Welches Rad ist das richtige

Um das stete Bestreben, das Rad wortwörtlich neu zu erfinden, ist die Fahrradbranche selten verlegen. Auch die Ausdifferenzierung trägt nicht zur Übersichtlichkeit bei. Hinzu kommt der digitale Innovationsgeist, der vor allem, aber nicht ausschließlich, im Segment der E-Bikes grassiert. Die hier vorgestellten Hauptgattungen gibt es selbstredend auch mit elektrischer Unterstützung, wobei die Gedanken für Ausrichtung und Ausstattung weitgehend identisch sind. Rennrad Das Rennrad blickt auf eine lange Erfolgsgeschichte zurück, bis heute gilt es als reines Sportgerät. Auch wenn der klassisch anmutende Diamantrahmen in Kombination mit 28-Zoll-Laufrädern für Laien den Anschein erweckt, als hätte sich in jahrzehntelanger Genese wenig getan, dürfte die aktuelle Rennrad-Mittelklasse leistungsfähiger sein als das Profimaterial der Nullerjahre. Leichtbau ist Trumpf, Carbon das präferierte Material für Rahmen, Laufräder und diverse Komponenten. Etwas günstiger geht es mit Aluminium – Stahl gilt als retro. Neben den höherwertigen, besser verarbeiteten Materialien hat die Verbreitung der hydraulischen Scheibenbremsen für Furore gesorgt. Mittlerweile sind diesbezügliche Kontroversen ausgestanden, und auch die elektronische Schaltung hat es vom Hochpreissegment in die Amateurliga geschafft – im Einsteigersegment werden Gänge noch mechanisch gewechselt. Während der Umwerfer in vielen Radsegmenten ausgedient hat, ist die aktuelle Rennradgeneration vorwiegend mit Zweifachkurbeln ausgestattet. Neben der Abkehr von allzu schmalen Reifen spielt die Aerodynamik eine zunehmend wichtigere Rolle. Außerdem legen Hersteller ihr Augenmerk auf Komfortaspekte, denn wer bequem sitzt, fährt länger, weiter und schneller – Stichwort Endurance. Damit ist auch schon viel über das Fahrerprofil gesagt: Sportliche Radler, die gern Strecke machen, Höhenmeter sammeln und mit den Rädern auf Asphalt bleiben. Citybike Als Stadtrad kann man die Räder bezeichnen, die verwendet werden, um unkompliziert von A nach B zu kommen. Das Spektrum reicht vom behäbigen Hollandrad bis zum asketischen Speedbike. Folglich ist der Gattungsbegriff diffus. Da Citybikes oft ausschließlich mit seniorengerechten Tiefeinsteigern assoziiert werden, erweitern wir das Feld begrifflich um Commuterbikes – quasi die hippe und sportlichere Variante des Stadtrads. Losgelöst von Stilfragen geht es um robuste Vehikel, deren Pflegeaufwand überschaubar ist und die im Sinne des Gesetzgebers verkehrstauglich sind. Idealerweise sind solche Räder auch mit Schutzblechen und einem Gepäckträger oder einem Fahrradkorb versehen. Unabhängig von der Rahmenform und Zielgruppe bieten Aluminium und Stahl das ideale Verhältnis aus Budgetfreundlichkeit und Nehmerqualitäten. Federelemente sind ungewöhnlich und am ehesten an der Front anzutreffen. Die meisten Citybikes rollen auf stabilen 28-Zoll-Rädern, die auch mal auf Tuchfühlung mit Bordsteinkanten gehen können. Bei der Reifenwahl gilt es Ungemach in Form von Scherben, Kopfsteinpflaster und Straßenbahnschienen zu bedenken. Also lieber etwas breiter und die Priorität auf Pannensicherheit statt Gewicht legen. Nabenschaltungen sind wartungsarm und in Sachen Übersetzung meist ausreichend. Kombiniert mit einem Riemen, entfällt die Antriebspflege fast gänzlich und die Hose bleibt sauber. Gute Felgenbremsen sind in der Regel ausreichend und verschleißen langsamer als Scheiben-Pendants, die vor allem im E-Citybike- und sportlichen Commuter-Segment Verwendung finden. Strom für die möglichst fest verbauten Lichter liefert idealerweise ein Nabendynamo. Manche Modelle haben sogar einen USB-Port an Bord. Falls täglich Treppen zum Fahrradkeller überwunden werden müssen, lohnt es sich, auf das Gesamtgewicht zu achten. City- und Commuterbikes sind für alltäglich radelnde Menschen erdacht, die sich wenig Gedanken um Funktion und Pflege ihres Fahrrads machen wollen. Lastenrad Vor allem in Großstädten gehört das Lastenrad mittlerweile zum Straßenbild. Nicht nur Familien mit Kindern, sondern auch Handwerker, Logistiker, Eis- und Kaffeeverkäufer oder Radkuriere setzen auf die Kapazitätsriesen unter den Zweirädern. Wobei das nicht ganz richtig ist, denn auch die dreirädrigen Gefährte werden der Gattung zugerechnet. Die Idee des Lastenrads ist fast so alt wie das Fahrrad selbst, verlor mit der Massenmotorisierung allerdings an Schwung, der erst mit dem E-Motor zurückkam. Bio-Lastenräder gibt es zwar auch noch, sie sind aber selten. Gemäß dem Einsatzzweck liegen die Prioritäten auf Stabilität und Nehmerqualitäten, nicht unbedingt auf Gewichtsoptimierung. Stahl und Aluminium sind daher naheliegende Rahmenmaterialien. Federelemente findet man am ehesten an der Front, viele Lastenräder sind gänzlich ungefedert. Bei den Bremsen werden idealerweise keine Kompromisse gemacht. Üppig dimensionierte hydraulische Scheibenbremsen sind das Maß der Dinge. Zugunsten der Wartungsarmut ist der Riemenantrieb in Kombination mit Nabenschaltung beliebt. Sogar automatische Schaltungen gibt es. Lastenräder kommen in diversen Formen und Größen daher: Stauraum hinten, Kiste vorn, verlängertes Heck mit großem Gepäckträger, überdimensionierte Pizza-Racks, Kompakt-Lastenräder – die Liste ist lang. Gerade beim Personentransport spielt das Thema Sicherheit eine große Rolle. Sitzplätze für Kinder haben idealerweise Dreipunktgurte, die Transportkisten dürfen darüber hinaus beim Aufprall nicht splittern. Auch der Umgang mit dem Lastenrad will geübt sein, denn trotz optimaler Schwerpunktverteilung sind die langen Schwergewichte im Handling gewöhnungsbedürftig. Lastenräder eignen sich vor allem für Leute mit erhöhtem Transportbedarf, die auf der Kurzstrecke eine Alternative zum Auto oder den öffentlichen Verkehrsmitteln suchen. Mountainbike Seit der Geburtsstunde in den Siebzigerjahren hat sich im Mountainbike-Bereich einiges getan. Mittlerweile ist das Geländerad in diverse Untergattungen ausdifferenziert und hat mit den stählernen Ur-Modellen kaum etwas gemein. Bei den Rahmenmaterialien haben sich Carbon und Aluminium durchgesetzt. Es gibt aber eine kleine Gemeinde von Stahlrahmen-Fans. Die Frage aller Mountainbike-Fragen lautet: Hardtail oder Fully? Also Federgabel oder gleich das komplett gedämpfte Fahrwerk? Die Kategorisierung orientiert sich am Federweg und der Geometrie gemäß dem präferierten Terrain. Los geht es bei 100 bis 120 Millimetern für uphillorientierte, leichtgewichtige Cross-Country- und Marathon-MTBs, die universelle Trail- und All-Mountain-Kategorie ist etwa zwischen 130 und 150 Millimetern angesiedelt. Danach folgt das Enduro-Segment bei 160 bis 170 Millimetern – alles darüber gilt als abfahrtsorientiertes Freeride- oder Downhill-Bike. Mit intensiverem Bergab-Faible steigt in der Regel auch das Gewicht, wobei hochpreisige Mountainbikes dank hochwertigerer Komponenten leichter sind als deren Budget-Pendants gleicher Ausrichtung. Die 26-Zoll-Laufräder der Pionierzeit sind nicht mehr en vogue, die meisten Mountainbikes rollen auf 29 oder 27,5 Zoll. Als Mullet bezeichnet man die Mischung der Laufradgrößen, wobei das größere Rad an der Front verbaut ist. Geschaltet wird mittlerweile fast ausschließlich am Hinterrad, wo Zwölffach-Kassetten für Bandbreite sorgen. Der Umwerfer gilt zusammen mit der Zwei- und erst recht der Dreifachkurbel als Auslaufmodell. Gänge werden überwiegend per Zug gewechselt, aber Funkschaltungen sind auf dem Vormarsch. Für optimale Verzögerungswerte hat sich die hydraulische Scheibenbremse etabliert, die je nach Abfahrtskompetenz mit mehreren Kolben auf tellergroße Bremsscheiben zugreift. Die bahnbrechendsten Erfindungen der letzten Jahre waren der Dropper-Post – also die per Knopfdruck absenkbare Sattelstütze – und der schlauchlose Reifen. Mountainbikes eignen sich im Allgemeinen für alle, die sowohl den Asphalt als auch die Forstautobahn gern hinter sich lassen und keine Berührungsängste mit Staub und Matsch haben. Gravelbike Das Gravelbike ist der Geländeableger des Rennrads. Charakteristisch ist der Rennlenker in Kombination mit mehr oder weniger breiten Reifen, die Abstecher jenseits des Asphalts ermöglichen. Der Schotterrad-Trend der letzten Jahre hält weiterhin an, was eine zunehmende Ausdifferenzierung zur Folge hat. An den Rändern des Einsatzspektrums kokettiert das Gravelbike einerseits mit dem Hardtail-Mountainbike, auf der anderen Seite mit Allroad-Rennrädern. Bei den Rahmenmaterialien sind Aluminium und Carbon vorherrschend, es gibt aber durchaus auch Stahl- und Titan-Vertreter. Das Gros der Gravelbikes verzichtet unter anderem aus Gewichtsgründen auf Federelemente, wobei vor allem Federgabeln nicht kategorisch ausgeschlossen werden. 28-Zoll-Laufräder sind Usus, teilweise werden aber auch 650B-Größen verbaut. Aufgrund anhaltender Popularität sind die in den Anfangszeiten verwendeten Rennrad-Komponenten den spezifischen Gravel-Gruppen gewichen. Je nach Übersetzungsansprüchen werden Gravelbikes mit Ein- oder Zweifachkurbel ausstaffiert. Verzögert wird mit Scheibenbremsen, die meist hydraulisch, seltener mechanisch bedient werden. Abenteuerlich angehauchte Kandidaten verfügen über diverse Zubehörgewinde an Rahmen und Gabel – Stichwort Bikepacking. Einige sind sogar für Gepäckträger geeignet und können mit kleinem Gepäck behängt werden. Schotterräder eignen sich für jene, denen Mountainbikes zu schwer und auf Asphalt zu behäbig sind, sich gleichzeitig aber nicht den Terrain-Limitierungen des Rennrads unterwerfen wollen. Trekkingrad Das Trekkingrad ist ein wahrer Allrounder. Einst basierte diese als Touren- und Reiserad erdachte Gattung auf den schlichten Stahl-Mountainbikes der Achtziger- und Neunzigerjahre, die mit diversen Anbauteilen für Langstrecken-Eskapaden umfunktioniert wurden. Heute sind Trekkingräder eigenständig und grenzen sich von Gravel- und Mountainbikes durch ihre alltagstaugliche, StVZO-konforme Ausstattung ab. So eignet es sich für diverse Einsatzzwecke zwischen Alltag, Schotter, leichtem Gelände und Reise. Wobei das spezifische Reiserad vereinfacht gesagt die extra robuste, optimierte Weiterentwicklung des Trekkingrads ist. Den 26-Zoll-Kinderschuhen ist das Trekkingbike entwachsen und rollt fast ausschließlich auf 28- oder 27,5-Zoll-Reifen mit geringem Rollwiderstand. Beim Rahmenmaterial wird vorwiegend auf Aluminium und Stahl gesetzt. Da das Gewicht wegen der Vollausstattung mit Licht, Dynamo, Schutzblechen und Gepäckträger ohnehin hoch ausfällt, machen hier ein paar Hundert zusätzliche Gramm keinen Unterschied. Eine Federgabel ist nicht per se ausgeschlossen. Entgegen den Trends zum Einfachantrieb verfügen Trekkingbikes oft noch über drei Kettenblätter und eine entsprechend opulente Gangauswahl. Vor allem im Reisebereich erfreuen sich Getriebeschaltungen, ob mit Kette oder Riemen, großer Beliebtheit. Gebremst wird zunehmend per Scheibenbremse, aber die Felgenbremse ist durchaus noch anzutreffen. Mit geradem Lenker – nicht selten mit Hörnchen an den Enden – und eher aufrechter Sitzposition stehen die Zeichen auf Komfort. Dem Trekkingrad haftet der Nimbus der Vernunft an. Es kann fast alles außer Sport, ist damit vor allem für Radler geeignet, die es etwas gemütlicher angehen lassen, langen Tagen im Sattel aber nicht abgeneigt sind und mit einem Rad ein großes Einsatzspektrum abdecken möchten.