Sainz Schnellster im Training :
Ferrari auf Heimstrecke in Monza vorne

Von Anno Hecker, Monza
Lesezeit: 4 Min.
Schnellster im Training: Carlos Sainz im Ferrari
Im Allerheiligsten der Scuderia ist Carlos Sainz jr. im Training der Schnellste. Doch schon die oberflächliche Analyse nimmt Ferrari den Glanz der Tagesbestzeit.

„Vorstandszeiten!“, hieß es früher, wenn Ferrari beim Training zum Großen Preis von Italien vorneweg fuhr. Mit einem leichten Auto, mitunter leichter als die Konkurrenz und als im Rennen erlaubt. Wahrscheinlich durchschaute die Konzernführung das kurzweilige Spielchen. Aber „Ferrari vorne“ beruhigt erst mal die leicht erhitzten Gemüter in schwierigen Zeiten. Und so kommt die Bestzeit von Carlos Sainz jr. im Allerheiligsten der Scuderia bei den Trainingstouren für den Großen Preis von Italien am Sonntag (15 Uhr MEZ/im F.A.Z.-Liveticker zur Formel 1 und bei Sky) zur rechten Zeit.

Da jubelten die teils in rot gehüllten Fans der Scuderia im Königlichen Park. Teilzeiterfolge sind kostbarer geworden, seit die Italiener den Anschluss an Weltmeister Red Bull im Verlauf der vergangenen Saison verloren. Täuschungen wären aber leichter erkennbar als früher, und das billige Illusionstheater wäre nicht mehr Teil des Repertoires. Schon die oberflächliche Analyse der Vorbereitung auf den Dauerlauf am Sonntag über mehr als 300 Kilometer nahm Ferrari den Glanz des Tagesbestzeit.

Beide Red-Bull-Piloten kamen mit viel Benzin an Bord schneller über die Runden. Wenn es also beim Qualifying mit fast leeren Tanks am Samstag eng werden sollte, vielleicht nicht zur Poleposition reicht für den Champion Max Verstappen, dann wird er sich am Sonntag mit guten Aussichten aufmachen, das zehnte Rennen in Serie zu gewinnen. Der Niederländer würde Sebastian Vettel hinter sich lassen: „Irre, ich habe das damals (2013/d. Red.) mitbekommen und gedacht, das wird niemand mehr schaffen.“ Jetzt ist er am Zug.

„Wir sind doch nicht im Qualifying“

So ein Siegertyp wie der zweimalige Weltmeister hätte den Auftakt zum Finale der Formel 1 auf der Europatour lieber ganz vorne begonnen, statt das zweite Training am Freitag auf Rang fünf mit 0,361 Sekunden Rückstand zu beenden. „Versuchen wir es noch mal?“, fragte er via Funk seinen Renningenieur, nachdem die erste Runde mit den weichsten, schnellsten, rot markierten Reifen auf dem Weg zur Parabolica-Kurve in eine Art Slalom mündete.

Verstappen jagte mit Tempo 310 rechts und links an bummelnden, ihn bremsenden Kollegen vorbei, die alle verzögernd Anlauf nahmen für ihre Zeitenjagd über eine Tour im Park. „Wir sind doch nicht im Qualifying“, bekam Verstappen zur Antwort. Sein Wunsch, zu einem „klaren Bild“ zu kommen mit einer weiteren Qualifikationsrunde, blieb unerfüllt. Red Bull kann es sich leisten. Was der brillante Steuermann im besten Auto draufhat, blieb also halbwegs im Dunklen.

Ein Blick auf den Teamkollegen Sergio Perez verrät ein bisschen mehr. Dem Mexikaner gelang es zwar als einzigem Steuerprofi, den Red Bull nach dem verpassten Bremspunkt quer durchs Kiesbett hinter der Parabolica zu prügeln, Auto, Auslaufzone wie Streckenposten in eine Staubwolke zu hüllen. Aber vorher hatte er sich hinter Lando Norris im McLaren als Dritter um 0,185 Sekunden dem Ferrari-Mann Sainz genähert.

Red Bull scheint auch für die Jagd auf die Poleposition gerüstet. Verhalten reagierten die Verfolger auf die Frage, ob es denn im Hochgeschwindigkeitstempel von Monza nicht doch etwas werden könnte mit dem Angriff auf den Branchenführer. McLaren, auch mit dem Formel-1-Debütanten Oscar Piastri (Vierter) weit vorne, wähnt sich nicht in Schlagdistanz.

Die Schwäche des Red-Bull-Jägers

So sehr sich die Formel 1 am Donnerstag über den Verbleib von Lewis Hamilton bis Ende 2025 als Chefpilot von Mercedes freute, so sehr bedauern die Wettkampf-Liebhaber im Zirkus die Schwäche des immerhin nominell ersten Red-Bull-Jägers. George Russel auf Rang neun, der Rekordweltmeister gar nur 17. Da fehlte vorerst eine Sekunde und mehr pro Runde.

Der frühere Serienweltmeister versucht auch in Italien, auf verschiedenen Wegen in Schwung zu kommen. Hamilton kreiste mit einem größeren, mehr Luftwiderstand erzeugenden Heckflügel und verzichtete auf den Einsatz der schnellsten Pneus. Unmissverständlich skizzierte Teamchef Toto Wolff die Straßenlage des Boliden: „Überall untersteuern, das Auto geht nicht ums Eck. Wir sind zehn Kilometer langsamer als Ferrari auf der Geraden.“

Mercedes wirkte am Freitag viel zu langsam, wenn die Piloten auf den Geraden die beweglichen Heckflügel flach stellten. Wolff stimmte zu: „Dann sind wir nicht konkurrenzfähig.“ Vielleicht gar Beute von Williams?

„Der Zeitpunkt ist ungünstig“ für Mick Schumacher

In der vergangenen Saison kreiste das frühere Weltmeisterteam am Ende des Feldes. In dieser Saison sausten die Briten zuletzt häufiger in die Top Ten. Der Antrieb macht nicht den Unterschied. Im Williams steckt der Hybrid von Mercedes. Also ist den Ingenieuren ein Sprung mit dem Auto gelungen. Alex Albon, einst bei Red Bull ausgemustert, fuhr auf Rang sieben – mit dem zweitschnellsten Reifen.

Vermutlich wird der Brite thailändischer Abstammung den einzigen Deutschen im Feld auch hinter sich lassen, wenn es ernst wird am Samstag. Nico Hülkenberg brauchte als Zehnter zwar im Haas nur gut eine Zehntelsekunde länger auf seiner schnellsten Tour über die rund 5,7 Kilometer lange, weitgehend flache Piste. Aber der Rheinländer setzte dabei auf die beste Haftung, die ihm zur Verfügung stand: den Softreifen.

Der zweite Deutsche im Fahrbetrieb der Formel 1, zählt man die Simulatorarbeit von Mick Schumacher dazu, übt sich als indirekter Beschleuniger von Mercedes. Wenn es bestens läuft, greift das Team am Samstag auf seine Nachtarbeit in England an der Seite der Dateningenieure zurück.

Der Sohn des Rekordweltmeisters, sagt Wolff, macht seine „Arbeit gut, ohne Einschränkung“. Einen Platz in einem realen Cockpit aber kann ihm der Österreicher nicht anbieten: „Der Zeitpunkt ist ungünstig“, sagte Wolff mit Blick auf alle Teams. „Er hätte es verdient, in der Formel 1 zu fahren.“