Halbfinaleinzug bei French Open :
Für Zverev ist das süße Leben nun vorbei

Von Thomas Klemm, Paris
Lesezeit: 4 Min.
Alexander Zverev schlägt sich in Paris bis ins Halbfinale durch.
Im Schatten der ganz großen Stars fühlte Alexander Zverev sich wohl. Nun aber herrscht wieder Rummel um ihn. Der deutsche Tennisspieler steht nach Schwerstarbeit wieder im Halbfinale der French Open.

Als Alexander Zverev nach 3:22 Stunden Spielzeit gegen Tomas Martin Etcheverry seinen ersten Matchball verwandelt hatte, war es endgültig vorbei mit dem süßen Leben. Schluss damit, sich auf leisen Sohlen durch ein Grand-Slam-Turnier zu spielen: zwar von aller Tenniswelt für seine Fertigkeiten geachtet, aber angesichts zuvor monatelang mäßiger Ergebnisse nicht als Mitfavorit um den Turniersieg bei den French Open gehandelt.

Nachdem der Olympiasieger aber seine Schwerstarbeitsprobe beim 6:4, 3:6, 6:3, 6:4 gegen den Argentinier Etcheverry am Mittwoch gemeistert hat, steht der Hamburger wieder unter den besten vier, um die sich in Paris alles dreht. Nun herrscht wieder Rummel um Zverev. Wie im Vorjahr, als der 26-Jährige gegen den Rekordsieger Rafael Nadal lange Zeit auf Augenhöhe spielte, bis ihn ein folgenschwerer Fehltritt abrupt und für Monate stoppte. „Ich bin glücklich, durchgekommen und wieder hier zu sein“, sagte Zverev nach dem Match auf dem Court Philippe-Chatrier.

Spektakel im anderen Halbfinale

Der Olympiasieger hatte sich in der ersten Turnierwoche im Schatten vor allem der Herren Djokovic und Alcaraz ausnehmend wohlgefühlt, wie er stets betonte: wenig Aufmerksamkeit bedeutete für ihn zwar nicht geringere Ambition, aber weniger Druck von außen. Nach seinem hart erarbeiten Erfolg gegen den unermüdlichen Etcheverry hat Zverev zum sechsten Mal bei einem Grand-Slam-Turnier das Halbfinale erreicht, zum dritten Mal nacheinander bei den French Open. Boris Becker hatte einst seine ganze Profikarriere dafür gebraucht, um in Paris dreimal unter den letzten vier zu stehen.

Die höchsten Erwartungen lasten auch weiter nicht auf Zverevs Schultern. Das heiß erwartete Spektakel von Paris ist bis auf weiteres das Halbfinale zwischen dem serbischen Grand-Slam-Rekordsieger und Weltranglistendritten Novak Djokovic und dem spanischen Branchenführer und US-Open-Champion Carlos Alcaraz. Wer auch immer der beiden am Freitag gewinnt, wird zwei Tage später als Favorit ins Finale gehen.

Dem Gewinner des anderen Halbfinals zwischen Zverev und dem Norweger Casper Ruud, der den Dänen Holger Rune am Mittwochabend mit 6:1, 6:2, 3:6, 6:3 besiegte, werden geringere Titelchancen eingeräumt. Zu schlagfertig und lustvoll tritt Alcaraz derzeit auf, zu gut ist Djokovic in der Lage, sich in entscheidenden Phasen eines Matches zu fokussieren. Ruud hatte 2022 das Endspiel in Paris erreicht und gegen den dieses Jahr verletzt fehlenden Rekordsieger Rafael Nadal aus Spanien verloren.

Zverev konnten Wettquoten und Wahrsagerei bei seiner ersten Tagschicht nach drei Night Sessions nacheinander erstmal egal sein. Er hatte genug damit zu tun, den Etcheverry-Code zu entschlüsseln. Nach jeweils drei Aufschlagspielen hüben wie drüben schien der Hamburger gut zu wissen, wie er den überraschenden Vormarsch des ungesetzten Argentiniers in Paris stoppen könnte: von selbst aktiv werden, die Wucht von drüben noch übertreffen, den 23-Jährigen auf dessen Rückhandseite malträtieren und dann das geöffnete Feld ausnutzen.

„Ein unglaublicher Spieler“

Als Zverev dem Argentinier den Aufschlag zum 5:3 abnahm, funktionierte es gut. Durch das 6:4 wurde Zverev zum ersten Spieler, der in Paris gegen Etcheverry einen Satz gewinnen konnte. „Er ist ein unglaublicher Spieler“, der ihn an dessen argentinischen Landsmann Juan Martin del Potro erinnere, sagte Zverev nach dem Match.

Danach allerdings war es vorübergehend der Argentinier, der das Geschehen in die Hand nahm: mit seiner wuchtigen Vorhand und cleveren Stoppbällen. Etcheverry ist halt Sandplatzspezialist, 49. der Weltrangliste und kein Laufkunde, der sich ins Viertelfinale verirrt hatte. Die Aufgaben, die ihm der Gegner stellte, löste er zeitweise mit mehr Überzeugung als der Deutsche auf der anderen Seite. Etcheverry erkannte, dass er etwas gewinnen konnte, Zverev spürte, dass er einiges zu verlieren hatte.

Nach drei Aufschlagverlusten nacheinander hatte der Deutsche den zweiten Satz 3:6 verloren und war auch im dritten Durchgang auf die schiefe Bahn geraten. Doch nach einem 0:2-Rückstand rückte Zverev mit Macht und Gewalt alles wieder gerade und gewann den Satz 6:3. Dass er sich mit seinen Doppelfehlern oft das Leben selbst schwer machte, gehört zu Zverev wie seine goldenen Ketten um den Hals. Soll aber niemand die Leidensfähigkeit des Olympiasiegers unterschätzen!

Der vierte Satz hielt weitere harte Prüfungen bereit: In seinem zweiten Aufschlagspiel musste Zverev elf Minuten um jeden Ball kämpfen, bis er es endlich gewann. Nachdem ihm ein Break zum 4:3 gelungen war und er danach sein eigenes Service mit aller Müh‘ und Not gehalten hatte, durfte er den deftigen Schlagabtausch mit dem unermüdlichen Etcheverry selbst beenden. Nun kann sich Zverev vor seinem Halbfinale einen Tag ausruhen. Nötig hat er es.

„Und wo stehst du so?“

Tim Pütz ist dagegen schon einen Schritt weiter als sein Davis-Cup-Kollege. Der Frankfurter zog mit seiner japanischen Doppelpartnerin Miyu Kato am Mittwoch ins Mixed-Endspiel ein. Die beiden waren sich nach der Ankunft in Paris zufällig begegnet, als sie sich für die French Open anmelden wollten. Da beide mit ihren vorhergesehenen Partnern keine Turnierzulassung erhielten, entschlossen sie sich nach einem kurzen Wortgeplänkel („Und auf welcher Weltranglistenposition stehst du so?“) für eine gemeinsame Sache.

Mit zunehmenden Erfolg: Nach dem 7:5, 6:0-Halbfinalsieg über wie Indonesierin Aldila Sutjiadi und den Niederländer Matwe Middelkoop treffen der 35 Jahre alte Hesse und die sieben Jahre jüngere Japanerin an diesem Donnerstag (12.00 Uhr bei Eurosport) im Endspiel auf die Bianca Andreescu (Kanada) und Michael Venus. Der Neuseeländer war bis zum vergangenen Jahr Pütz‘ Stammpartner im Doppel.

Im Herrendoppel, dessentwegen Pütz eigentlich nach Paris gereist war, war der Frankfurter an der Seite des Coburgers Kevin Krawietz am Tag zuvor in der Runde der letzten acht gescheitert. „Mir wäre das Doppelfinale lieber gewesen, das ist kein Geheimnis“, sagte Pütz, der gleichwohl zum ersten Mal in seinem Leben im größten Pariser Tennisstadion Philippe-Chatrier spielen darf.

Auch Kato hätte gerne mit ihrer Partnerin Sutjiadi im Doppelfinale gestanden, doch hatte es die beiden noch früher und viel härter erwischt: Kato hatte während ihres Drittrundenmatches am Sonntag aus Versehen ein Ballmädchen getroffen und war daraufhin disqualifiziert worden. Pütz leistet der tieftraurigen Japanerin seitdem so viel Beistand wie möglich. Zwar können die beiden auf dem Platz gut miteinander, aber nicht gut reden – Kato spricht kaum Englisch. „Hoffentlich können wir noch einen Sieg aus dem Ärmel schütteln, dann kann ich mich Grand-Slam-Sieger nennen“, sagte Pütz. Alexander Zverev dagegen müsste noch zweimal schütteln, bis sein erster Titel bei einem der vier wichtigsten Turniere rauskommt.