Korngolds Neubewertung :
Er lebte von Kunst

Von Lennart Schneck
Lesezeit: 3 Min.
Goethe war gut, lieferte immer ein verwandlungsfähiges Zitat: „das Un-glaubliche hier wird Ereignis“ – so gratulierte Erich Wolfgang Korngold am 22. August 1949 Alma Mahler-Werfel zum siebzigsten Geburtstag.
Heiter ist die Wiederverwendung von eigenem Material, besonders im Kintopp: Ein Münchner Vortrag über Erich Wolfgang Korngold machte den Geltungsverlust antipopulärer Vorurteile der Musikforschung deutlich.

„Vom Konzertsaal ins Kino – und zurück“ lautete der Titel eines Vortrags von Arne Stollberg in der Münchner Carl Friedrich von Siemens Stiftung über Erich Wolfgang Korngold. Im Nachkriegseuropa konnte er als ernst genommener Komponist nicht wieder Fuß fassen, wogegen heute laut Stollberg die Formulierung „Korngold-Renaissance“ „fast schon Understatement“ ist. „Man ist nicht ungestraft in Hollywood“, urteilte geringschätzig 1947 Olin Downes in der „New York Times“ über Korngolds Violinkonzert, uraufgeführt von keinem Geringeren als Jascha Heifetz. Der Vortrag befasste sich mit Korngolds Weg zur Filmmusik und dem bei ihm zu erkennenden „Stilprinzip“ des „Gattungstransfers“.

Wie penibel ins Detail die Arbeit in Hollywood konkret ging, wurde durch die Projektion eines „cue sheet“, eines sekundengenauen Zeitrasters einer Fechtduell-Szene, deutlich, illustriert durch den raren Schnappschuss einer entsprechenden Dirigierprobe Korngolds vor ablaufendem Film. Im besten Sinne belehrend und unterhaltsam, wurden die Farbfilmsequenzen dem Publikum nicht vorenthalten. Erhellende Einblicke gewährte der Referent in das von ihm mitverantwortete Großprojekt der Korngold-Ausgabe – in der Projektion über- und nebeneinandergelegter Notenbeispiele von eben vorgeführten Musikabschnitten. Hier wurde greifbar, wie anhand Korngolds eigener sparsamer „short scores“ sein Mitarbeiterstab eine vorläufige Partiturfassung erstellte, die in der Edition der endgültigen Druckfassung gegenübergestellt wird. Im Sinne seiner Hauptthese wies Stollberg mit Ton- und Notenbeispielen die höchst geschickte Wiederverwendung früherer Themen in der Filmmusik nach, später Teile aus dieser in neuen Werken wie der Roosevelt gewidmeten Sinfonie in Fis-Dur.

Meistererzählungen sind in Unehre gefallen

Fried­rich Geiger von der Münchner Hochschule für Musik und Theater hatte in seiner Einführung die Erwartung formuliert, dass Meistererzählungen an diesem Abend genauso vermieden werden würden wie jegliche Kanonbildung. Hier konnte man ahnen, welches Feingefühl heute geboten sein mag, um nicht vorzeitig unselige ideologiekritische Reflexe auszulösen. Stollberg wurde als zur „historischen Musikwissenschaft“ gehörig vorgestellt, im Ge­gensatz zur „systematischen“, von deren umfassendem Anspruch 2022 der Vortrag von Tobias Janz am gleichen Ort einen Eindruck gegeben hatte. Man kann es als Kompliment für den Referenten und gutes Zeichen für die Vereinbarkeit dieser Forschungsdimensionen auffassen, dass sie teilweise ineinanderzufallen schienen: aner­kannte Erfolgswerke der Hochkultur, die Volatilität ihres ästhetischen „Kurswertes“ und ihre Verwobenheit mit Produkten lange geschmähter „Unterhaltungsindustrie“.

Erich Wolfgang Korngold improvisiert nach einem Mittagessen in der Studiokantine der Warner Brothers ein Stückchen für Stimmgabel solo; sein Publikum sind seine Ehefrau Luzi Korngold, geboren als Luise von Sonnenthal in Wien, und der aus Berlin-Steglitz gebürtige Filmproduzent Henry Blanke.
Erich Wolfgang Korngold improvisiert nach einem Mittagessen in der Studiokantine der Warner Brothers ein Stückchen für Stimmgabel solo; sein Publikum sind seine Ehefrau Luzi Korngold, geboren als Luise von Sonnenthal in Wien, und der aus Berlin-Steglitz gebürtige Filmproduzent Henry Blanke.University of Missouri-Kansas City

Die Diskussion bot viele anschlussfähige Fragestellungen: Von wann an gab es reine Filmmusikkonzerte? – Der große Einschnitt des Übergangs vom Stumm- zum Tonfilm. – Der Usus eigener Ouvertüren zu Filmen, über die Musik zu Vor- und Abspann hinaus (in denen Korngold seinen Namen bei Erscheinen durch eigenes Nebenthema untermalt). – Wilhelm Vossenkuhl wies im Anschluss an Herders Kritik an der Visualitäts-Lastigkeit von Musikmetaphorik auf die Unauffälligkeit als Qualitätskriterium von Filmmusik hin („die beste Filmmusik ist die, die man nicht hört“) – der Referent griff das auf für die auch oft durch die Vielfalt von Eindrücken überwältigende Oper – man könnte das auf viele symphonische, kontrapunktische oder sonstige sogenannte absolute Musik mit darin angestrebter Überforderung erweitern. – Wolfgang Rathert brachte das Gegenbeispiel Hanns Eisler im „Weimar am Pazifik“ des Exils zur Sprache, der mit Adorno eine Arbeit über „Komposition für den Film“ schrieb, in der aber wohl nicht Korngold als verkapptes Feindbild fungiere. – Dieter Borchmeyer verwies auf die Fortführung von Herders Kritik in Wagners Beethoven-Essay, Hartmut Schick auf das erstaunliche Fehlen amerikanischer Einflüsse in Korngolds Nachkriegsschaffen, Friedrich Geiger schließlich auf ungute Allianzen nach dem Krieg, als Adornos Standpunkt unfreiwillig überblendbar wurde mit einer an die NS-Wagner-Tradition anknüpfenden polemischen Kritik.

Die allgemeine Heiterkeit, die ein dem Vortrag vorangestelltes Zitat hervorrief, konnte als ermutigendes Zeichen für das Verschwinden gewisser „Meisterer­zählungen“ oder des übermäßigen Respekts für sie beim breiteren, akademisch interessierten Publikum genommen werden. Die „musikalische Dummheit, deren Ausdruck“ Kinomusik sei, so Carl Dahlhaus, „kommuniziert mit der des Publikums“. Korngold dagegen bekannte gegenüber seinem Orchestrator Hugo Friedhofer: „Tosca is the best film score ever written.“