Omar Sharif junior :
„Ich fühle mich nirgends zu Hause“

Von Christiane Heil, Los Angeles
Lesezeit: 6 Min.
Namhaft: Omar Sharif jr. 2022
Omar Sharif junior verrät, wie er seinen berühmten Großvater erlebte und wie es zu seinem Auftritt als erster „Trophy Boy“ der Oscars kam.
Herr Sharif junior, Sie sind in Montreal zur Welt gekommen, in Kairo, Paris und Florida aufgewachsen, haben in Kanada und Großbritannien studiert, in Ägypten gemodelt, am Lee-Strasberg-Institut in New York Schauspiel gelernt und in vielen Ländern vor der Kamera gestanden. Wussten Sie sofort, wo Sie waren, als Sie heute Morgen aufgewacht sind?

Das wurde mir spätestens klar, als sich die Stadt West Hollywood bei mir gemeldet hat. Die Wasserversorgung ist aus rätselhaften Gründen zusammengebrochen. Ich hätte mir gern für Sie die Haare ge­waschen, das ging aber heute nicht. Des­wegen trage ich eine Kappe!

Danke für die Mühe! Aber im Ernst: Wo fühlen Sie sich zu Hause?

Ich fühle mich nirgendwo zu Hause, genau wie mein Großvater. Omar Sharif hat Ägypten in den Sechzigerjahren während der Regierung Nasser verlassen. Es war damals schwer, Visa zu bekommen, um in Amerika oder anderen Ländern zu drehen. Obwohl Ägypten seine Heimat war, ging er lange nicht zurück. Auch ich habe Ägypten den Rücken gekehrt, 2012, als die Muslimbrüder an die Macht kamen. Seitdem war ich nicht mehr dort und lebe wie mein Großvater aus dem Koffer.

Gefällt Ihnen dieser Lebensstil?

Man wird dadurch zu einem Weltbürger. Das ist positiv. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass man als Weltbürger nirgendwo dazugehört. Das macht es schwer, ­Wurzeln und Beziehungen zu entwickeln. Mit der Zeit stellte sich eine Art noma­dische Einsamkeit ein.

Ich könnte mir vorstellen, dass sich das Gefühl der Einsamkeit noch verstärkt hat, als Sie sich während des Arabischen Frühlings als schwul geoutet haben. Wie Sie in Ihrem Buch „A Tale of Two Omars“ schreiben, dauerte es allein drei Monate, bis Sie der LGBTQ-Zeitschrift „The Advocate“ den Essay zu Ihrer Homosexualität schicken konnten.

Es war eine unglaublich schwere Entscheidung. Aber sobald ich sie getroffen hatte, wurde es leichter. Es gibt nichts Leichteres, als man selbst zu sein.

Wie war es für Ihre Familie?

Meine Familie war vor allem durch das Timing überfordert. Sie meinte, in Zeiten von politischem Umbruch und Muslimbrüdern sei das Coming-out zu gefährlich. Ägypten begann damals, sich zurück­zubewegen und islamischer zu werden. Nicht nur bei LGBTQ-Rechten, sondern auch bei religiösen Minderheiten und Frauenfragen. Die Muslimbrüder waren zwar nicht lange an der Macht, aber Morddrohungen bekomme ich heute noch.

Mehr als zehn Jahre später?

Ja, ungebremst und fast täglich. Meistens in sozialen Medien. Die Drohungen dort nehme ich nicht so ernst. Meine Mutter beunruhigen sie aber trotzdem. Sie meint, ich solle die Kommentare löschen, um andere nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Man kann aber Hass nicht löschen, indem man Kommentare löscht.

Nicht nur Ihre Rolle als wohl erster offen schwuler Prominenter eines arabischen Landes kam nicht bei allen gut an. Auch Ihre jüdische Herkunft, die Sie gleich­zeitig öffentlich machten, stieß vielen auf.

Ich habe nicht nur durch meinen Vater Tarek Sharif und seinen Vater eine bewegte Familiengeschichte. Die Mutter meiner Mutter überlebte das Warschauer Ghetto und mehrere Konzentrationslager, auch Auschwitz. Ihr Mann, mein Großvater, war ebenfalls ein Überlebender des Holocausts. In meiner Kindheit haben wir mus­limische und jüdische Feiertage zelebriert, ohne besonders religiös zu sein. Mein Großvater Omar Sharif kam übrigens als Kind katholischer Eltern zur Welt. Er ­konvertierte später zum Islam, um meine Großmutter, die ägyptische Schauspielerin Faten Hamama, heiraten zu können.

Spätestens seit Filmen wie „Lawrence von Arabien“ und „Dr. Schiwago“ gehörte Omar Sharif zu den geheimnisvollsten Hollywoodstars. Welche Erinnerungen haben Sie, Jahrgang 1983, an Ihren Großvater, Jahrgang 1932?

Er war mein bester Freund. Nach der Scheidung meiner Eltern verbrachten mein Großvater, mein Vater und ich viel Zeit miteinander. Wir sind gereist und blieben oft die ganze Nacht wach – eher wie drei Brüder, also leicht dysfunktional.

Aber bestimmt auch sehr unterhaltsam.

Das kann man sagen. Wir gingen in Bars, trafen Frauen, hingen ab. Ich habe damals viele, viele Geschichten mit angehört, die für einen Zwölf- oder Dreizehnjährigen mit Sicherheit nicht geeignet waren.

Wie war Ihr Großvater?

Er war ein Mensch, der sich immer treu geblieben ist – im Guten wie im Schlechten. Mein Großvater hat sich für nie­manden verstellt. Er gab sich in Interviews so, wie er auch als Mensch war. Die Leute haben immer den echten Omar Sharif gesehen. Zudem war er äußerst groß­zügig. Geld an sich hatte für ihn keinen Wert. Er hat es für Leidenschaften wie Rennpferde, Weine und in Spielcasinos ausgegeben. Mein Großvater hatte auch kein Problem damit, im Monat 50.000 Dollar für Miete auf den Tisch zu legen.

Das hört sich nach großer Lebenslust an.

Er hat viel Spaß gehabt. Aber in seinen letzten Lebensjahren wurde er einsam und zog sich zurück. Vielleicht hat ihn das Nomadenleben eingeholt. Ich glaube, er hatte das Gefühl, dem Herumziehen ­wichtige Beziehungen geopfert zu haben.

Ihre Eltern haben Sie nach ihm benannt. Hier in Hollywood wird gerade heftig über Nepo-Babys diskutiert, also Kinder von Prominenten, die es wegen ihres Namens vor die Kamera schaffen.

Ein bekannter Name hilft immer, einen Fuß in die Tür zu kriegen, das ist klar. Aber wegen meines Namens habe ich noch nie eine Rolle bekommen. Wie jeder andere Schauspieler muss auch ich pünktlich sein und tun, was von mir erwartet wird. Ich bin bei Castings übrigens häufiger abgelehnt als angenommen worden. Wenn die Leute den Namen Omar Sharif hören, erwarten sie einen eleganten Womanizer und Leading Man. Das bin ich aber nicht.

Arabische Fernsehserien, die israelische Produktion „Die Schöne und der Bäcker“, die amerikanische Serie „Mélange“, der Kurzfilm „11th Hour“ mit Salma Hayek und der Film „Ein ­verborgenes Leben – The Secret Scripture“ mit Rooney Mara und Vanessa Redgrave: Die Liste Ihrer Rollen ist lang.

Auf „Ein verborgenes Leben“ hatte ich mich besonders gefreut. Für den Film sollte ich zum ersten Mal Szenen mit meinem Großvater drehen. Als ich 2015 am Set in Dublin ankam, wurde mir schnell klar, dass die Dreharbeiten eine schmerzhafte Erfahrung werden würden. Der Zustand meines Großvaters nach einer Alzheimer-Erkrankung hatte sich damals innerhalb weniger Monate rapide verschlechtert. An einigen Tagen wusste er nicht mehr, wo er war. Die Szenen mit ihm waren unbrauchbar und wurden später herausgeschnitten. Einige Monate später starb er.

Ihren berühmtesten Auftritt hatten Sie bei den Oscars 2011 mit Kirk Douglas.

Das ist eine lustige Geschichte. Ich war damals frisch in Los Angeles angekommen und traf bei einem Empfang zufällig die Produzenten der Oscar-Gala. Ihnen war aufgefallen, dass bei den Oscars noch nie ein Mann eine Trophäe übergeben hatte. Aus Witz sagte ich, dass ich ihre Gelegenheit sei, das zu ändern. Zwei Tage später saß ich im Büro der Filmakademie. Ich sollte dann Kirk Douglas auf die Bühne begleiten. Er war damals 95 Jahre alt, hatte einen Schlag­anfall erlitten und konnte nur noch mit Mühe laufen. Als ich Kirk hinter der Bühne traf, sagte er mir klipp und klar, dass ich nicht sein Kranken­pfleger sei und wir auf der Bühne improvisieren würden. Ich hatte natürlich Angst, mich vor Millionen Zuschauern überall auf der Welt zu blamieren. Daraus wurde dann der kleine Spaß mit Kirks Gehstock.

Sie sind der Academy of Motion Picture Arts & Sciences (AMPAS) eng verbunden.

Die Filmakademie war schon für meinen Großvater wichtig. Und sie bewahrt die Geschichte des Filmemachens. Ich habe geholfen, für das neue Museum der Academy Spenden zu sammeln. Dabei kamen etwa 100 Millionen Dollar zusammen.

Welcher Star war denn am großzügigsten?

Ich glaube, das darf ich nicht verraten. Ich habe da eine Erklärung unterschrieben.

Auf Instagram beschreiben Sie sich als Empathiker. Sie engagieren sich für Organisationen wie die Gay & Lesbian Alliance Against Defamation, die Human Rights Foundation, Elizabeth Taylors Aids-Stiftung und sind für das Holocaust-Museum in Los Angeles aktiv.

Ich liebe die Schauspielerei, aber sie ist nur ein Beruf. Mein Herz schlägt dafür, gesellschaftspolitisch etwas zu bewegen. Denn es gibt noch viel zu tun. Die LGBTQ-Community ist ein aktuelles Beispiel. Im Moment werden in vielen amerikanischen Bundesstaaten Gesetze diskutiert, um Transgender von Sportwettkämpfen auszuschließen oder Drag-Shows zu ver­bieten. Ein Schwuler in Ägypten hat es im Moment leichter als ein trans Afroamerikaner in Mississippi. Ich bin zu sozialem Engagement erzogen worden. Und jede Bewegung braucht frische Gesichter.

War das auch der Gedanke hinter „A Tale of Two Omars“? Sie schreiben in dem Buch sehr offen über Homophobie, Ihre Vergewaltigung durch einen Scheich des Golfkooperationsrats, Depressionen und einen Suizidversuch.

Das Buch ist der Versuch, mein gesellschaftspolitisches Engagement einzu­betten. Viele Leute denken, ich sei privilegiert und daher nicht ernst zu nehmen. Ich wollte aber zeigen, dass ich wie jeder andere zu kämpfen habe.

Wie Prinz Harry, dessen Buch „Reserve“ Sie bei Instagram ein bisschen bissig mit Ihren Erinnerungen vergleichen? Mit einer Sprechblase, in der Sie auf den Bierkonsum des Royals anspielen?

Da habe ich mir einen kleinen Scherz erlaubt. Ich versuche, andere Menschen nicht zu beurteilen. Es ist mir selbst zu oft passiert. Ich hoffe, dass Prinz Harry sein Buch ebenso befreiend empfindet wie ich meines. Und dass es seiner Psyche guttut.

In Erinnerung an Ihren Auftritt als erster „Trophy Boy“ der Oscars: Welcher Film hat bei der Preisverleihung am Sonntag den Goldritter als bester Film verdient?

Mein Favorit ist „Im Westen nichts Neues“, die deutsche Produktion. Der Film fühlt sich an wie ein einziger, fast zweieinhalb Stunden langer Herzschlag. Filme sind wichtig für die Gesellschaft. Sie können Kulturen beeinflussen, weil sie progressive Ideen in alle Welt transportieren. Zumindest für mich macht das die Oscars aus.