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Der „Job-Turbo“ läuft noch nicht auf Hochtouren

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Eine neue Studie zeigt: Viele Betriebe öffnen sich für Bewerber, die wenig Deutsch können.
Noch sind mehr Flüchtlinge im Bürgergeld als in Arbeit. Aber der Sonderbeauftragte der Regierung sieht Fortschritte. Eine neue Studie zeigt: Viele Betriebe öffnen sich für Bewerber, die wenig Deutsch können.

Es ist eine große Integrationsaufgabe, in der die Unternehmen eine wichtige Rolle übernehmen sollen: Seit 2015 sind mehr als 3,5 Millionen Menschen auf dem Weg der Asyl- und Fluchtmigration nach Deutschland gekommen. Zwar haben nicht alle ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhalten. Aber es bleiben mehr als zwei Millionen Menschen, die möglichst rasch einen festen Platz in Wirtschaft und Gesellschaft finden sollen und wollen – sofern ihnen das nicht schon gelungen ist.

Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) weist aus, dass inzwischen 216.000 Menschen aus Syrien sozialversicherungspflichtige Arbeit haben, ebenso 169.000 Menschen aus der Ukraine, die erst 2022 in großer Zahl nach Deutschland kamen. Allerdings sind auch 329.000 Syrer als „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“ im Bürgergeld, ebenso 491.000 Ukrainer. Alle wichtigen Fluchtländer zusam­men, stehen 736.000 Beschäftigten noch 1,1 Millionen erwerbsfähige Bürgergeldbezieher gegenüber. Es bleibt also viel zu tun – auch für die Initiative „Job-Turbo“ der Regierung, die Arbeitgeber motivieren will, mehr Bewerbern eine Chance zu geben, die anfangs wenig Deutsch sprechen.

Eine Erhebung der Bundesagentur und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) liefert dazu nun teils ermutigende Erkenntnisse: Von 279 befragten Personalmanagern gab jeder zweite an, dass sein Unternehmen in den vergangenen zwölf Monaten schon Erfahrungen gemacht habe mit Geflüchteten, die „basal“ Deutsch sprachen. Und von denen, die solche Bewerber eingestellt haben, berichteten 51 Prozent von „überwiegend positiven“ Erfahrungen. Nur für 7 Prozent überwogen negative Erfahrungen. 42 Prozent antworteten mit „sowohl als auch“.

Gute Ausgangslage, um mit Integration voranzukommen

Jenseits solcher konkreten Erfahrungen äußerten sogar 62 Prozent der Befragten, dass sie in der Beschäftigung solcher Bewerber eine Möglichkeit sehen, Arbeits- und Fachkräftemangel mittelfristig zu mildern. Daniel Terzenbach, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit und seit Oktober zudem Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Initiative „Job-Turbo“, wertet das als gute Ausgangslage, um mit der Integration voranzukommen. „Die Bereitschaft des Personalmanagements wächst, sich aktiv an der Arbeitsmarktintegration zu beteiligen“, sagte er der F.A.Z. „Ein Grund mehr für uns, diese Entwicklung mit flankierenden Maßnahmen zu unterstützen und noch stärker auf die Unternehmen zuzugehen.“

Die Erhebung zeigt Terzenbach zufolge auch, dass Personalverantwortliche nicht alle wichtigen Angebote der Arbeitsförderung gleich gut kennen. Zum Beispiel sei das Instrument des Probearbeitens unter den Betrieben deutlich bekannter als etwa Weiterbildungsförderung von Beschäftigten. Ähnliches gilt für Coachingprogramme. Solche Angebote „müssen wir daher noch viel sichtbarer machen“, sagt der BA-Manager. Ermutigend sei, dass die im Zuge des „Job-Turbos“ neu aufgesetzten Be­rufs­sprachkurse einen über­durch­schnit­t­lichen Bekanntheitsgrad hätten. Sie können neben einer Arbeit absolviert werden und sind berufsspezifisch angelegt.

Behördenübergreifende Zusammenarbeit ist wichtig

Neben den sprachlichen Herausforderungen erweise sich auch „Komplexität bei Behörden als Hürde bei der Einstellung von Geflüchteten“, stellt Terzenbach fest. „Hier ist noch Luft nach oben, und umso wichtiger ist es, behördenübergreifend und mit den Unternehmen zusammenzuarbeiten.“ Immerhin schnitt die BA in der Umfrage mit am besten ab: 30 Prozent der Personalmanager, die bei der Einstellung von Flüchtlingen mit ihr zu tun hatten, bewerteten ihre Erfahrungen mit der Arbeitsagentur als gut bis sehr gut. Im Fall der (fürs Bürgergeld zuständigen) Jobcenter waren es 26 Prozent. Mit Ausländerbehörden machten nur 13 Prozent gute bis sehr gute Erfahrungen.

Auch für die Personalmanager, die sich in ihrem Unternehmen keine Milderung von Ar­beits­kräfte­man­gel durch Flüchtlinge erwarten, spielten diese Aspekte eine Rolle: Mehr als ein Drittel begründeten ihre Skepsis mit zu hohem Betreuungsaufwand bei Wohnungssuche und Behördengängen; ähnlich oft führten sie Unklarheit über Ar­beitserlaubnisse und Bleibeperspektiven an. Mit Abstand am häufigsten nannte diese Gruppe der Befragten aber schlicht mangelnde Sprach- und Fachkenntnisse als Hinderungsgründe. Doch insgesamt sieht auch DGFP-Geschäftsführer Ralf Steuer eine große Aufgeschlossenheit der Unternehmen. Die Befragung zeige, „dass Diversity mehr ist als ein Lippenbekenntnis – sie ist vielerorts bereits gelebte Realität“.

Der „Job-Turbo“ der Regierung setzt nicht nur darauf, Arbeitgeber zur Einstellung von Bewerbern mit geringen Deutschkenntnissen zu motivieren. Dazu gehört auch, dass Jobcenter und Arbeitsagenturen diese Zielgruppe mit erhöhter Priorität in Arbeit vermitteln sollen. „Denn Sprache lernt sich nicht nur auf der Schulbank, sondern vor allem im täglichen Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz“, begründet Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) diesen Ansatz. Erst im nächsten Schritt sollen dann Hilfen zu einem Aufstieg in der Berufswelt in den Vordergrund rücken. Für andere Arbeitssuchende hat die Ampelkoalition mit der Bürgergeldreform von 2022 den sogenannten Vermittlungsvorrang abgeschafft. Anstatt Menschen ohne Berufsabschluss auf die nächstbeste Hel­fer­stelle zu vermitteln, sollen die Jobcenter sie eher auf den Weg zu einem Berufsabschluss bringen, damit sie später auf dem Arbeitsmarkt dauerhaft besser Fuß fassen.

Einen Anstoß zum „Job-Turbo“ hatten Vergleiche mit Nachbarländern gegeben, die nahelegen, dass dort besonders die Integration von Ukrainern viel weiter vorangekommen war. Beschäftigungsquoten von mehr als 50 Prozent in Belgien und den Niederlanden standen 20 Prozent hierzulande gegenüber. Erklärt wurde es auch damit, dass Deutschland mehr auf langfristig angelegte Förderung setze – viele Ukrainer standen durch ihre Teilnahme an einem in der Regel sechs- bis achtmonatigen Integrationskurs nicht gleich für Arbeit zur Verfügung.