Bernd Hölzenbein ist tot :
Zu dem das Spiel sprach

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Zeit zu feiern: Bernd Hölzenbein gewinnt mit Eintracht Frankfurt 1981 den DFB-Pokal.
Bei Eintracht Frankfurt und in der Fußball-Nationalmannschaft trat der Hesse als begnadeter Dribbler, Vorbereiter und Torschütze auf: Nun ist der Weltmeister von 1974, das „Schlitzohr“, im Alter von 78 Jahren gestorben.

Es gibt viele, die behaupten, Bernd Hölzenbein hat Deutschland zum Fußball-Weltmeister 1974 gemacht. Eine gewagte These. Denn es bedurfte zusätzlich eines Paul Breitners, der den vom Frankfurter herausgeholten Elfmeter im WM-Finale 1974 gegen die Niederlande verwandelte, eines Gerd Müllers, der den 2:1-Siegtreffer auf unnachahmliche Art und Weise „ermüllerte“ und eines Torwartes Sepp Maier, der Kopf und Kragen riskierte, um das mehrmals mögliche Ausgleichstor des überlegenen Gegners zu verhindern.

Wie hoch man nun Hölzenbeins Beitrag am zweiten deutschen WM-Titel auch einschätzt – sein Solo und sein Sturz in der 23. Spielminute des Endspiels von München haben eine ikonische Bedeutung in der deutschen Fußball-Geschichte erlangt: Hölzenbeins „Schwalbe“ – das Wort fand durch ihn den Weg in den Sprachgebrauch niederländischer Fußballfans – reiht sich ein in die großen Momente wie Rahns Linksschuss zum 3:2 1954 in Bern oder das Wembley-Tor von 1966.

Wobei Hölzenbeins Dribbling erst mit einer Verzögerung von mehreren Wochen seine gewaltige Bedeutung entwickelte: Als der englische Schiedsrichter Taylor mit Überzeugung in die Pfeife blies, gab es keinerlei Debatten, dass er damit ein Foul des Niederländers Wim Jansen an dem Stürmer der Frankfurter Eintracht ahndete. Kein Spieler in den orangen Trikots wandte sich protestierend an den Unparteiischen oder attackierend an den Deutschen, ihm eine Betrugsabsicht unterstellend. Die einzigen im Fernsehen dokumentierten Reaktionen sind Schuldeingeständnisse: Sünder Jansen reißt zweimal verärgert die Arme nach unten, Mitspieler Arie Haan macht eine vorwurfsvolle Armbewegung zur Seite in Richtung eines Nebenspielers, der nicht eingegriffen hatte.

Hölzenbein: „Ich habe mich nicht hingeworfen“

Die Diskussionen um den Elfmeter begannen erst Wochen später, nachdem die Falschmeldung in einer niederländischen Zeitung verbreitet worden war, dass Hölzenbein zugegeben habe, freiwillig gestürzt zu sein, also eine „Schwalbe“ produziert zu haben. Die Nachricht wurde in Deutschland aufgegriffen. Auf Nachfrage räumte Hölzenbein, grundehrlich, ein, dass der Schiedsrichter nicht unbedingt einen Elfmeter hätte geben müssen, obwohl er von Jansens Fuß berührt worden sei.

Im Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen ging Hölzenbein vor Jahren noch mal ins Detail: „Wenn du mit hoher Geschwindigkeit plötzlich die Richtung wechselst, dann braucht es nicht viel, um aus dem Gleichgewicht zu geraten. So war es bei Jansen. Er hat mich berührt, ich habe mich nicht hingeworfen, aber es gibt Schiedsrichter, denen es zu wenig für einen Elfmeter gewesen wäre.“

Seine „offizielle Version“, auf die er sich bald verlegte und jahrzehntelang durchhielt: „Klarer Elfmeter.“ Aber damit konnte er die Zweifel an seiner Fußballspielerehre nicht mehr einfangen. Aus dem „Dribbelkönig“ Hölzenbein wurde in den Niederlanden ganz schnell der zur weiteren Beschimpfung freigegebene „Schwalbenkönig“ Hölzenbein und irgendwann war auch in Deutschland sein Name belastet. Das tat ihm weh.

Hölzenbein war ein sensibler Mensch, einer, der zu Selbstzweifeln neigte. Mit der Robustheit und dem Ego von Paul Breitner oder auch Jürgen Grabowski hätte der 1946 im kleinen Ort Dehrn bei Limburg geborene Hesse sicher eine noch größere Karriere in der Nationalmannschaft erlebt, als sie ihm mit 40 Länderspielen inklusive WM-Titel 1974 und dem EM-Finale 1976 ohnehin glückte.

Er prägte das Spiel der Eintracht

In Frankfurt galt er als Held. Als Mitglied des Dreigestirns Jürgen Grabowski und Bernd Nickel prägte Hölzenbein über ein Jahrzehnt das Spiel der Eintracht, gewann dreimal den DFB-Pokal und 1980 den UEFA-Cup. Zur deutschen Meisterschaft reichte es nie, weil es dem spielstarken Trio an dem fehlte, was man heute als Resilienz bezeichnet. Sobald es in einem Spiel mal nicht lief, sobald die Gegner zu unangenehm auftraten, zogen die Stars der Eintracht schon mal das Füßchen zurück. Die Eintracht galt in dieser Zeit als die „Diva vom Main“.

Hölzenbein hatte keine Schwierigkeiten, Schwächen zuzugeben. Warum er erst mit 27 Nationalspieler wurde, erklärte er so: „Der damalige Bundestrainer Helmut Schön kam aus Wiesbaden und schaute sich viele unserer Heimspiele an. Er bekam also auch meine vielen schlechten Spiele mit und nicht nur die Highlights.“

Hölzenbein, mit 160 Bundesligatoren noch immer Rekordtorschütze der Eintracht in der obersten Fußballklasse, bot viele Höhepunkte. Kleine, große, skurrile. Er war ein begnadeter Dribbler, Vorbereiter und Torschütze, einer, zu dem das Spiel sprach, der Lösungen für komplizierte Spielsituationen spürte, erkannte und umsetzte, die sich anderen nie auftaten. Der Schriftsteller Eckhard Henscheid, ein großer Freund des Fußballs, rühmte „die Genialität von Hölzenbeins unauffälligen, heimlichen Spielzügen und Finten, seiner den Gegner gleichsam lächerlich machenden Pässe in den freien Raum“. Die Fans fassten solche kunstvollen Sätze in ihren Kosenamen für Hölzenbein zusammen: „Schlitzohr.“

Bernd Hölzenbein, hier 2013
Bernd Hölzenbein, hier 2013Picture Alliance

Müsste man Hölzenbeins ganzes Wirken für die Eintracht am Beispiel eines von ihm erzielten Tores erzählen, dann wäre der Kopfballtreffer im November 1979 zum 2:0 gegen Dinamo Bukarest in der Nachspielzeit die beste Vorlage. Der Treffer brachte die Eintracht in die Verlängerung und schuf die Voraussetzung für den Triumph im UEFA-Cup: Hölzenbein saß im Bukarester Strafraum verzweifelt auf dem Boden, weil er im strömenden Regen ausgerutscht und der letzte Frankfurter Angriff abgefangen war. Doch dann rutschte Torwart Stefan der glitschige Ball aus den Händen. Er landete genau auf Hölzenbeins Kopf – eine kurze Nickbewegung reichte und der Ball kullerte über die Linie. „Reines Glück“, sagte Hölzenbein und wehrte alle Gratulationen ab. Für die Fans war es ein Tor, wie es nur einer erzielen konnte: „Typisch Hölzenbein.“

Nach seiner Karriere als Spieler mit 420 Bundesligaspielen prägte er noch einmal das Geschehen der Eintracht. Acht Jahre lang wirkte Hölzenbein, der eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, als Vizepräsident und Sportmanager. Anfangs mit großem Erfolg. 1992 verspielte die Eintracht in Rostock erst am letzten Spieltag die deutsche Meisterschaft. Aber Hölzenbein verlor seinen gesunden Fußball-Instinkt, ausgezehrt von vereinsinternen Querelen. 1996 musste er gehen, die Eintracht war das erste Mal in ihrer Geschichte abgestiegen.

2001 wurde er von seiner Zeit als Funktionär eingeholt. Ein Gericht verurteilte ihn wegen Steuerhinterziehung zu einer Bewährungs- und einer hohen Geldstrafe. Für Hölzenbein brach eine Welt zusammen, weil er „nur unterschrieben hatte, was mir Schatzmeister Knispel vorlegte“. Die Vereinbarung mit Starstürmer Anthony Yeboah wurde jedoch vom Finanzamt nicht anerkannt. Wegen der hohen Anwaltskosten wähnte sich Hölzenbein ruiniert. „Es ist schlimmer, als wenn wir das WM-Finale gegen Holland verloren hätten“, sagte er damals.

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Diese Einschätzung revidierte Hölzenbein später, nachdem er mithilfe der Eintracht wieder auf die Beine gekommen war. Er war noch einige Zeit als Berater und Chefscout für seinen Herzensklub tätig, führte dann in seinen letzten Jahren zufrieden ein ruhiges Leben mit seiner Frau Jutta und seinen beiden Kindern, auf die er sehr stolz war. Am Montag ist Bernd Hölzenbein nach längerer Krankheit im Alter von 78 Jahren im Kreise seiner Familie gestorben.