Verlagsspezial

Im Spannungsfeld von Innovation und Versorgung

Von Anna Seidinger
Lesezeit: 6 Min.
Die Dermatologie gehört heute zu den innovativsten Fachgebieten der Medizin. Doch das bedeutet nicht, dass alle Patienten bestmöglich versorgt werden. Ein Gespräch mit Leena Bruckner-Tuderman, Präsidentin der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, und Ralph von Kiedrowski, i. V. Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen, über die Fortschritte bei der Behandlung von Hautkrankheiten und die Herausforderungen, die neuen Erkenntnisse den Betroffenen zur Verfügung zu stellen.
Der Strom neuer Forschungserkenntnisse und neuer Wirkstoffe hält in der Dermatologie ungebrochen an. Frau Professor Bruckner-Tuderman, können wir alle Hautkrankheiten heilen?
Leena Bruckner-Tuderman: In der Tat waren die Fortschritte der vergangenen Jahre sehr erfreulich. Jetzt stehen neue wissenschaftlich begründete Behandlungsmöglichkeiten für die großen Krankheitsgruppen wie die Psoriasis, Hauttumore und seit kurzem auch für die Neurodermitis zur Verfügung. Jedoch gibt es für die therapieorientierte Forschung noch viele Herausforderungen zu bewältigen. Denn die Dermatologie ist ein großes Fachgebiet, und zahlreiche Erkrankungen – der Haut – vor allem entzündliche oder auch seltene, genetische Erkrankungen benötigen noch spezifische Therapien. Gerade bei diesen sind die Krankheitsmechanismen nicht ausreichend geklärt und dadurch die Entwicklungen wirksamer Therapien erschwert. Wir können heute optimistisch sein, dass die weltweite klinische Forschung kontinuierlich neue Behandlungsansätze liefern und für mehr und mehr Erkrankungen der Haut bessere Therapie-Optionen bringen wird.
Herr Dr. von Kiedrowski, wie sieht die ­Realität in der Versorgung aus, ganz ­konkret, wo kommen die neuen Wirk­stoffe an und wo nicht?
Ralph von Kiedrowski: Grundsätzlich kommen neue Wirkstoffe in der Versorgung zufriedenstellend bis gut an. Allerdings gibt es keine homogene Verteilung, sondern starke regionale Unterschiede: Es besteht ein Nord-Süd- und ein Ost-West-Gefälle hin zu einer schlechteren Versorgung. Dieses Versorgungsgefälle erklärt sich nicht durch die Krankheitsbilder, nicht durch die Patienten oder gar die Qualität der medizinischen Ausbildung der Ärzte, sondern durch die sehr unterschiedlichen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen. Ich meine insbesondere die über den einzelnen Ärzten und Praxen schwebende Gefahr der persönlichen Haftung für getätigte Arzneimittelverordnungen durch vermeintliche Unwirtschaftlichkeit. Schon allein der Begriff Unwirtschaftlichkeit steht nicht mit ärztlicher Heilkunst und patientenzentrierter medizinischer Versorgung im Einklang. Es handelt sich vielmehr um ein in Europa einzigartiges Phänomen, bei dem ein mitunter unmenschliches Prüfszenario versucht, imaginäre Ängste vor Regressforderungen aufzubauen, um Verordnungsre­striktionen und Rationierungen medizinischer Behandlungen auf den Arzt zu verlagern.

Außerdem ist bei einzelnen Krankheitsbildern, wie in der Dermato-Onkologie oder bei chronisch-entzündlichen Dermatosen, eine zunehmende Spezialisierung der Ärzte zu beobachten. Das verbessert die Patientenversorgung, bedeutet aber längere Wege für die Patienten in ländlichen Regionen.

Freiburg Institute for Advanced Studies
Die Ursachen von Hauterkrankungen sind vielfältig. Können Sie diese für Laien darstellen?
Leena Bruckner-Tuderman: Die genetischen und molekularen Ursachen sind sehr komplex. Man darf sich prinzipiell zwei verschiedene Situationen vorstellen. Einerseits kann es eine direkte genetische Ursache, eine Genmutation, für eine erbliche Erkrankung geben. Ein Beispiel dafür ist die Epidermolysis bullosa, bei der eine Mutation zum Fehlen eines Proteins führt, das die Hautschichten zusammenhält. In der Folge verursachen kleinste Schärkräfte wie Reibung oder Druck Blasen, Wunden und Entzündungen der Haut. Andererseits kann eine genetische Veranlagung für eine Erkrankung vorliegen, die im Zusammenspiel mit den Umweltfaktoren die Krankheitsentstehung begünstigt. Bei den betroffenen Menschen liegt eine Kombination mehrerer Genvarianten vor, die zusammenwirken, verschiedene Entzündungskaskaden auslösen und so eine Krankheit oder einen Krankheitsschub auslösen können. Ein Beispiel dafür ist die Neurodermitis. Im Hintergrund spielen eine anlagebedingte Trockenheit der Haut und eine Allergieneigung eine Rolle. Wenn ungünstige Umweltbedingungen dazukommen, wie zum Beispiel trockene Winterluft, Hausstaub, enger Kontakt mit Haustieren oder auch Stress, entsteht eine besondere Entzündungssituation, Botenstoffe werden freigesetzt, und dadurch wird ein Krankheitsschub ausgelöst.
BVDD
Die neuen Medikamente können teilweise enorme Behandlungserfolge erzielen, so dass bestimmte Patienten symptomfrei oder sogar als geheilt bezeichnet werden können. Wie wirken sich diese Erfolge auf das klinische Studien-Design aus?
Leena Bruckner-Tuderman: Klinische Studien sind weiterhin sehr wichtig. Es geht darum, bessere medikamentöse Behandlungen mit weniger Nebenwirkungen zu erzielen – entweder durch neue Medikamente, durch niedrigere Dosierung der bekannten Medikamente oder auch durch Kombinationen von Medikamenten. Solche Fragen können nur durch hochqualitative klinische Studien zuverlässig beantwortet werden. Bei den seltenen Erkrankungen der Haut liefert die Forschung immer mehr Behandlungsansätze, die im Tiermodell positive Ergebnisse zeigen und dann bezüglich Sicherheit und Wirksamkeit bei Menschen in klinischen Studien überprüft werden müssen. Die hohe Aktualität und Bedeutung von klinischen Studien wird auch dadurch deutlich, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftsrat erst vor wenigen Wochen konkrete Empfehlungen zu klinischen Studien veröffentlicht haben.
Menschen mit Hautkrankheiten leiden häufig doppelt – unter der Krankheitslast und unter gesellschaftlicher Ausgrenzung. In welchen Bereichen gibt es noch Bedarf an wirksamen Medikamenten?
Ralph von Kiedrowski: Viele der Krankheitsbilder sind chronisch und von ihrer Entstehung her mit komplexen genetischen Ursachen verbunden. Diese Krankheiten sind – wenn überhaupt – nur behandelbar, aber nicht heilbar. Für viele Erkrankungen bedarf es neuer Alternativen zu äußerlichen und innerlichen Steroidtherapien, wozu der bekannte Wirkstoff Kortison zählt. Zudem müssen die Medikamente sicher, auf lange Sicht verträglich und für die Patienten auch einfach anzuwenden sein.
Welche Patienten dürfen darauf hoffen, dass in absehbarer Zeit neue Therapien zur Verfügung stehen?
Leena Bruckner-Tuderman: Es sind zahlreiche gezielte Therapien in der Entwicklung. Das heißt, innovative wissenschaftlich begründete Therapien, die auf unterschiedliche Weise Zellfunktionen beeinflussen und die Krankheitssymptome reduzieren können. Solche Therapien werden zurzeit sehr aktiv für entzündliche Erkrankungen, Allergien und Tumoren entwickelt. Dazu kommen Gen-, Zell- und medikamentöse Therapien für genetisch bedingte seltene Erkrankungen der Haut. Aber zu den Innovationen gehören auch Weiterentwicklungen von schon zugelassenen Therapien, die bezüglich ihrer Wirksamkeit und Nebenwirkungsprofil verbessert werden.
Menschen mit Schuppenflechte profitieren von vielen neu zugelassenen Wirkstoffen, gerade bei den schweren Ausprägungen gibt es beeindruckende Erfolge mit Biologika. Wie sieht es bei der Behandlung von mittelschweren Formen aus?
Ralph von Kiedrowski: Nach der aktuellen Behandlungsleitlinie ist bereits eine mittelschwere Ausprägung eine absolute Indikation für eine Systemtherapie. Das muss nicht zwingend immer ein Biologikum sein, denn auch die konventionellen Therapeutika haben bei diesen Verläufen akzeptable Ansprechraten und sind für die Langzeittherapie durchaus geeignet. Nur eine Lokaltherapie soll bei diesen Patienten keinesfalls alleine angewendet werden, das entspräche nicht dem Stand der Leitlinie!

Bei leichten Formen, zum Beispiel an Nägeln, wird öfters mal abgewartet. Sollte da nicht konsequenter behandelt werden?
Ralph von Kiedrowski: Eine Schuppenflechte sollte immer konsequent behandelt werden – mit dem Ziel einer größtmöglichen Erscheinungsfreiheit und einer möglichst guten Patientenzufriedenheit. Dies bedeutet, dass leichte Formen sicherlich zunächst der topischen Therapie zugeführt werden sollten. Doch in Fällen, wenn eine solche Behandlung nicht greift, ist dann konsequent ein „Upgrading“ hin zur Systemtherapie einzuleiten. Ob eine leichte Psoriasis an den Nägeln der Hände überhaupt als „leichte Schuppenflechte“ anzusehen ist, wäre sicherlich eine interessante Diskussion – gerade deshalb, weil diese Form als medizinischer Hinweis für eine Psoriasis-Arthritis gilt. Nach Europäischem Konsensus bedeutet ein deutlicher Befall von zwei und mehr Fingernägeln in jedem Fall aber ein Upgrading zur mittelschweren Erkrankungsform.
Welche Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Jahren?
Ralph von Kiedrowski: Unser Fachgebiet steht vor großen Aufgaben in der Versorgung. Besonders die demographische Entwicklung wird zu weiter steigenden Patientenzahlen führen, was sich vor dem Hintergrund des bereits bestehenden Ärztemangels doppelt auswirken wird. Ein Punkt, der von Politik und Kostenträgern noch schöngeredet wird. Es braucht dringend Anreize für die Ärzte, in die freiberufliche Niederlassung zu gehen. Bürokratismus, Budgetierung und Regressdrohungen sind keine geeigneten Mittel, die ambulante, wohnortnahe dermatologische Versorgung – mit ihren zahlreichen Innovationen für die Behandlung von Patienten – flächendeckend zu gewährleisten und im nächsten Schritt dauerhaft zu sichern. Es muss sich betriebswirtschaftlich für einen Arzt rechnen, Kranke zu behandeln, und Kostenträger müssen aufhören, unbegrenzte Leistungsversprechen in einem budgetierten System zu geben.
Leena Bruckner-Tuderman: Die wissenschaftlichen Fortschritte und Erkenntnisse haben die Dermatologie stark wachsen und vielseitiger werden lassen. Das Fach kann als ein großes System- und Querschnittsfach verstanden werden, das durch Komplexität der Erkrankungen, Multimorbidität vieler Patienten, molekulare Diagnostik, Schnittstellen mit anderen Fächern und personalisierte Systemtherapien gekennzeichnet ist. Dies alles bedeutet eine neue Dimension des Informationsbedarfs und lebenslanges Lernen für alle Berufsgruppen in der Medizin. Diese große Herausforderung muss auch hinsichtlich der Work-Life-Balance und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Einklang gebracht werden. Ich bin zuversichtlich, dass hier die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung, inklusive der Künstlichen Intelligenz und Telemedizin, helfen werden, positive Lösungen zu finden.

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