Ferrari abermals geschlagen :
Und Verstappen bleibt doch unantastbar

Von Richard Blehn, Melbourne
Lesezeit: 3 Min.
Max Verstappen gewinnt die Qualifikation in Melbourne.
Auf der Fahrt zur nächsten Pole Position in der Formel 1 beweist Weltmeister und Abräumer Max Verstappen seine besondere Gabe. Ferrari ist in Melbourne knapp bezwungen. Lewis Hamilton erlebt das nächste Desaster.

Die freundlichen Helfer, die Max Verstappen in der Boxengasse den richtigen Weg weisen wollen, braucht es kaum. Der Niederländer kann seinen Red-Bull-Rennwagen nach der Qualifikation zum Großen Preis von Australien am Sonntag (5.00 Uhr MEZ im F.A.Z.-Liveticker zur Formel 1 und bei Sky) vermutlich blind einparken. Jedenfalls läuft auch das dritte Qualifying der Saison so ab, als müsse der Titelverteidiger nur den Autopilot einschalten, wenn es darauf ankommt.

Fast über die ganze Stunde der entscheidenden Zeitenjagd sieht es so aus, als könnten die Ferrari-Fahrer Verstappen endlich zu Fall bringen – und dann bleibt er doch unantastbar. Die 35. Pole-Position seiner Karriere, die dritte in Folge in diesem Jahr ist der Lohn für die Leistungssteigerung in dem Moment, in dem es darauf ankommt. Vier Zehntel besser als im zweiten Abschnitt, das ist nicht nur eine einfache Verbesserung, sondern ein riesiger Satz nach vorn.

Als würde er nur spielen

Vor allem, wenn man seine ständigen Klagen über das Untersteuern des Autos ernst nimmt: „Das war wirklich schwierig, aber ich bin glücklich mit meiner schnellsten Runde, auch wenn sie etwas unerwartet kam." Der Mann ist ein echter Abräumer. Ist das Auto mal nicht wie gewohnt überlegen, dann zeigt sich das wahre Talent des Chauffeurs. Es wirkt manchmal, als würde er nur spielen.

Carlos Sainz bleibt im Ferrari mit einem Rückstand von 0,270 Sekunden nur der zweite Rang. Aber der Spanier ist schon froh, dass er 13 Tage nach seiner Blinddarmoperation überhaupt auf diesem Niveau durchhalten konnte und es dann auch noch in die erste Startreihe geschafft hat: „Um Max zu schlagen, müsste ich hundertprozentig fit sein, das bin ich noch nicht. Aber ich werde auch im Rennen alles geben."

Sein Teamkollege Charles Leclerc, der als Favorit galt, warf einmal mehr auf der letzten Runde und in der vorletzten Kurve die Chance auf den Platz an der australischen Herbstsonne weg, startet nur als Fünfter, noch hinter Verstappens Stallgefährte Sergio Pérez und Lando Norris im McLaren. Leclerc ist inzwischen geübt darin, Begründungen zu finden, warum er in der Rolle des Kronprinzen immer wieder patzt: „Mir fehlte das richtige Gefühl fürs Auto, warum auch immer." Später, in Melbourne ging gerade die Sonne unter, wurde Sergio Pérez von den Rennkommissaren um drei Plätze nach hinten strafversetzt. Er hatte Nico Hülkenberg behindert. So rückten Norris, sein Kollege Piastri und auch Leclerc immerhin einen Platz vor.

Nächstes Mercedes-Debakel

Ferrari erscheint nach derzeitigem Stand als der einzige Rennstall, der Red Bull Racing ernsthaft herausfordern kann. Die Italiener, das zeigen die Leistungen auf dem Straßenkurs, haben über den Winter den größten Fortschritt gemacht.

Genau jenen motivierenden Neustart, den sich Mercedes-Teamchef Toto Wolff ersehnt hatte. Doch für die Silberpfeile geht es weiter rückwärts, das Auto birgt zu viele Unbekannte. Der siebte Startplatz von George Russell ist gemessen am eigenen Anspruch ein weiteres Debakel. Ganz zu schweigen von Rang elf für Lewis Hamilton.

Flehentlich fragt der Rekordweltmeister am Ende des zweiten Qualifikationsabschnitts bei seinem Renningenieur nach: „Sind wir sicher drin?" Der antwortet ebenso korrekt wie schockiert: „Negativ. Wir sind gerade rausgeschubst worden." Ein frühes Aus – die Suche nach der richtigen Balance, auch der inneren, geht damit weiter.

Schon während der letzten Trainingseinheit hatte der Brite sich gefragt: „Wo ist all' die Zeit geblieben?" Immerhin darauf gibt es eine Antwort: vor allem auf den Hochgeschwindigkeitsabschnitten verliert der britisch-deutsche Werksrennstall auf die schnellsten Autos. „Es geht rauf und runter", klagt Teamchef Toto Wolff, „das ist ganz schlecht". Auto, Reifen und Abstimmung sind weiterhin temperaturanfällig, was im launischen australischen Herbst zum Nachteil gerät.

Ein Drama ganz anderer Art hat sich bereits am Freitag beim Williams-Team entfaltet. Alexander Albon hatte seinen Dienstwagen so zerstört, dass das Chassis nicht mehr zu gebrauchen war. Ein Ersatzauto hat das Traditionsteam – als einziger – aller Rennställe nicht dabei. Über Jahrzehnte wurde die Modernisierung der Rennwagenfabrik verschlafen, unter dem von Mercedes gekommenen Teamchef James Vowles hat eine radikale Transformation begonnen – am Ende fehlten Zeit, Geld und Maschinen, um eine Reservelösung vorzubereiten.

Damit hatte Vowles die bittere Aufgabe, einen Fahrer in die Boxengarage zu verbannen. Seine Wahl fiel auf den US-Amerikaner Logan Seargant, der zwar die Rückendeckung der Sponsoren hat, doch Unfallfahrer Albon besitzt die größere Erfahrung und Perspektive. Vowles hat die Entscheidung mit Blick auf die Jahresendabrechnung gefällt, bei der jede Platzierung und erst recht jeder Punktgewinn einen gewaltigen Unterschied in der Preisgeldausschüttung ausmachen kann.

Damit bekommt diese noch junge, aber bereits von vielen Überraschungen geprägte Saison ein weiteres Novum: Nur 19 Rennwagen gehen im Albert Park an den Start. In einem davon sitzt der Emmericher Nico Hülkenberg, der es am Samstag lediglich auf den 16. Platz geschafft hat. Ausreden sucht er keine: „Meine Runde war einfach nicht sauber genug. Wir stehen hier mit dem Rücken zur Wand."