Bundesfinanzminister Christian Lindner

Steuerbegünstigte Überstunden :
Umverteilen mit Christian Lindner

Patrick Bernau
Ein Kommentar von Patrick Bernau
Lesezeit: 3 Min.

Erst mal sieht die Idee recht einleuchtend aus: Auf Überstunden sollen weniger Steuern fällig werden – so will es die FDP. Zuvor hatte schon die CDU eine ähnliche Idee formuliert. Deutschland fehlt es an Arbeitskräften, da könnte man doch „Lust machen auf die Überstunde“, wie FDP-Chef Lindner sagt.

Auf eine gewisse Weise wäre das sogar gerecht. Bisher ist es im Steuersystem so: Wer mehr verdient, zahlt überproportional mehr Steuern. Schließlich geht man davon aus, dass Gutverdiener ihr Gehalt nicht nur aus eigener Leistung bekommen. Vielleicht haben sie eine teure Ausbildung vom Staat bekommen, vielleicht hatten sie gute körperliche Voraussetzungen, vielleicht hatten sie einfach Glück. All das steigert das Einkommen, ist aber nicht nur eigene Leistung, also kann man das auch höher besteuern. Die Überstunde aber, die ist sicher eine eigene Leistung, da muss der Staat vielleicht nicht so sehr zulangen.

Doch je länger man über den Vorschlag nachdenkt, desto schwieriger wird er. Das fängt mit einer simplen Frage an: Soll die Steuerbefreiung auch für Leute gelten, die Teilzeit ar­beiten? Oder die sowieso nur 32 Stunden Wochenarbeitszeit haben? Auf diese Weise entstünde ein geradezu paradoxer Anreiz für Firmen, die Standardarbeitszeiten zu senken und Mitarbeiter Überstunden machen zu lassen. Oder soll die Steuerbefreiung erst ab 40 Stunden in der Woche gelten? Dann wirkt sie ausgerechnet nicht für die Leute in Teilzeit, die am ehesten ein paar Stunden draufpacken könnten. So macht diese Sonderregel das Steuerrecht nur komplizierter und zieht neue Probleme nach sich.

Kinderbetreuung ist nicht das größte Problem

Eine andere Lösung muss her. Aber welche? DGB-Chefin Yasmin Fahimi fordert einen Ausbau der Kinderbetreuung. Das ist leichter gesagt als getan. In den vergangenen Jahren sind die Löhne der Kita-Mitarbeiter schon überdurchschnittlich gestiegen, Erzieher ist zum Trendberuf geworden. Personal fehlt trotzdem immer noch, und viel mehr wird erst mal nicht zu bekommen sein. Sowieso ist die Kinderbetreuung nicht das größte Hindernis. Nicht mal jeder vierte Teilzeitarbeiter gibt an, dass er Kinder oder pflegebedürftige Eltern betreut. Mehr als zwei Drittel davon wollten das selbst übernehmen. „Die Verfügbarkeit oder die Kosten von Betreuungsangeboten spielten bei der Entscheidung eine vergleichsweise untergeordnete Rolle“, heißt es vom statistischen Bundesamt. Wichtiger noch: Mehr als die Hälfte der Frauen in Teilzeit hat nicht mal Kinder unter 18.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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Das Hauptproblem ist ein anderes: Vielen Deutschen ist inzwischen das Geld die viele Arbeit nicht wert. Manche sind mit weniger Brutto zufrieden, andere sind von ihrer Arbeit gestresst, wieder andere finden den Nettolohn für die zusätzlichen Arbeitsstunden schlicht zu gering – so oder so: Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt nicht.

Mehr Geld für mehr Arbeit

Das liegt nicht zuletzt am Staat. Viele Feministen und einige Ökonomen fordern darum die Abschaffung des Ehegattensplittings. Das hätte eine simple Folge: Bisher wird jede Arbeitsverteilung im Paar gleich besteuert, solange die Gehaltssumme gleich bleibt. Ohne Splitting wäre nur die Gleichverteilung des Gehaltes steuerlich günstig, alle anderen Aufteilungen würden kosten. Die Hoffnung ist, dass dann Frauen mehr arbeiten. Doch das geht nur auf, wenn Männer sich noch wie früher verhalten und nicht ihre Arbeitszeit reduzieren. Dummerweise sind im vergangenen Jahr­zehnt die Arbeitszeiten von Männern viel schneller zurückgegangen als die von Frauen – da ändert sich schon etwas.

Am Schluss bleibt nur eines: Wer mehr arbeitet, dem muss der Staat mehr Geld lassen. Das muss nicht mal viel kosten, es geht nur um eine Um­verteilung von Steuern und Sozialleistungen. Die sind bisher schlecht koordiniert. Bis tief in die Mittelschicht hinein wirken Steuern und Sozialleistungen so ungünstig zusammen, dass es fast egal ist, wie viel man verdient – netto bleiben immer ähnliche Beträge übrig. So hat es das Ifo-Institut ausgerechnet. Im Moment kann der Arbeitgeber das Gehalt erhöhen, der Arbeitnehmer mehr Stunden arbeiten – fürs Nettoeinkommen ist das egal. Kein Wunder, dass die Deutschen so wenig arbeiten.

Die Interventionsspirale zurückdrehen

Ludwig von Mises hat einst die so genannte „Interventionsspirale“ beschrieben: Mit jeder Regel entstehen neue Ungerechtigkeiten. Die Politik ist dann in Versuchung, neue Regeln zu beschließen, die ihrerseits wieder Probleme nach sich ziehen - undsoweiter. Gerade Christian Lindner sollte so eine Spirale erkennen und dafür kämpfen, sie zurückzudrehen.

Wenn er die Deutschen also zum Arbeiten bewegen will, dann muss er die anderen Ampelparteien davon überzeugen, das Steuer- und Sozialsystem zu vereinfachen: so, dass alle die Früchte ihrer Arbeit ernten können. Mit möglichst wenig Sonderregeln.