Die Dame hinter dem schwarzen Schleier? Wer sie nicht errät, wird sie spätestens an ihrem kraftvollen Gang erkennen. Keine läuft so selbstbewusst, versiert und nonchalant über den Laufsteg wie Naomi Campbell. Das britische Supermodel der Neunzigerjahre, 53 Jahre alt, hat nichts verlernt. Gigantische Masken auf dem Laufsteg machen aus den Models kleine Spielfiguren. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn es um Odysseus und den Trojanischen Krieg geht? Kreativdirektor Marco de Vincenzo ließ sich von der Antike inspirieren, auch wenn die Mode am Ende doch eher modern wirkt, zumindest für Etro-Verhältnisse. Stillleben an Heizlüfter. Vor der Schau in den unterkühlten Katakomben am Mailänder Hauptbahnhof wird noch letzte Hand angelegt. Sitzt die Sonnenbrille? Der Hut? Glänzt das Bein? Am Ende ist es die verrückteste Schau bei der Mailänder Modewoche. Nicht nur weil der umstrittene Kanye West mit seiner Freundin in der ersten Reihe sitzt. Wie kann man sich das Warten bei Max Mara vertreiben? Tipp 1: Indem man munter vor der Kamera posiert, Schulter nach rechts, Beine nach links, Kopf leicht schräg. Tipp 2: Gerade nicht in die Kamera schauen, sondern einen beliebigen Punkt in der Ferne fixieren und so tun, als gäbe es jetzt gerade nichts Langweiligeres – die richtige Fashion-Attitude!. Bequemer als beim Hausarzt ist es im Backstage-Wartezimmer auch nicht unbedingt. Nur nicht einschlafen vor der grauen Betonmauer, gleich gibt es den Startschuss für die futuristischen Gestalten und die Steinzeitkreaturen, die Francesco Risso für den nächsten Herbst und Winter in Mailand auferstehen lässt. Die Italiener lieben schnelle Autos. Und sie lieben Ferrari. Immer noch 40 Prozent der Sportwagen aus Maranello werden rot lackiert. Kein Wunder also, dass auch Rosso Corsa (Rennrot) bei der Modekollektion des italienischen Autoherstellers dominiert – auf dem Laufsteg und in der ersten Reihe. Nächster Halt Via Messina. Während die Models laufen, weht ein Hauch von Nostalgie durch das Straßenbahndepot, in dem die typischen Mailänder Waggons mit ihren Holzbänken stehen, liebevoll „Ventottos“ genannt. Was für ein Ambiente, um die gelungene erste Kollektion von Kreativdirektor Matteo Tamburini zu präsentieren!. Auch die Mode kann Hollywood. Nachmittags an der Via Bergognone fängt es aus dem Nichts an zu regnen – Effekte wie am Filmset. Die Models flanieren plötzlich so entspannt wie einst Gene Kelly im Film „Singin' in the Rain“. Und sie lächeln. Wo gibt's das sonst auf der Modewoche?. Waschen, Föhnen, Legen, das ist der mühsame Alltag vor der Schau. Und das kann backstage ziemlich lange dauern. Die Models müssen viel Geduld haben, ständig machen mindestens drei Leute an einem rum. Ganz wichtig dabei: niemals meckern und immer schön gelangweilt schauen.