Cybercrime :
Woher die Kriminalität im Internet stammt

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Geographische Verteilung eines Botnets aus Zombierechnern: Wo die Täter wirklich stecken, ist bei Cyberkriminalität schwer zu sagen. (Symboldbild)
Forscher haben eine globale Karte der Cyberkriminalität erstellt. Demnach geht von Russland die größte Gefahr aus. Deutschland sticht auf einem Feld hervor.

Die größten Bedrohungen bei der Cyberkriminalität stammen aus einer Handvoll Länder, während quer über den Globus verteilt zumindest kleinere Gefahren lauern. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter 92 Experten für Internetkriminalität. Es handelt sich um die bislang größte derartige Untersuchung des Phänomens. Sie könnte Ermittlern bei der Jagd auf Cyberkriminelle helfen, weil sie nicht nur die bekannten Hotspots beleuchtet, sondern auch Länder, die man auf den ersten Blick nicht mit Verbrechen in der digitalen Sphäre in Verbindung bringt – darunter auch Deutschland.

Bei der Umfrage geht es explizit um profitorientierte Cyberkriminalität. Dazu gehören etwa Angriffe mit Erpressungssoftware, bei denen die Täter Computersysteme ihrer Opfer verschlüsseln und sie erst gegen ein Lösegeld wieder brauchbar machen. Hinzu kommen Identitätsdiebstahl, der Klau von Kreditkartendaten und Betrugsmaschen über das Internet. Allein in Deutschland entstehen dadurch Jahr für Jahr Schäden von mehr als 200 Milliarden Euro, schätzt der Branchenverband Bitkom. Weltweit belaufen sich die Schätzungen auf umgerechnet mehrere Billionen Euro.

Die Täter sind kaum zu orten

Um die Gefahr zu bekämpfen, muss man wissen, woher sie kommt. Doch das ist nicht einfach, denn wo die Täter stecken, ist bei der digitalen Kriminalität oft kaum herauszufinden. Die Ganoven leiten ihren Internetverkehr mitunter über verschiedene Systeme, um ihren Standort zu verschleiern. Internationale Banden operieren über Ländergrenzen hinweg und nutzen Hardware in verschiedensten Teilen der Welt.

Der amerikanische Datenwissenschaftler Alex Kigerl, brachte es 2011 im Magazin „Social Science Computer Review“ auf den Punkt: „Wo die Cyberkriminellen leben, ist nicht unbedingt der Ort, von dem aus die Cyberangriffe erfolgen“, schrieb er und führte aus: Ein Täter aus Rumänien könne Zombierechner in den Vereinigten Staaten kontrollieren und von dort aus E-Mails mit Links zu gefährlichen Seiten in China an Länder in der ganzen Welt senden. Das Problem ist seither nicht kleiner geworden.

Die aktuelle Umfrage soll endlich Klarheit schaffen. Forscher aus dem Vereinigten Königreich, Australien und Frankreich haben dafür zunächst Experten herausgesucht, die seit mindestens fünf Jahren selbst Fälle von Cyberkriminalität ermitteln und verfolgen und daher aus erster Hand berichten können. 92 dieser Experten nahmen an der Umfrage Teil, wobei ihre geographische Verteilung eine Einschränkung der Studie darstellt. 39 der befragten Fachleute kamen aus Europa, 27 aus Nordamerika, auf den Rest der Welt entfielen 26 Experten. Trotz großer Bemühungen sei nicht gelungen, die Befragung repräsentativer zu gestalten, geben die Studienautoren zu.

Die Fachleute sollten Länder nennen, in denen sie die größten Gefahren vermuten. Daraus haben die Forscher den so genannten „World Cybercrime Index“ berechnet und im Magazin „Plos One“ veröffentlicht. „Unser Ziel war, ein Maß für Cyberkriminalität zu erstellen“, erklärt Miranda Bruce, die an der University of Oxford zu organisierter Kriminalität forscht, die Idee hinter dem Index.

Die Spitzenplätze in dieser Rangliste sind keine Überraschung. Sie wird von Russland, der Ukraine und China angeführt, gefolgt von den Vereinigten Staaten, Nigeria und Rumänien – diese Staaten finden sich oft in Listen über Cyberkriminalität. Sie gehören zu der Handvoll Staaten, aus der die größte Bedrohung stammt.

Doch die Studie geht weiter ins Detail. So sollten die Experten auch angeben, in welchen Feldern der Cyberkriminalität die einzelnen Staaten die größte Bedrohung darstellen. Bei der Entwicklung von Technologien für Cyberattacken führt Russland die Liste vor der Ukraine und China an.

Was die Durchführung von Angriffen und Erpressung angeht, tut sich auf den ersten beiden Rängen nichts, aber auf Platz drei erscheint Nordkorea. Bei Betrugsmaschen im Internet landet hingegen Nigeria auf Platz eins. Die entscheidende Rolle bei der der Geldwäsche spielen wiederum Russland, die Ukraine und China.

Die Studie ließe sich als Grundlage für weitere Forschungsarbeiten verwenden. Wissenschaftler könnten den Index der Cyberkriminalität beispielsweise mit nationalen Kennzahlen wie dem Bildungsstand, der Verfügbarkeit des Internets oder dem Bruttoinlandsprodukt vergleichen und so herausfinden, welche Faktoren diese Form der Kriminalität begünstigen, schreiben die Autoren. Ließe man dieses Wissen in Präventionsprogramme fließen, könnte man manche Fälle von Cyberkriminalität vielleicht verhindern.

Trotz solcher Ideen zeigt sich Michael Waidner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie, von den Ergebnissen wenig beeindruckt. Er war an der Studie nicht beteiligt. Herauszufinden, welche Länder die Quelle von Cyberkriminalität seien, bezeichnet er zwar als „lohnendes Ziel“, sagt aber auch: „Wenn Sie mich gefragt hätten, dann hättet ich Ihnen aus dem Bauch heraus eine ähnliche Liste genannt.“ Die Erkenntnisse seien nicht neu. „Ich weiß nun lediglich, dass andere Leute – die sich damit vielleicht besser auskennen als ich – ähnliche Sachen denken wie ich“, erklärt er. Spannender wäre der Versuch gewesen, in die Ermittlungen zu Straftaten in den einzelnen Ländern hineinzuschauen, und daraus Schlüsse zu ziehen.

Miranda Bruce verteidigt ihr Vorgehen. Die Einschätzungen der befragten Experten basierten auf Beweisen. „Da wir die Cyberkriminellen selbst nicht befragen können, sind diese Experten die zuverlässigste Quelle“, sagt sie. Zudem seien die Ergebnisse durchaus nicht nur erwartbar. „Ich war überrascht, dass die Experten insgesamt 97 Länder genannt haben“, erklärt Bruce. Das sieht Vasileios Karagiannopoulos ähnlich. Er leitet das Zentrum für Cyberkriminalität und Wirtschaftskriminalität der britischen Universität Portsmouth und war an der Studie nicht beteilig. „Die Länder im Mittelfeld sind besonders wichtig, weil wir über die Situation der Cyberkriminalität dort nicht viel wissen“, sagt er.

Deutschland sticht bei der Geldwäsche hervor

Auch für Ermittlern könnte die Studie helfen. Die wüssten zwar, wo die größten Banden stecken, doch gerade in Russland komme man nicht an sie ran, sagt Karagiannopoulos. Aber wenn man wüsste, in welche anderen Länder die Kriminellen ihre Verbindungen pflegen, könnte man dort ansetzen: „Die großen Fische könnten sich zwar in einem Land verstecken, aber vielleicht müssen sie ihre Taten über Staaten lenken, wo die Behörden eher an Ermittlungen interessiert sind“, erklärt der Experte.

Deutschland könnte zu diesen Ländern zählen. In der gesamten Rangliste landet die Bundesrepublik auf Platz 18 und ist in den meisten Kategorien weit hinten, außer bei der Geldwäsche. Hier erreicht Deutschland den zehnten Platz. Den Grund dafür vermutet Philipp Maume, Experte für Recht der Kapitalmärkte von der TU München, in den allgemeinen Schwächen des deutschen Geldwäscherechts. „Das hat mit dem hohen Niveau des Grundrechtsschutzes zu tun, mit viel föderaler Kleinstaaterei, und gleichzeitig mit den limitierten Zugriffsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden“, erklärt er auf unsere Anfrage.

Nur wenige Straftaten im Internet werden angezeigt

Kryptowährungen hingegen sieht er nicht als ausschlaggebend. Cyberkriminelle nutzen die digitalen Werte zwar für ihre Machenschaften. Jedoch weiß Maume: „Vereinfacht gesagt, waren hierzulande schon lange Zeit Dienstleistungen im Kryptobereich reguliert und Deutschland ist bei den Handelsvolumina in diesem Bereich kein großer Player.“

Das Bundeskriminalamt zeigt sich interessiert an den Studienergebnissen. Carsten Meywirth, Leiter der Abteilung Cybercrime verweist gegenüber der F.A.Z. auf ein überdurchschnittlich großes Dunkelfeld. Viele Straftaten würden der Polizei nicht angezeigt. „Zusätzliche wissenschaftliche Erhebungen können hier einen wertvollen Beitrag zur Aufhellung leisten und den öffentlichen Diskurs befördern“, sagt er.

Das hoffen auch die Studienautoren. Miranda Bruce sagt, sie wisse zwar noch nicht, wie ihr Index in konkrete Entscheidungen einfließen werde, fügt aber hinzu: „Die Studie und die Datensätze sind vollständig frei zugänglich, sodass jeder die Daten für eigene Analysen nutzen kann.“

Die Umfrage unter den 92 Experten fand 2021 statt. Für Bruce ist sie lediglich ein Startpunkt. Ende letzten Jahres haben sie und ihre Kollegen eine neue Befragung durchgeführt. „Damit wir untersuchen können, ob wichtige globale Ereignisse einen Einfluss auf die Lage von Cyberkriminalitäts-Hotspots haben“, sagt sie. So dürfte sich bei der Analyse beispielsweise zeigen, ob der Krieg in der Ukraine, in dem digitale Angriffe auch eine Rolle spielen, einen Einfluss auf die Cyberkriminalität in der Region hat.