Wiederentdeckt: Ugg Boots 

Comeback der Nullerjahre :
Als Nachhaltigkeit noch ein Nischenthema war

Lesezeit: 4 Min.

Diese drei Zeichen folgen kryptisch aufeinander, und zugleich ist damit alles gesagt: Y2K. Von Y2K ist die Rede, wenn junge Frauen makellos po­lierte Nägel mit schneeweißen Spitzen tragen, French Nails. Oder in Ugg-Boots Richtung Frühling laufen. Wenn sie in Partytops zu Jeans, in Ballerina-Schläppchen an den Füßen und dicken Silberketten um den Hals ausgehen.

Das alles ist Y2K, die Kurzform von year two thousand, weil Trends heute für die Verbreitung über die sozialen Medien auch immer irgendeinen Trendbegriff brauchen. Der entscheidende Unterschied zu Barbiecore, Grandma Chic oder Quiet Luxury ist aber, dass diese Y2K-Requisiten eine Ära zitieren. Menschen von Mitte 30 aufwärts kommen sie häufig bekannt vor. Dafür begeisterten sie sich doch schon mit 15, 16, 17. Diese Teile bestaunten sie doch damals in der „Instyle“ und der „Glamour“.

Nach den Comebacks der Sechziger, Siebziger-, Achtziger- und Neunziger- folgen jetzt – wie erwartet – die Nullerjahre. Die Mode bedient sich seit Jahrzehnten an dem, was schon mal da gewesen ist. Schema F funktioniert zuver­lässig: Eine Dekade steht für einen ganz bestimmten Look. Erst trauen sich die Jungen und Progressiven, irgendwann gewöhnt sich das Auge, und das Ganze wird zum Allerweltstil. Noch ein bisschen länger, und die Teile, die gerade noch cool waren, haben es schon wieder hinter sich. Es vergeht eine Schamfrist, 20, 25 Jahre. In dieser Zeit werden neue Menschen geboren, wachsen mit eigenem Stilempfinden heran und entdecken, wie jetzt, auf einmal Generation Z und Alpha: Gliederketten von Tiffany & Co., Ugg-Boots, Hüftjeans.

Die Mode kann weder ohne die Jugend, noch ohne das Geld

Nur ist Mode eben immer beides, ein popkulturelles Gut und ein von zumeist Großkonzernen gesteuertes Wirtschaftsprodukt. Die Mode kann weder ohne die Jugend noch ohne das Geld, und reiche Eltern allein würden für Letzteres wohl kaum genügen. Auch deshalb dürfte das Modecomeback einer Dekade im großen Stil immer erst so spät folgen, dass jene, die sie im Original erlebt haben, jetzt in der Lage sind, ihren Konsum selbst zu finanzieren. Wer in den Nullerjahren Teen­ager war, geht heute allmählich auf die 40 zu und kann sich, wie praktisch, mit diesem Modetrend an die eigene Jugend erinnert fühlen. Diese freiheitlichste aller Zeiten, wie wohl jeder nach 1950 geborene Mensch seine eigene Adoleszenz im Rückblick verklären würde.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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Mit Blick auf das Modebusiness ist da vielleicht wirklich etwas dran. Der 11. September 2001 mag zur ersten großen Finanzkrise des Jahrzehnts geführt haben, aber sobald sich Amerika berappelt hatte, wurde Geld ausgegeben bis zum Abwinken. New York wurde zum Epizentrum dieser Nullerjahre. Die Investmentbanken hatten die Boni für ih­re Mitarbeiter noch nicht gedeckelt (das kam in vielen Märkten erst nach der zweiten Finanzkrise Ende des Jahrzehnts), und nach dem Prinzip, wo Geld ist, da kann auch Kunst existieren, gründeten junge Designer eben dort ihre Labels – Thakoon Panichgul, Phillip Lim, Derek Lam, Alexander Wang. Marc Jacobs war auf der Höhe seines Schaffens. Die nach Manolo-Blahnik-Schuhen ver­rückte Figur Carrie Bradshaw führte in der Hit-Serie „Sex and the City“ im Verbund ihrer drei Freundinnen ein Leben, dem junge Frauen in der echten Welt nacheiferten.

Makellos: French Nails sind im Zuge des Nullerjahre-Hypes wieder modern – und faszinieren auch junge Menschen.
Makellos: French Nails sind im Zuge des Nullerjahre-Hypes wieder modern – und faszinieren auch junge Menschen.Gallery Stock

Plötzlich war Mode dank der Digitalisierung überall

Designertaschen gab es schon vorher, aber auf einmal handelte es sich nicht mehr um Objekte, sondern um einen Hype. Die It-Bag war geboren. Sie war ja überall sichtbar, in den eingangs erwähnten Magazinen, in Onlineshops wie My­theresa und Net-A-Porter, die auf einmal wie Krokusse im Spätwinter aus dem Boden schossen. Conspicuous Consumption wurde zum Stichwort – Geltungskonsum. Wenn man für Mode bis dato an den richtigen Orten auf der Welt ver­weilen musste und sie überhaupt nur in kleinen Rationen über einmal im Monat erscheinende Zeitschriften und saisonale Ladensortimente zugeführt bekam, war sie dank der Digitalisierung plötzlich überall. Auf Style.com landeten die Bilder von den Laufstegkollektionen, samt Rezension und Eindrücken aus der Front Row am nächsten Morgen. Kurz darauf erreichten Kopien dieser Entwürfe schon die Fast-Fashion-Filialen, Topshop, H&M, Zara, Primark. Da war Nachhaltigkeit allenfalls ein Nischenthema.

Leben, dem junge Frauen hinterhereiferten: Carrie Bradshaw im Verbund ihrer Freundinnen in „Sex and the City“.
Leben, dem junge Frauen hinterhereiferten: Carrie Bradshaw im Verbund ihrer Freundinnen in „Sex and the City“.Picture Alliance

Mit der Finanzkrise hielt das schlechte Gewissen in der Mode Einzug: Net-A-Porter verschickte fortan an die Luxusklientel optional in schlichten braunen Kartons. Überkonsum wurde zum anerkannten Problem, als die ersten Primark-Papiertaschen noch beim Shopping auf der Straße rissen, und ihre Be­sitzer die Billigware einfach liegen lie­ßen. Ein paar Jahre später, 2013, stürzte in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza ein. Die Arbeit im Namen unseres Appetits auf ständig Neues riss mehr als 1100 Menschen in den Tod.

Die Partystimmung ist in der Mode längst vorbei. Und zugleich ist die Musik lauter denn je. An die Stelle der Fast-Fashion der Nullerjahre ist die Ultra-Fast-Fashion der Zwanzigerjahre getreten. Shein und Temu vermüllen die Welt noch mehr. Die Europäische Union diskutiert zu Recht über Grenzen von Überproduktion für Unternehmen und sinnvolles Recycling für Verbraucher. Auch so kann man diesen NullerjahreTrend betrachten: Wenn Frauen ihre Ugg-Boots von damals abschneiden, um sie heute in der angesagten Minivariante zu tragen, dann müssen sie immerhin nichts Neues kaufen.