Verlagsspezial

Kalkuliertes Risiko

Von Reinhold von Eben-Worlée
Lesezeit: 4 Min.
In Deutschland finden sich auch in der tiefsten Provinz Hidden Champions, die Weltmarktführer auf ihrem Gebiet sind.
Familienunternehmer denken langfristig, der Fortbestand ihrer Unternehmen hat oberste Priorität. Warum sich für das Rückgrat der deutschen Wirtschaft die Strategie der klugen Risikoabwägung bewährt hat.

Totgesagte leben länger. Statistisch belegt ist die Gültigkeit dieses Sprichwortes nicht. Realwirtschaftlich bewiesen par excellence aber haben es die mittelständischen Familienunternehmen. Denn das mit Aufkommen der New Economy vorschnell prognostizierte Aussterben der angeblich „trägen, gestrigen, kapitalschwachen“ mittelständischen Kapital- und Personengesellschaften stellte sich als Irrtum heraus. Die von vielen Seiten erwartete Entwicklung, allein große Kapitalgesellschaften, mit reichlich Finanzmitteln externer Investoren ausgestattete Großkonzerne und internationale Multis hätten nur mehr das Zeug für die Zukunft, blieb komplett aus.

Im Gegenteil: Unter den extremen volkswirtschaftlichen Verwerfungen der ersten großen Finanz- und Wirtschaftskrisen dieses noch jungen Jahrhunderts zeigten die Familienunternehmen ihre Vitalität. Denn sie waren es, die durch risikofreudiges Handeln gerade in den Krisen dafür sorgten, dass Deutschland die schwierigen Jahre nach 2000 und 2008/2009 weitaus besser überstand als etwa Frankreich und England. Und während die Vereinigten Staaten in eine tiefe Rezession stürzten, gerade weil ihnen ein Mittelstand fehlt, sorgte dieser in Deutschland für Stabilität.

Eigenkapitalbasis seit 2000 verdoppelt

Mit eigener Kraft zogen sich die Familienunternehmen selbst aus der Kreditklemme, nachdem 2000 die Dotcom-Blase platzte. Während so manche Initiatoren der so „trendigen, coolen“ Start-ups an der Börse eingesammeltes Kapital eiskalt abgriffen und sowohl Anteilseigner wie auch Mitarbeiter verantwortungslos ins Elend laufen ließen, taten die Familienunternehmer trotz Krise genau das Gegenteil: Sie gingen bewusst ins Risiko und statteten ihre Firmen mit mehr Eigenkapital aus, nicht selten aus ihrem Privatvermögen. Denn Familienunternehmer denken langfristig, der Fortbestand ihrer Unternehmen hat oberste Priorität. Seit 2000 hat sich dadurch die Eigenkapitalbasis der Familienunternehmen in Deutschland etwa verdoppelt. Die Bereitschaft zum finanziellen Risiko trotz schwieriger Wirtschaftslage zahlte sich auch längerfristig aus: Sie machte die Firmen nicht allein von den Banken unabhängig, ihre dadurch höhere Eigenkapitalquote erwies sich zudem auch in der dann folgenden Krise als Vorteil.

Zwar traf die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 auch die Familienunternehmen. Als jedoch infolge der Lehman-Pleite 2008 auch in Deutschland die großen Kapitalgesellschaften ihre Mitarbeiter zu Tausenden zum Arbeitsamt schickten, weil die Aufträge einbrachen, hielten die großen Unternehmen in Familienhand trotzdem überwiegend zu ihren Arbeitnehmern und verzichteten auf Stellenabbau. Statt mit Massenentlassungen überbrückten sie die mageren Auftragsjahre dank ihrer Kapitalausstattung und mittels Kurzarbeit und riskierten dadurch bewusst ihre Rendite. Dieses längerfristige Denken und Agieren in der Wirtschaftskrise verschaffte den Mittelständlern allerdings einen wichtigen Wettbewerbsvorsprung gegenüber den allein renditeorientierten Kapitalgesellschaften. Denn gerade weil sie den Mut und die Risikobereitschaft hatten, ihre gut ausgebildeten Kräfte während der Flaute in ihren Firmen zu behalten, konnten sie sofort wieder mit ihnen loslegen, als die Auftragslage wieder anzog. Zudem erwies sich der Mittelstand durch seine Verantwortung für die Mitarbeiter auch als wichtiger gesellschaftlicher Garant in den Regionen. Die stabilisierende Bedeutung von Familienunternehmen für unsere Gesellschaft ist nicht zu unterschätzen, denn sie sichern 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern in Deutschland den Arbeitsplatz. Auch die berufliche Zukunft des Nachwuchses beginnt bei ihnen: Sie geben vier von fünf Auszubildenden die Chance zum Einstieg.

Attraktives Arbeitsumfeld: Ländlicher Raum vs. Großstadt

Während es große Aktienkonzerne und trendige Internetfirmen zunehmend in die Ballungszentren und Metropolen zieht, übernehmen Familienunternehmen gerade in der Provinz als oft einziger Arbeitgeber und Ausbildungsbetrieb Verantwortung, indem sie dort bleiben. Auch damit gehen die Unternehmer bewusst Risiken ein, denn aufgrund der Sogwirkung der Großstädte macht sich der Fachkräftemangel gerade in den ländlichen Regionen noch weitaus extremer bemerkbar. Anders als große Kapitalgesellschaften, die rein zahlengesteuert komplette Produktionsstandorte dorthin in die Welt verlagern, wo die Löhne für Arbeitskräfte gerade am niedrigsten sind, bleiben Familienunternehmen nicht nur in Deutschland, sondern an ihren oft über Generationen angestammten Standorten in der Provinz. Sie tragen damit wesentlich dazu bei, Deutschland vor Verhältnissen wie in den amerikanischen Staaten zwischen Ost- und Westküste zu bewahren, über die nur mehr hinweggeflogen wird, weil es dort keinerlei Industrie mehr gibt, den sogenannten „Fly over“-Staaten. Ganz anders in Deutschland. Hier finden sich selbst in der tiefsten Provinz sogar Hidden Champions, die Weltmarktführer auf ihrem Gebiet sind.

Dank ihrer Bereitschaft zum kalkulierten Risiko entwickeln mittelständische Familienunternehmen – sehr oft in enger Zusammenarbeit mit ihren Kunden – nicht nur maßgeschneiderte, sondern auch äußerst innovative Produkte. Deutschlands Ruf als Erfindernation hat hier einen Ursprung, meist fern von Forschungssubventionen und Drittmitteln, auch heute noch vorwiegend getrieben von unternehmerischer Risikofreude.

Reinhold von Eben-Worlée ist Geschäftsführer der  E. H. Worlée & Co. GmbH & Co. KG und Präsident des Verbandes Die Familienunternehmer.

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