Leonie Ebert verpasst Olympia :
Kreuzband gerissen, Herz gebrochen

Lesezeit: 3 Min.
Gefechte wie gemalt: Leonie Ebert gewann EM-Gold mit dem Florett
Florettfechterin Leonie Ebert verpasst wegen einer kleinen Bewegung ihr großes Ziel: Die Olympischen Spiele in Paris. Der Deutsche Fechter-Bund steht nun ziemlich blank da.

Im Gefecht gelingen ihr die „verrücktesten Bewegungen“, räsoniert Florettfechterin Leonie Ebert über die Herausforderungen ihres Sports: „Ich springe ohne Vorwarnung in die tiefste Hocke“ – ohne Probleme. Und dann reißt ihr bei einer „ziemlich kleinen Bewegung“ das Kreuzband im rechten Knie. Sportlerpech.

Der Moment, der das Leben der 24-Jährigen auf den Kopf stellte, geschah beim ersten Weltcup der vorolympischen Saison Mitte Dezember mit dem Team in Novi Sad. Beim letzten Gefecht, sieben Sekunden vor Schluss, knickte ihr Knie beim Rückwärtsgehen „kurz nach innen ein“, wie sie nachträglich im Video sah: „und dann überstrecke ich es“. Zack. Kreuzband gerissen. Wettkampf beendet, Saison beendet – und infolge dessen auch die Olympia-Teilnahme verloren, die zuvor so gut wie sicher schien.

Dieser Tage bekommt es die Fechterin aus Tauberbischofsheim schriftlich, dass ihr Name fehlt, wenn zum 1. April der Qualifikationszyklus für Paris abgeschlossen ist. Im maßgeblichen Teamranking ist die deutsche Equipe ohne Eberts Support auf Platz acht abgerutscht. Zwar sind acht Mannschaften pro Waffengattung teilnahmeberechtigt, doch ein Quotenplatz ist für Afrika reserviert – und der geht an die auf Rang 15 notierten Ägypterinnen. Für den Deutschen Fechter-Bund (DFB) ein Debakel, denn somit hat sich keine einzige Equipe in den sechs Team-Wettbewerben für Paris qualifiziert.

Großes Pech: Leonie Ebert verpasst die Olympischen Spiele von Paris
Großes Pech: Leonie Ebert verpasst die Olympischen Spiele von ParisREUTERS

In der Einzelwertung wiederum ist die Europameisterin von 2022 tatenlos von Patz vier auf Rang 22 abgerutscht. Weil pro Nation nur eine Einzelstarterin bei Olympia kämpfen darf, geht der deutsche Quotenplatz an Anne Sauer, die sich auf Platz fünf positioniert hat. „Sie hat sehr stark gefochten, und verdient den Qualifikationsrang“, zollt Ebert ihrer acht Jahre älteren Teamkollegin Respekt, die sich in Paris als Einzelkämpferin durchschlagen muss. Neben Anne Sauer wird lediglich Säbelfechter Matyas Szabo als DFB-Vertreter um olympische Ehren fechten.

Woran es lag, dass ihr Knie in der einen schicksalhaften Sekunde so überreagierte, darüber hat Leonie Ebert viel nachgedacht. „Wir kamen aus der Saisonpause. Ich hatte zwei Monate lang sehr diszipliniert trainiert. Ich war sehr fit.“ In der Saison zuvor hatte sie allerdings mit einigen Krankheiten zu tun. „Mein Körper hatte viel gelitten, und ich habe ihm auch viel abverlangt“. Über Gründe zu sinnieren sei zwar nötig: „Aber eine Obsession daraus zu machen, ist ungesund“. Ihr Motto: Schicksal annehmen und „positiv nach vorne schauen“.

„Wie der Golden Retriever der Familie“

Dabei belastet eine doppelte Ironie des Schicksals die Sportfamilie Ebert: Leonies Bruder Constantin, Basketballspieler mit Bundesliga-Erfahrung, hatte drei Wochen vor ihr ebenfalls einen Kreuzbandriss erlitten. „Ich war fünf Meter entfernt, als es passiert ist“, berichtet sie über das Verletzungspech ihres großen Bruders. „Für ihn war‘s total traurig, weil es der zweite Kreuzbandriss ist, diesmal auf der anderen Seite.“ Die kleine Schwester half ihm, über die härteste Zeit zu kommen – „dann habe ich es mit der Empathie übertrieben“ –, als sie sich ebenfalls verletzte. Die „absurde Situation“ kulminierte zu Weihnachten, als beide Geschwister am Festtagstisch die Beine hochlegen mussten. „Am nächsten Tag war‘s mir zu viel und dann saß ich unten am Boden – wie der Golden Retriever der Familie“.

Die Beugungsfähigkeit ihres Knies lag bei drei Grad – „ich konnte gar nichts“. Mittlerweile ist sie dank Bewegungstherapie und Aufbautraining bei 140 Grad angekommen. Angesichts ihrer Verletzung wollte Leonie Ebert „130 Prozent“ geben, um zu hundert Prozent fit für Paris zu werden. Nun konzentriert sich die Linkshänderin schon auf Olympia 2028 – auch wenn ihr angesichts der verpassten Chance für 2024 das „Herz gebrochen“ ist. Der Fechtsport genießt in der Grand Nation einen hohen Stellenwert, die olympischen Wettkämpfe werden im einzigartigen Ambiente des historischen Grand Palais ausgetragen. Ebert ist noch hin- und hergerissen, ob sie sich die Spiele live anschauen wird – oder ob sie sich selbst lieber „in die Wüste schickt“.

Immerhin hat Leonie Ebert schon Olympia-Erfahrung gesammelt – 2021 war sie die einzige deutsche Einzelstarterin und erreichte in Tokio das Achtelfinale. Ihr großes Ziel dort war gewesen, Roger Federer zu treffen, hatte sie vorher halb im Scherz gesagt. Daraus wurde nichts, Federer musste verletzungsbedingt absagen.

Ebert macht kein Geheimnis daraus, auch für andere Sportler zu schwärmen und hat nicht vergessen, wie sie „als kleine Fechterin“ beim Weltcup in Tauberbischofsheim als Taschenträgerin den damaligen Stars der Szene begegnete. Eine davon war die zweimalige Weltmeisterin Arianna Errigo aus Italien. Gegen die heute 35-Jährige kämpfte Ebert 2022 im EM-Finale – und gewann. „Wenn heute kleine Mädchen auf mich zukommen und nach einem Foto fragen, fühle ich mich total geehrt – genauso war ich auch mal.“