Sky-Serie „Helgoland“ :
Einer kommt zur Welt, einer muss sterben

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Diktatorin im lilafarbenen Mantel: Martina Gedeck spielt die Inselanführerin Beatrice
Wenn Früchtchen zuviel grimassieren: Sky erinnert an das Coronavirus und setzt seine Eigenproduktion „Helgoland“ in den Sand

Wenn ein Kind geboren wird, sollte das ein Grund zur Freude sein. Auf der Insel Helgoland, wie sie die Macher der gleichnamigen Serie sehen, bedeutet die Ankunft eines Kindes, dass sich ein anderer Mensch verabschiedet. In der ersten Folge von sieben ist das der Großvater des Neugeborenen. Er schreitet, bestens gekleidet, auf den Felsen zu, der hoch über dem Meer aufragt, begleitet von einer Gruppe Menschen. Dann springt er in die Tiefe.

Kurz zuvor hatte er noch versucht, Abschiedsworte in die Kamera zu sprechen, die eine seiner Begleiterinnen auf ihn richtete. Denn so schicksalsergeben der alte Mann in den Tod schritt, so öffentlich und ritualisiert ging das zu. Und auch die Geburt wurde auf dieselbe Weise im Bild festgehalten. Der Grund für all das ist die Regulierung der Bewohnerzahl auf jener fiktiven Insel, die dem echten Helgoland kaum ähnlich sieht (gedreht wurde unter anderem auf Amrum und Sylt).

Exakt 513 Personen könne die Insel ernähren, verkündet Beatrice, Anführerin von zweifelhafter Legitimität. Wie dieses Prinzip zum Problem werden kann, zeigen die Ereignisse rund um die Geburt. Denn auf das erste Kind, ausgeglichen durch den Großvater, folgt unerwarteterweise ein Zwilling. Verbunden ist das mit der Frage, wer an seiner Stelle gehen wird. Dass einer sich opfert, freiwillig oder gezwungen, steht fest, wenigstens für Beatrice: „Wenn wir einen 514. akzeptieren, bricht alles zusammen“, sagt sie. Also ruft sie die Bevölkerung der Insel zusammen. Und lässt darüber abstimmen, wen es trifft.

Die Idee, die hinter der Serie „Helgoland 513“ steht, ist in ihren Grundzügen nicht ganz neu, verspricht aber trotzdem eine packende Handlung und damit verbunden die Diskussion elementarer ethischer Fragen. Eine durch Viren hervorgerufene, tödliche Hautkrankheit – nach Corona liegt derlei nahe – verheert die Welt, auf dem Festland herrschen postapokalyptische Zustände, verlorene Gestalten taumeln einzeln oder in Gangs durch verfallende Innenstädte (hier ist das vor allem ein bröckelndes Hamburg), während auf dem rigoros abgeschotteten Helgoland äußerlich Zustände wie vor der Katastrophe walten. Dafür sind praktisch alle Grundrechte ausgehebelt, es herrscht der von Beatrice virtuos dirigierte und durch Abstimmungen legitimierte Terror.

Das Spektrum reicht von Erpressung bis zu nackter Gewalt

„Verstand, Mitgefühl, Opferbereitschaft – darauf basiert unsere Gemeinschaft“, sagt Beatrice, großartig gespielt von Martina Gedeck, die im selben Atemzug vor Anarchie und Chaos warnen und eine Menschenmeute in einen Blutrausch treiben kann, dem diejenigen zum Opfer fallen, die sich ihr entgegenstellen. Natürlich legt es die Serie auf genau diesen Zwiespalt an, auf die Frage, welche Mittel das Ziel, ein geordnetes Leben zu führen, gerade noch rechtfertigt, und wo der Punkt erreicht ist, an dem sich die besten Absichten schleichend ins Monströse verkehren. Und auch die jeweiligen Überwältigungsstrategien, die Beatrice anderen gegenüber anwendet, spielen in allen sieben Folgen der dystopischen Serie eine Rolle, das Spektrum reicht von Erpressung über Schmeichelei, Bestechung bis hin zu Täuschung und nackter Gewalt.

Ihr Gegenspieler ist der Arzt Marek (Alexander Fehling), der einen Kompromiss nach dem anderen schließt, um einen Impfstoff gegen das Virus zu finden und das Grauen zu beenden – auf dem Festland und damit auch auf der Insel, wo lange Zeit niemand erkrankt ist. Dass auch er monströse Methoden anwendet und so gesehen um nichts besser ist als Beatrice, macht die forcierte Tragik der Figur aus, deren Funktion im Gefüge der Handlung so offensichtlich ist, dass man individuelle Züge an ihm am meisten vermisst.

Denn das ist das Manko der Serie: Sie ist so eingenommen von der ihr zugrundeliegenden Mechanik, dass aus lauter Furcht, der Zuschauer könnte irgendetwas verpassen, lieber einmal mehr das Offensichtliche ausgesprochen wird: Wie oft muss Beatrice vor dem Chaos warnen, wie oft ihre billigen Manipulationen anwenden, wie dick muss die kleinste Wendung der Handlung ausbuchstabiert werden!

Das ist den überwiegend vorzüglichen Schauspielern nicht anzulasten, und wenn sie das Drehbuch zum Chargieren nötigt, etwa das sadistische Früchtchen Hendrik, Beatrices Sohn, zu theatralischen Ekelgebärden nach dem aufgezwungenen Kuss einer Alten, dann leidet man mit ihnen und fragt sich, wann eigentlich die Konvention aufgekommen ist, dass postapokalyptische Filme von möglichst schrillen Charakteren bevölkert werden müssen.

Am Ende ist es die Inseljugend, die sich gegen Beatrice wendet, so wie sie sich einst in ihrem Aufstieg auf die damalige Jugend stützte. Großartige Hoffnung verbreitet der Gang der Handlung dennoch nicht, dafür ist das allgemeine Elend zu übermächtig. Nur richtig ernstnehmen kann man das alles schon bald nicht mehr.

Helgoland 513 startet Freitag auf Sky.