Buckminster-Fulleren :
Fußbälle in Olivenöl

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Hier kein Olivenöl: In Toluol löst sich Buckminster-Fulleren mit einer schönen purpurnen Farbe.
Die berühmteste Verbindung aus der Gruppe der Fullerene haben drei Chemiker 1985 im Labor entdeckt und dafür später den Nobelpreis bekommen. Ist die formschöne Chemikalie inzwischen zu etwas gut?

@ war auf deutschen Tastaturen ein Spätling. Wir sahen das Zeichen zuerst 1991, als wir unsere allererste E-Mail-Adresse zugewiesen bekamen. Doch im selben Jahr begann der Kringel noch eine andere Karriere: Da erschien im Journal of Physical Chemistry der Bericht über die Synthese verschiedener Moleküle aus der Gruppe der Fullerene, darunter eines C60 aus 60 Kohlenstoffatomen, in denen jeweils ein Atom des Metalls Lanthan eingeschlossen war. Das stellte die Chemiker vor ein Problem: Metall und Fulleren waren fraglos verbunden, aber auf eine neue, mechanische Art – oder topologische, wie Mathematiker vielleicht sagen würden. Daher bedurfte es eines neuen chemischen Formelzeichens. Die Autoren schlugen das Symbol @ vor. Heute wird C60 mit einem darin gefangenen Lanthanatom tatsächlich La@C60 geschrieben.

Einer der Autoren dieses Vorschlags war Richard Smalley (1943 bis 2005) von der Rice University in Houston, ein Entdecker des C60. Im Jahr 1985 hatte er zusammen mit seinem Institutskollegen Robert Curl (1933 bis 2022) sowie dem Briten Harold Kroto (1939 bis 2016) von der University of Sussex das Massenspek­trum eines rußigen Rückstands aufgenommen, der sich gebildet hatte, als ein Laser in einer Heliumatmosphäre Graphit verdampfte. Die Idee kam von Kroto, der zuvor an der radioastronomischen Entdeckung längerer Moleküle in interstellaren Wolken und kohlestoffreichen Sternen beteiligt gewesen war. Ziel war es nun, solche Weltraummoleküle im Labor zu synthetisieren.

Nun sahen Kroto, Smalley und Curl in ihrem Massenspektrum aber ein dominantes Signal, das von einem Molekül aus sogar 60 Kohlenstoffatomen herrührte. Sie brauchten einige Tage, um darauf zu kommen, wie diese darin angeordnet sein mussten: In einem Polyeder mit 12 Pentagonen und 20 Hexagonen. Sie fragten einen Kollegen vom Mathematik-Department der Rice University, ob solch ein Polyeder denn einen Namen habe. Darauf dieser: „Klar hat es einen. Man nennt das einen Fußball.“

Molekülmodell des Buckminster-Fullerens a.k.a Buckyball. Dieses C60-Isomer ist bis heute das bekannteste  Käfigmolekül aus lauter Kohlenstoffatomen.
Molekülmodell des Buckminster-Fullerens a.k.a Buckyball. Dieses C60-Isomer ist bis heute das bekannteste Käfigmolekül aus lauter Kohlenstoffatomen.Schwerdtfeger, Wirz & Avery "The topology of fullerenes" in WIREs Computational Molecular Science 2015

Tatsächlich sind die 60 Kohlenstoffatome abwechselnd mit Einfach- und Doppelbindungen aneinander gebunden – und diese bilden genau das Muster der Nähte auf dem Runden, das ins Eckige muss. Einen geometrischen Namen gibt es für so etwas allerdings auch, und er lautet „Abgeschnittener Ikosaeder“, wobei das Abschneiden an allen zwölf Ecken eines Ikosaeders so vorzunehmen ist, dass alle Kanten – die dann die Seiten der Pentagone und Hexagone bilden – gleich lang sind. Im C60-Molekül stimmt das freilich nicht exakt: Die Kanten zwischen Hexagonen und Pentagonen sind mit 0,1455 Nanometern etwas länger als die 0,1391 Nanometer, die Hexagone mit He­xa­go­nen gemeinsam haben.

Namenspatron der neuen Chemikalie wurde dann aber ohnehin niemand aus Sport oder Geometrie, sondern der amerikanische Architekt Richard Buckminster Fuller (1895 bis 1983), denn der hatte Kuppeln entworfen, die entfernt an die Struktur des C60-Moleküls erinnern. Gebräuchlich wurde allerdings nur der hintere Teil des monströsen Namens für die übergeordnete Stoffklasse der Fullerene. Unter Chemikern firmiert Buckminster-Fulleren meist einfach als „C60“ und seine Moleküle als „Buckyballs“.

Quadratsäure und Platonische Kohlenwasserstoffe

Deren Entdeckung kam 1985 überraschend, aber nicht völlig unerwartet. So hatte Eiji Osawa von der Hokkaido University das Fußballmolekül 1970 vorhergesagt, seine Arbeit aber nur auf Japanisch veröffentlicht, sodass sie keine weiteren Kreise zog. Dabei waren Moleküle, in de­nen Atome klassische geometrische Figuren erzeugen, durchaus schon früher ein Thema gewesen. So gibt es tatsächlich ei­ne Verbindung namens Quadratsäure, deren vier Kohlenstoffatome ein Viereck bilden – wenn auch, streng genommen, kein Quadrat –, und von den fünf sogenannten Platonischen Körpern, also Te­traeder, Wür­fel, Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder, können vier im Prinzip mit Kohlenstoffatomen aufgebaut werden – nur der Ikosaeder nicht, weil an dessen Ecken fünf Kanten zusammenlaufen und ein Kohlenstoffatom an maximal vier verschiedene Nachbarn im Molekül binden kann.

Mit Cuban und Dodecahedran sind heute sogar zwei „Platonische Kohlenwasserstoffe“ verfügbar – wobei die Synthese des Cubans 1964 eine Überraschung war, hatte man ein Molekül, in dem die Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen lauter 90-Grad-Winkel bilden, für instabil gehalten. Tetrahedran gibt es auch, allerdings nicht als echten Kohlenwasserstoff. Aber mit bestimmten Molekülgruppen anstatt Wasserstoffatomen an den vier Ecken des Kohlenstofftetraeders lässt dieser sich stabilisieren.

Makroskopisch eher unansehnlich

Interessant ist die Frage, ob es Octa­he­dran gibt, in dem sechs Kohlenstoffatome einen Körper aus acht Dreiecken bilden würden. Gefunden oder synthetisiert wurde es noch nicht, und Theoretiker vermuten, das Molekül dürfte dafür zu fragil sein. Würde es aber existieren, dann bliebe – da in den Spitzen eines Oktaeders vier Kanten zusammenlaufen – kein Platz für Wasserstoff oder irgendeine Molekülgruppe. Octahedran bestünde also nur aus Kohlenstoffatomen, es wäre somit eine weitere Form dieses Elements wie Graphit oder Diamant – oder wie das Buckminster-Fulleren.

Von diesem konnten erst 1991 makro­skopische Mengen isoliert werden, und nun zeigte sich, dass die „Buckybälle“ ei­nen Feststoff bilden: schwarz-bräunliche Krümel, die aber – ganz anders als Graphit und Diamant – in einigen Flüssigkeiten löslich sind. Das gelöste C60 verleiht ihnen dann eine prächtige purpur-lila Farbe, wie zur Illustration dafür, dass mit der neuen Kohlenstoffform nun auch ein Tor zu einem ganz neuen Gebiet der Chemie aufgestoßen worden sein könnte. Die Öffentliche Aufmerksamkeit und die anfänglichen Hoffnungen auf segensreiche Anwendungen der Fußballmoleküle waren be­trächtlich, was sich später bei den Grenzfall-Fullerenen Graphen und Kohlenstoff-Nanoröhren wiederholen sollte. 1996 bekamen Smalley, Curl und Kroto den Nobelpreis für Chemie.

Vom Hoffnungsträger zum Anti-Falten-Elixir

Heute ist es etwas stiller geworden um das Buckminster-Fulleren. Immerhin durfte sich Harry Kroto 1994, noch vor seinem Nobelpreis, über die Entdeckung spektroskopischer Hinweise auf C60 in der Atmosphäre kühler Sterne freuen – und 2010 über den Nachweis neutraler C60- und C70-Moleküle in einem kosmischen Nebel. Und natürlich werden immer mal wieder Forschungsergebnisse gemeldet, die technische Anwendungen verheißen. Im Jahr 2023 etwa erschien eine Arbeit in den Physical Review Letters, die beschrieb, wie Buckybälle auf einer Metallspitze un­ter Einfluss von Laserpulsen zu ultra­miniaturisierten elektronischen Schaltelementen werden, die bis zu einer Million Mal schneller reagieren als die Transistoren heutiger Computerchips. Um das tech­nisch auszunutzen, müsste man nun allerdings auch den Laser mitminiaturisieren. An Visionen mangelte es tatsächlich nie – neue Katalysatoren, potente organische Solarzellen, Transportmoleküle in der Medizin –, aber eine wirkliche Killer Application für das formschöne Molekül hat sich bislang nicht aufgetan.

Das bedeutet nicht, dass mit Buckybällen kein Geld verdient wird. Tatsächlich ist C60 als sogenanntes Antioxidans in der Lage, Molekülradikale einzufangen, die im menschlichen Körper für mancherlei Unbill verantwortlich gemacht werden, darunter nicht zuletzt für Alterserscheinungen. Daher kann man sich im Internet Lösungen von C60 in diversen pflanz­lichen Ölen bestellen – 80 Milligramm der Reinheit 99,99 Prozent in 100 Millilitern Bio-Olivenöl zum Beispiel kosten bei ei­nem wahllos herausgegriffenen Anbieter umgerechnet rund 46 Euro.

Amerika­nische Wissenschaftler haben für eine 2020 in der Fachzeitschrift GeroScience erschienenen Studie derlei Produkte sowie selbst gemixtes C60 in Olivenöl systematisch aus­gewachsenen Labormäusen verabreicht. „Wir konnten keine signifikanten positiven Effekte auf Gesundheit oder Lebenserwartung beobachten, verglichen mit den Kontrollgruppen“, lautete das Fazit der Forscher. Immerhin war das Fullerenpräparat für die Nager auch nicht giftig – sofern es unter striktem Lichtabschluss aufbewahrt worden war. „Wenn C60-Olivenöl einer dem Tageslicht vergleichbaren Beleuchtung ausgesetzt ist“, schreiben die Autoren, „bildet es toxische Verbindungen, die bei Mäusen innerhalb von zwei Wochen eine signifikante Morbidität und Mortalität erzeugen können.“