht. Aber ich hatte immer gut zu tun und habe nie aufgehört zu arbeiten und künstlerisch tätig zu sein. Deshalb gehören Comeback, Wiedergeburt und Co. in diesem Kontext nicht wirklich zu meinem Wortschatz. Allerdings passieren in meinem Leben gerade viele spannende Dinge, von denen „Palm Ro­yale“ nur eines ist. Ich habe viel Freude an meiner Arbeit und befinde mich definitiv an einem guten Moment im Leben.

Klingt so, als könnte von einer Midlifekrise keine Rede sein.

Kein bisschen. Ich bin 52 Jahre alt und genieße das Älterwerden sehr. Ich fühle mich viel wohler in meiner Haut und in meinem Körper, als ich es vor 30 Jahren tat. Das waren damals eher verwirrende Zeiten. Ich habe gearbeitet wie ein Wilder, und vermutlich dachte ich auch, dass ich glücklich sei. Heute weiß ich, wie viel zufriedener und entspannter man sein kann. Nicht dass man in meinem Alter nicht auch noch die eine oder andere Unsicherheit mit sich herumträgt. Da mache ich niemandem ­etwas vor. Aber ich weiß inzwischen, wer ich bin und was ich will, und hinterfrage mich nicht permanent. Mir geht es phantastisch, und ich habe das Gefühl, gerade am Beginn einer richtig soliden, ausge­glichenen Lebensphase zu stehen.

Begonnen hat diese Ausgeglichenheit vermutlich auch damit, dass Sie in einem Brief auf Ihrer Website vor 14 Jahren erstmals öffentlich Ihre Homosexualität thematisierten. Ahnten Sie damals schon, dass das nicht nur für Sie selbst ein wich­tiger Schritt sein würde, sondern auch ­bedeutsam für queere Menschen auf der ganzen Welt?

Wenn ich ganz ehrlich bin, war das zunächst ein durch und durch egoistischer Schritt von mir. Ich musste dieses Coming-out, das ich im Privaten längst vollzogen hatte, einfach hinter mich bringen. Endlich diese Last abwerfen. Mir war nur nicht klar, wie. Irgendwann habe ich ­alles auf­geschrieben und mir zunutze gemacht, dass damals soziale Netzwerke zu boomen begannen und das Internet den idealen Raum für eine solche Erklärung bot. Und siehe da: Ich fühlte mich von einem ­Moment auf den nächsten befreit. Die ganze Dimension darüber hinaus dämmerte mir erst viel später.

Durch die Reaktionen Ihrer Fans?

Vielleicht sind es sogar nicht alles Fans gewesen. Aber es ist wundervoll, wie mich bis heute immer wieder Personen angesprochen oder angeschrieben haben, um mir zu danken, dass ich an die Öffentlichkeit gegangen bin. Zu hören, dass mein Brief irgendwem geholfen hat, sich selbst oder jemanden in seinem Umfeld zu akzeptieren, ist quasi das Sahnehäubchen auf meinem Coming-out gewesen.