Verlagsspezial

Stahl als der Bauhaus-Werkstoff

Von Beate Brüninghaus
Lesezeit: 3 Min.
Vor 100 Jahren wollten die Bauhaus-Gründer mehr als puristisches Design: Sie stellten sich der Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben?

Ein Jahrhundert Bauhaus wird in diesem Jahr ausgiebig gefeiert. Die von Walter Gropius 1919 in Weimar gegründete staatliche Schule für Architektur, Design und Kunst hat das gestalterische Denken weltweit revolutioniert und gilt als die einflussreichste Stilrichtung Deutschlands. Bis heute wirken die Entwürfe der Bauhaus-Lehrer und -Schüler nach, obwohl die berühmte Kunstschule nur bis 1933 bestand, da sie auf Druck der Nationalsozialisten nur 14 Jahre nach ihrer Gründung geschlossen werden musste. Die Hinwendung zu industriellen Prozessen und Materialien entsprach dem damaligen Wunsch zu neuer Sachlichkeit in der Architektur und im Alltag. Minimalismus und Moderne waren zentrale Anliegen der Bauhaus-Denkschule. Künstler und Handwerker sollten Hand in Hand arbeiten, so die Intention. Das ökologische Bauen gehörte von Anfang an zum Bauhaus-Konzept.

Zentrales Gestaltungselement der nach dem Umzug des Bauhauses nach Dessau von Marcel Breuer entworfenen Möbel war das verchromte Stahlrohr. Biegsam und fest zugleich, erlaubt es minimalistische Entwürfe, wie den frei tragenden Stuhl, der durch sein Schwingen eine dämpfende Polsterung überflüssig macht. Nach wie vor ist dieses ikonische Modell des Freischwingers sowohl aus Edelstahl als auch aus vernickeltem Stahlrohr erhältlich.

In den Werkstätten der Schule entstanden nun auch Objekte, wie Leuchten, Schreibtische und sogar vollständige Kücheneinrichtungen, die für die Massenfertigung bestimmt waren. Dabei sollten die Möglichkeiten der industriellen Produktion verstärkt eingesetzt werden. Schlichte Funktionalität und formale Zurückhaltung kennzeichnen alle Bauhaus-Entwürfe.

Eng mit dem Bauhaus verbunden war der Industriedesigner Wilhelm Wagenfeld, der in den 1950er Jahren Butterdosen, Salzstreuer oder Eierbecher aus Edelstahl entwarf und hiermit millionenfache Stückzahlen erreichte. Auf ihn geht auch ein Design-Klassiker, die Bauhaus-Leuchte zurück. Marianne Brandt, eine der wenigen Frauen, die in der Bauhaus-Metallwerkstatt arbeiten durfte, designte zusammen mit Helmut Schulze ebenfalls aus Edelstahl eine Zucker- und Sahnegarnitur aus Kännchen, Zuckerschale, Zange und Tablett.

Die Königsdisziplin der Bauhaus-Designer war jedoch die Architektur, zumal da alle drei Direktoren Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe Architekten waren. 1929  begann von Mies van der Rohe in Brünn mit dem Bau der Villa Tugendhat. Eine neuartige Stahlskelettkonstruktion ermögliche versenkbare Fenster für den Blick in die Natur. Im Wohnzimmer reflektieren hochglanzpolierte Edelstahlsäulen das Sonnenlicht. Die Villa, die 2001 in die Unesco-Welterbeliste als Denkmal moderner Architektur aufgenommen wurde, zählt zu den Hauptwerken des ehemaligen Bauhaus-Direktors.

In der Bauhaus-Tradition steht auch die 1932 gestaltete Zeche Zollverein in Essen, die als Industriearchitektur ebenfalls zum Unesco Weltkulturerbe gehört. Dort verwirklichten die Architekten die Prinzipien der weitest möglichen Reduktion und der Schmucklosigkeit sowie der rechten Winkel. Lampen, Geländer oder Fenster- und Türgriffe aus Edelstahl sind ebenso zweckmäßig wie ästhetisch ansprechend gestaltet.

Der Übergang vom Bauhausstil zur Klassischen Moderne ist fließend. Unter jungen, zeitgenössischen Designern ist Stahl ein beliebtes Material. Die Kreativen von heute schätzen seine Gestaltbarkeit, Robustheit und auch seine nachhaltigen Eigenschaften, da er wiederverwendet sowie unbegrenzt recycelt werden kann. Zum Beispiel beim 2014 gegründeten Unternehmen Echtstahl, das in Bonn sitzt. Es verwendet farbig pulverbeschichtetes Stahlblech oder -rohr für geradlinige, hochfunktionale und schlichte Produkte. Die zeitlos gestalteten und vielseitig einsetzbaren Entwürfe werden handwerklich und mit hohen Ansprüchen an Material, Verarbeitung und Nachhaltigkeit ausschließlich in Deutschland gefertigt. Das gilt auch für die von Lizzy Heinen designten Edelstahlmöbel aus Meerbusch, bei denen es keine Rundungen gibt. Die Eisenmöbelfabrik L&C in Stendal fühlt sich ebenfalls der Bauhaus-Tradition verpflichtet und stellt nach wie vor den Freischwinger aus Stahlrohr her.

Für Nicolai Neubert, Professor an der Hochschule Anhalt in Dessau, ist das schwedische Möbelhaus Ikea die deutlichste Interpretation des klaren, schnörkellosen Bauhaus-Stils. Selbst dass man diese Möbel häufig selbst zusammenschrauben muss, also vom reinen Konsumenten zum Nutzer und Teil der Wertschöpfungskette werde, entspricht dem Bauhaus-Gedanken, so der Industriedesigner. Schon Walter Gropius forderte, „junge Menschen aus aller Welt zu einem Bau der Zukunft zu befähigen“, Kunst und Handwerk als eine Einheit zu sehen, Lehre und Praxis Hand in Hand greifen zu lassen.

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