Verlagsspezial

Kollaboration in Stahl

Von Gerd Krause
Lesezeit: 5 Min.
Autos: Leichte und crashsichere Fahrzeuge wären ohne hoch-  und neuerdings ultrahochfeste Stahlbleche kaum möglich.
Ob Verbrenner oder E-Fahrzeug: Wirtschaftlicher Fahrzeugleichtbau in der Großserienfertigung ist ohne innovative Stähle nicht darstellbar. Stahlhersteller und Stahlverarbeiter kooperieren, um Blechdicken durch den Einsatz neuer hoch- und höchstfester Stähle weiter zu reduzieren und selbst massiv umgeformte Komponenten gewichtsparend zu fertigen.

Wie eine Zusammen­arbeit von Stahlerzeugern und Stahlanwendern Innovationen hervorbringt, zeigt die auf die Automobilindustrie zugeschnittene Initiative Massiver Leichtbau. Deren Mitglieder befassen sich nicht mit Blechen für die Karosserie, sondern mit geschmiedeten Komponenten aus Rundstahl für Fahrwerk und Antriebsstrang, von der Schraube bis zur Kurbelwelle. Dieses von Stahlherstellern, Stahlanwendern und Autoindustrie getragene Forschungs- und Entwicklungsnetzwerk hat über mehrere Projektphasen hinweg von 2013 bis 2018 unterschiedliche Fahrzeugtypen auseinandergenommen und auf ihr Leichtbaupotential untersucht. Das Ergebnis: Durch neue konstruktive und stoffliche Leichtbaulösungen mit massiv umgeformten Komponenten aus neuen Stählen lassen sich bei einem Mittelklasse-Pkw 42 Kilogramm Gewicht sparen, 99 Kilogramm  bei einem leichten Nutzfahrzeug bis 3,5 Tonnen, 93 Kilogramm bei einem Hybrid-Pkw und 124 Kilogramm bei einem Lkw.

CO2 und Prozesskosten sparen

Dr.-Ing. Thomas Wurm, Sprecher für die Stahlhersteller der Initiative und Leiter Technische Kundenberatung und Anwendungsentwicklung bei der Georgsmarienhütte GmbH, kann auf eine langjährige und intensive Zusammenarbeit mit Anwendern zurückblicken. Das mittelständische Stahlwerk entwickelt gemeinsam mit Kunden neue Stähle, die zum Beispiel der Autoindustrie zur Energieeinsparung verhelfen. Einer dieser Werkstoffe, ein zusammen mit der Hirschvogel Umformtechnik GmbH entwickelter mikrolegierter bainitischer Stahl erreicht beispielsweise die gewünschten mechanischen Eigenschaften direkt nach dem Schmieden durch eine gesteuerte Abkühlung der Bauteile aus der Schmiedehitze. Eine nachfolgende Vergütung durch energieintensive Wärmebehandlung kann entfallen, was CO2 und Prozesskosten spart. Eine weitere Stärke des neuen Werkstoffs ist das kostengünstige Legierungskonzept ohne die Verwendung von teurem Molybdän als Legierungselement. Zusammen mit möglichen Einsparungen in der Wärmebehandlung erlaube das die Herstellung von ebenso kostengünstigen wie hochfesten Bauteilen, wie Wurm versichert.

Nachdem der „GMH-Hirschvogel“-Stahl in der Autoindustrie bei Einspritzsystemen bereits im Einsatz ist, haben die Partner den hochfesten und kostengünstigen Einsatzstahl für weitere Anwendungen zum Beispiel in der E-Mobilität weiterentwickelt. E-Mobilität bedeutet andere Fahrzeuge mit anderen Bauteilen. Doch auch bei Hybrid- und reinen E-Fahrzeugen bleiben Getriebe notwendig, wenn auch bei batterieelektrischen E-Autos wohl nur Ein- oder Zweiganggetriebe. „Ein Kennzeichen ist die höhere Belastung der Antriebskomponenten wie zum Beispiel der Zahnräder aufgrund der hohen Drehzahlen der E-Maschine“, erläutert Wurm. Das erfordert neue Stähle, wobei das nötige Prozesswissen dem Autohersteller von Stahlhersteller und Schmiede gemeinsam mitgeliefert wird. Der Autobauer muss Komponenten aus dem neuen Werkstoff nur noch testen, jedoch keine eigene Entwicklungsarbeit mehr hineinstecken.

Leichte und im Falle eines Unfalls crashsichere Fahrzeuge wären ohne hoch-, höchst- und neuerdings ultrahochfeste Stahlbleche wirtschaftlich kaum darstellbar. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der neuen Stahlsorten ist das richtige Umformverfahren. Bei höchstfesten Stahlgüten hat die herkömmliche Kaltumformung mit Problemen wie Rückfederung und Rissbildung zu kämpfen. Mit der Warmumformung oder dem Presshärten lassen sich auch bei höchsten Festigkeiten Komponenten mit komplexer Geometrie fertigen. Das Presshärten ist daher zum bevorzugten Umformverfahren im Karosseriebau bei komplexen Komponenten avanciert. Dazu zählen Seitenaufprallschutzsysteme, sicherheitsrelevante Bauteile der Fahrgastzelle wie B-Säulen sowie höchstfeste, steife Strukturbauteile innerhalb der Rohkarosserie. Auf circa. 950 Grad Celsius erhitzt und vom Roboter rotglühend in die Umformpresse eingelegt, lassen sich Stahlplatinen mit einer deutlich höheren Festigkeit umformen, als dies mit dem klassischen Tiefziehen der Kaltumformung möglich wäre. Während des Umformens und der daran anschließenden Haltezeit wird dem Blech schnellstmöglich im gekühltem Werkzeug Wärme entzogen. Durch die schnelle Abkühlung bildet sich im Stahl die für die hohen Härtewerte verantwortliche martensitische Gefügestruktur aus. Die Technologie bietet zudem Potential für Funktionsintegration, aus mehreren Einzelteilen lässt sich ein einziges komplexes und leichtes Bauteil fertigen. Selbst innerhalb der Komponente lassen sich verschiedene Festigkeiten und Härten vom hochfesten Bereich bis zur Knautschzone einstellen.

Ein Nachteil der Warmumformung sind die Kosten. Neben einer längeren Prozesszeit verteuert der höhere Energieverbrauch das Verfahren. Führende Blechumformer wie Kirchhoff Automotive GmbH in Attendorn verfolgen daher neben der Warmumformung auch die Weiterentwicklung des Kaltumformens. Eine enge Kooperation mit der Stahlindustrie ist für die Weiterentwicklung hochfester Stahlwerkstoffe und geeigneter Umformverfahren klar von Vorteil.
„Prinzipiell könnten wir Stahl auch auf dem Weltmarkt einkaufen und tun das auch“, sagt Professor Christoph Wagener, bei Kirchhoff Automotive in Attendorn für Forschung und Produktentwicklung zuständig. Der Autozulieferer arbeitet mit allen Werkstoffen seiner Automobilkunden, von Aluminium über Stahl bis zu Kunststoff und Mischbauweisen. Dennoch steht für Wagner fest, dass im Volumenmarkt hochfester Stahl der wichtigste Leichtbauwerkstoff bleiben wird. Wozu beiträgt, dass die Stahlindustrie in Deutschland einen klaren Standortvorteil darstellt. „Der große Vorteil einer Kooperation mit den Stahlunternehmen liegt in der frühen Phase“, sagt Wagener. „Die Stahlindustrie entwickelt seit vielen Jahren neue Güten und um zu prüfen, was die neuen Stähle können, ist die räumliche Nähe sehr wesentlich.“ Kirchhoff verfolgt eine enge Zusammenarbeit mit praktisch allen namhaften Stahlherstellern. In Deutschland vor allem mit Salzgitter und Thyssen-Krupp, global je nach Produktionsstandort mit Stahlgrößen wie Arcelor-Mittal, Nippon Steel und Tata Steel.

Einen Schwerpunkt in der Zusammenarbeit mit Stahlerzeugern und Autoherstellern bilden bei Kirchhoff momentan neue ultrahochfeste Stahlsorten für die Warmumformung. Stand der Technik sind Festigkeiten bis 1500 Megapascal. Die neue Generation ultrahochfester Stähle geht von 1900 bis 2000 Megapascal. Zur Zeit fährt der Autozulieferer für einen deutschen Autohersteller ein Strukturbauteil mit 1900 Megapascal Festigkeit in Serie an, wobei das Material von Thyssen-Krupp Steel kommt.

Wettbewerb mit neuen Stahlsorten

Auch die Kaltumformung hat weiteres Potential und ist ein Thema für Kirchhoff. Bei höchstfesten kalt umformbaren Güten geht die Entwicklung momentan in Richtung höherer Festigkeiten zwischen 1200 und 1500 Megapascal. Dabei verfolgen die Stahlhersteller unterschiedliche Legierungskonzepte. Sowohl mit der Weiterentwicklung von Dualphasenstählen als auch mit Leichtbauwerkstoffen wie den hoch manganhaltigen HSD-Stählen (High Strength and Ductility – hohe Festigkeit und Duktilität) von Salzgitter stehen unterschiedliche Konzepte miteinander im Wettbewerb. Ziel ist, möglichst hohe Festigkeiten auch in der Kaltumformung zu erreichen und trotzdem noch komplexe Geometrien fertigen zu können. Für Kaltumformung geeignetes hochfestes Material ist teuer, der Umformprozess andererseits aber kostengünstiger als die Warmumformung. Eine Kostengegenüberstellung von Kirchhoff zeigt jedenfalls
keinen Vorteil.

Ob warm oder kalt – dank einem vitalen Wettbewerb an neuen Stahlsorten und Fertigungsverfahren dürfte innovativer Leichtbau mit Stahl auch in Zukunft gewiss sein.

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