Größtes Werk des Künstlers :
An Serra reiben sich die Schafe

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Der weiteste Blick lohnt sich: Richard Serras „Te Tuhirangi Contour“.
Was Berlin vor einem Vierteljahrhundert versäumt hat, sicherte sich ein Millionärs-Ehepaar aus Neuseeland. Dort steht die größte Arbeit, die der jetzt gestorbene Richard Serra geschaffen hat.

Vor 26 Jahren verlangte Eduard Beaucamp unter der Überschrift „Baut Serra!“ auf diesem Platz des Feuilletons die Umsetzung des Entwurfs des jetzt gestorbenen amerikanischen Bildhauers für das Berliner Holocaust-Mahnmal. Dann stieg Richard Serra aus, entnervt von den deutschen Debatten, und sein Projektpartner Peter Eisenman setzte Teile der ursprüng­lichen Idee um und durch – nachdem Beaucamp auch ihm unter der Überschrift „Baut Eisenman!“ den Rücken gestärkt hatte. Seitdem ist das Denkmal für die ermordeten Juden in Europa mit dem Namen ­Eisenmans statt dem von Serra verbunden, und das ist für einen Mann im fernen Neuseeland ein großes Glück gewesen.

Denn dort, etwas nördlich von Auckland an der Westküste, hatte sich der neuseeländische Medienmilliardär Alan Gibbs 1991 ein Areal von vierhundert Hektar Größe gekauft, um darauf seine Leidenschaften zu verwirklichen: den Nachbau einer amerikanischen Westernstadt und den Aufbau einer Sammlung von Kriegsgerät aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Doch weil für gelegentliche Panzerfahrten mehr als genug Gelände auf „Gibbs Farm“ vorhanden war, blieb auch noch Platz für eine Leidenschaft von Gibbs’ Frau: moderne Kunst. Und weil es richtig viel Platz war, entschloss sich das Ehepaar, von seinen Lieblingskünstlern jeweils deren größte Werke anfertigen zu lassen.

Ansicht entlang Richard Serras Stahlplastik auf Gibbs Farm, rechts unten zu sehen die Abriebspur der Schafe.
Ansicht entlang Richard Serras Stahlplastik auf Gibbs Farm, rechts unten zu sehen die Abriebspur der Schafe.Andreas Platthaus

So haben sich mit der Zeit Arbeiten von Sol LeWitt (eine Betonpyramide von sechzehn Metern Höhe), Anish Kapoor (eine Art begeh­barer Geburtskanal aus Gummi von 85 Metern Länge), Daniel Buren (grünweiß gestreifte Pfosten über eine Strecke von 3,2 Kilometern), Andy Goldworthy (eine elf­bögige Steinbrücke, die nach fast achtzig Metern im Meer versinkt) oder Maya Lin (drei Erdwälle, für die mehr als hunderttausend Kubik­meter bewegt werden mussten) angesammelt – um nur einige der inzwischen knapp dreißig übers Grundstück verteilten Werke zu nennen. Und natürlich ist auch Richard Serra vertreten mit einer mehr als 250 Meter langen und sechs Meter hohen Stahlwand namens „Te Tuhirangi Contour“.

Die gab das Ehepaar Gibbs 1999 in Auftrag, und es wäre nicht auszudenken gewesen, was sie hätten bestellen müssen, wenn Serras Berliner Mahnmal auf 19.000 Quadratmetern Realität geworden wäre. Schon jetzt ist das sich grandios durchs hügelige Landschaftsprofil schwingende Stahlband eine eindrucksvolle Barriere – bei noch größerer Gestalt hätte es für Mr Gibbs eine unwillkommene Panzersperre dargestellt. Ob es dann gebaut worden wäre?

Gut auch für Serra selbst, wie es gekommen ist, denn die zur Abweidung der Farm eingesetzten Schafe lieben es, sich an seiner Stahlfläche zu reiben, und so hat sich bis auf Schafrückenhöhe eine sichtbare Verfärbung ergeben – auf voller Länge. Serra, so erzählt Mrs Gibbs, liebte diesen Eingriff der Natur in sein Schaffen. Der Zutritt zur Farm ist Interessenten leider nur an wenigen Tagen im Jahr möglich – und weit weg von Berlin, das Serras Größtes hätte haben können. Selbst schuld!