Erinnerung an Amy Winehouse :
„Sie war dafür geschaffen, berühmt zu sein“

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Sie faszinierte, schockierte und berührte viele Menschen: Amy Winehouse, die 1983 geboren wurde, starb schon 2011.
Zwischen Bühnenauftritten und Mitternachtseinkauf am Kiosk ist Amy Winehouse zur Ikone geworden. 13 Jahre nach ihrem Tod geht es jetzt um ihr Vermächtnis.

Diese Szene ist unvergesslich – allein schon, weil die Paparazzi sie lückenlos dokumentierten. Amy Winehouse rennt nachts aus dem Sanderson-Hotel im Zentrum von London. Ihr berühmtes dunkles Augen-Make-up läuft die Wangen herunter. Auf ihrem Hals sind blaue Flecken erkennbar. Auf Arm und Handgelenk kleben Pflaster. Ihre rosa Ballerinas sind blutig. Sie wird verfolgt, nicht nur von den Fotografen, sondern auch von ihrem damaligen Ehemann Blake Fielder-Civil, ebenfalls mit Kratzern an Hals und Gesicht. Amy Winehouse springt in ein Taxi, holt sich an einem Kiosk Zigaretten und steuert – in ihrem Zustand – eine Bar nach der nächsten an.

Für „Daily Star“, „Daily Express“ und die vielen weiteren britischen Boulevard-Zeitungen ist das die Nachricht des nächsten Tages. Amy Winehouse ist in jenem Sommer ohnehin Gesprächsthema, weniger wegen ihrer großartigen Musik, die überall 2007 im Hintergrund läuft. Ihre Alben „Frank" und „Back To Black“ sind in den Jahren zuvor erschienen. Die Leute haben längst verstanden, dass sie auf der Bühne eine einzigartige Künstlerin ist. Jetzt schauen sie Amy Winehouse, als Bewohnerin einer Art Freiluft-Big-Brother-Haus in London, beim Absturz zu. Der Streit auf offener Straße, die blauen Flecken, das Blut an ihren Ballerinas, das auf die Einstiche von Heroinspritzen zwischen den Zehen hindeutet, sind neue Höhepunkte am Ende eines heißen Amy-Winehouse-Sommers.

Vermächtnis einer Ikone

Jetzt, 17 Jahre später, ist wieder häufig die Rede von Amy Winehouse. Natürlich anders als damals, denn es sind auch 13 Jahre seit ihrem Tod vergangen. Es geht jetzt um ihr Vermächtnis, allen voran im neuen Biopic „Back to Black“, das seit Donnerstag in den Kinos läuft. Aber auch indem Pete Doherty, mit dem sie damals eine Freundschaft und Liebesbeziehung hatte, jetzt mit Frau und Kind und Hund, also mehr bürgerlich als betrunken, wieder öffentlich in Erscheinung tritt, ist von ihr die Rede. Und das große Nullerjahre-Comeback in der Mode, die Ballerinas, Party-Tops und Shorts, zieht nicht ohne Bilder von ihr vorüber: von Amy Winehouse, die zwischen Bühnenauftritten und Mitternachtseinkauf am Kiosk zur Ikone geworden ist, die 2011 starb, im Alter von 27 Jahren, wie so viele andere große junge Künstler, und jetzt Teil der Geschichte der Popkultur ist.

Dabei sah es in ihren frühen Jahren gar nicht so aus, als würde man sich noch lange an Amy Winehouse erinnern. Der Musikjournalist Nick Johnstone hat eine Biographie über sie geschrieben, die schon 2008 erschienen ist. Zum ersten Mal habe er 2002 von ihr gehört, im Jahr, bevor „Frank“ erschien. Johnstone wohnte zu der Zeit in Camden, so wie Winehouse. „Man erzählte sich damals zwei Dinge über Amy Winehouse“, sagt Johnstone per Zoom. „Wie zierlich sie war und wie laut sie war.“ Mit beidem wurde sie kurz darauf berühmt.

Zwei Jahre später, also 2004, saß Johnstone, der schon eine Biographie über Patti Smith geschrieben hatte, mit seinem Verlag in einem Brainstorming-Meeting. „Ich schlug eine Amy-Winehouse-Biographie vor“, erinnert sich Johnstone. „Alle in diesem Raum lachten. Man fragte mich: ,Was, die Sängerin mit diesem einen Album?' Kein einziges Exemplar würde sich davon verkaufen, hieß es damals.“ Im nächsten Jahr fand sich Nick Johnstone wieder am selben Ort ein, wieder schlug er Amy Winehouse vor. „Ich sagte, wir seien eventuell spät dran, aber wir sollten das machen. Dieses Mal stimmten mir zwei Leute zu.“ Eine Minderheit. „Dann erschien ,Back To Black', und alle haben sich geärgert.“ Sein Buch, „Amy Amy Amy“, erschien schließlich 2008 als unautorisierte Biographie.

Wunderschön und verwüstet

Damals war Amy Winehouse, trotz ihrer nächtlichen Eskapaden, auf dem Höhepunkt ihrer Popularität, die Gestalt der Zeit, die faszinierte wie schockierte. Die deshalb natürlich Tag für Tag in den Boulevardzeitungen vorkommen musste und Woche für Woche in den Klatschzeitschriften. Vorne in den Heften ging es dann darum, wo sie jetzt schon wieder aufgefallen war, weiter hinten ließ sich ihr Look nachstylen, die Fähnchen von Kleidern, die – selbst wenn sie nicht von Topshop oder H & M waren – dort als Kopien hingen. Die große Bienenkorb-Frisur, der Lidstrich. Die Ballerinas zu allem, wobei ihre Modelle, anders als die vielen Trend-Ballerinas der Zeit, echte Ballettschuhe von Freed of London waren. Sie trug ihre einfach auf der Straße, weshalb sie auch immer so schnell so zerstört aussahen. Wunderschön und verwüstet. Die Ballerinas hatten diesen faszinierend morbiden Touch, der Amy Winehouse ständig umgab.

„Sie war dafür geschaffen, berühmt zu sein. Sie hatte Talent und Charisma.“: Amy Winehouse 2008 auf dem Glastonbury Festival
„Sie war dafür geschaffen, berühmt zu sein. Sie hatte Talent und Charisma.“: Amy Winehouse 2008 auf dem Glastonbury Festivaldpa

Die Welt war noch längst nicht so ein gesundheitsbesessener Ort wie heute. Einer ohne Healings und Detox. Fasten war für Freaks. Kein Mensch redete von toxischem Verhalten. Stattdessen gehörte die Linie Koks in den V.I.P.-Bereichen der schicken Clubs so dazu wie der Champagnerkühler. Kate Moss wurde in dieser Zeit mit Rauschgift erwischt. Auch Peaches Geldof hatte wie Amy Winehouse ein Suchtproblem – und starb später, schon mit 25 Jahren, an den Folgen. Zugleich machte Amy Winehouse aus ihren Schwächen kein Geheimnis, sondern verarbeitete sie in ihren Songs: „They tried to make me go to Rehab, But I said no, no, no.“

„Als ich das Lied das erste Mal gehört habe, dachte ich, dass sie damit den Paparazzi genau das nimmt, wonach sie eigentlich suchen, und daraus ein Pop-Produkt macht“, sagt Nick Johnstone. In seinem Buch nennt er es „Bekenner-Schreibstil“. Wahrscheinlich nahm sie damit auch all die Blog-Einträge und ellenlangen Instagram-Posts vorweg, mit denen Menschen in den Jahren danach begannen, ihr Leben offenzulegen.

„Sie war dafür geschaffen, berühmt zu sein“, sagt Johnstone. „Sie hatte Talent und Charisma.“ Genug, um zu schweben. Und so viel Lebensballast, die Liebe, die Sucht, um tief zu sinken. Ein Leben mit Höhen und Tiefen, einem Anfang und einem Ende. Und Kapiteln, die unvergesslich sind.