Soziale Systeme :
Und, hat es Zoom gemacht?

Von Boris Holzer
Lesezeit: 3 Min.
So ein virtuelles Tête-à-tête muss man sich nicht immer schöntrinken.
Mit Drinks, dem besten Hemd und, wenn es sein muss, Photoshop: Untersuchungen über das Dating in Zeiten der Pandemie.

Situationen der Kontaktaufnahme und des Kennenlernens sind mit Ungewissheiten behaftet: Treffen die eigenen Avancen auf Zustimmung? Werden sie überhaupt richtig interpretiert? Viele Beziehungsansätze fänden ein jähes Ende, würde nicht eine Seite die Erfolgschancen überschätzen, damit sie tatsächlich realisiert werden können. Es ist daher kein Zufall, dass derartige Situationen oft stark ritualisiert sind: Formelhafte Begrüßungen und unverfänglicher Small Talk schaffen ein Fundament der Erwartungssicherheit, auf dem die Beziehung wachsen kann. Informelle Regeln, wann welcher Schritt angebracht ist, und gegebenenfalls auch, von wem er zu erwarten ist, geben ein wenig Halt, damit Ungewissheit und Zweifel nicht schon den Anfang blockieren.

Und wer meint, die Zeiten eines einigermaßen voraussehbaren Ablaufs seien zumindest bei der Partnersuche vorbei, der irrt. Nach wie vor gibt es eine Reihe von Phasen, die in der Regel antizipiert und durchlaufen werden. Das zeigt sich wie andere für selbstverständlich gehaltene Regeln des sozialen Lebens vor allem dann, wenn der normale Ablauf gestört wird.

Zum Glück gab's bereits Tinder & Co.

Für persönliche Beziehungen war dies während der Covid-19-Pandemie und der zu ihrer Eindämmung verfügten Kontaktbeschränkungen der Fall. Eine amerikanische Soziologin hat diese Zeit genutzt, um sowohl den üblichen als auch den alternativen Verlauf von Datingprozessen zu untersuchen. Sie protokollierte die Erfahrungen von Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher sexueller Orientierungen während der Pandemie und traf auf einige Kreativität, wenn es darum ging, Hindernisse, die das persönliche Aufeinandertreffen betrafen, aus dem Weg zu räumen.

Den Untersuchungsteilnehmern kam zupass, dass sich die Kontaktanbahnung bereits zuvor in die digitale Sphäre verlagert hatte: Dating-Websites und Apps waren bereits populär genug, um die digitale Partnersuche für selbstverständlich zu halten. Dies war während der Lockdowns nicht nur weiterhin möglich, sondern es gab sogar viel mehr Zeit dafür. Also wurde fleißig auf den Displays gewischt: Die App Tinder hatte den „Swipe“ als Geste für die Annahme oder Ablehnung von Partnervorschlägen etabliert – nach links in die Ablage, nach rechts in die Auswahl. Doch der nächste Schritt, der zuvor in der Regel in die Offline-Welt geführt hatte, war nunmehr zeitweise versperrt.

Sachlich betrachtet, wäre die Dusche nicht nötig gewesen

Welche Alternativen wurden nun entwickelt und ausprobiert, um dennoch eine Fortsetzung oder sogar eine Vertiefung begonnener Beziehungen zu ermöglichen? Wie die meisten anderen Lockdown-Betroffenen verlegten sich die Flirtenden auf die Videotelefonie. Um jeden Anschein eines Büromeetings zu vermeiden, versuchten viele, das Treffen in der Kneipe zu simulieren, sei es nur durch einen sichtbar platzierten Drink.

Darüber hinaus berichteten viele Befragte, dass sie auch an anderen Konventionen des ersten Dates festhielten, obwohl diese nun keine Funktion mehr hatten, zum Beispiel eine Dusche nahmen oder das bewährte Hemd fürs erste Date anzogen. Diese scheinbar sinnlosen Handlungen konnten dann im Gespräch so thematisiert werden, dass die Beteiligten von den Vorteilen einer gewissen Distanz zur eigenen Rolle profitieren konnten, die in solchen Situationen eigentlich unüblich ist. Dies schloss auch ein, dass größere Abweichungen vom üblichen Skript geduldet wurden, zum Beispiel, dass man sich vorher über Themen der Unterhaltung wie über eine Tagesordnung verständigte.

Größere Schwierigkeiten entstanden dabei, im Falle gegenseitiger Sympathie irgendeine Form der Steigerung im digitalen Medium abzubilden. Manche verlegten sich darauf, synchron, aber eben nicht gemeinsam zu Abend zu essen oder sich einen Film anzusehen. Andere versuchten es mit stundenlangen Videogesprächen, während sie ihren Haushalt erledigten. Schließlich gab es diejenigen, die schneller zur Sache kommen wollten und sich gegenseitig freizügige Fotos zuschickten.

Der Rückgriff auf asynchrone Kommunikation machte jedoch den Vorteil der Videotelefonie zunichte, dass die Unkontrollierbarkeit der vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten auch Authentizität bedeutet: Manche konnten der Versuchung nicht widerstehen, ihr digitales Bildmaterial zu bearbeiten und aufzuhübschen. Das mag in dem einen oder anderen Fall zu Überraschungen geführt haben, als persönliche Treffen wieder möglich waren. Man könnte darin aber auch ein weiteres digitales Äquivalent für einen wichtigen Aspekt des Offline-Datings sehen: Was dort der Alkohol regelt, musste unter Pandemiebedingungen eben die digitale Bildbearbeitung leisten.