Franz Blei an Carl Schmitt :
Wie können Sie an Hitler glauben?

Von Florian Meinel, Angela Reinthal
Lesezeit: 7 Min.
Zwölf Tage vor dem Tag der Entscheidung: Carl Schmitt hielt am 18. Januar 1933 die Rede auf der Reichsgründungsfeier der Handelshochschule Berlin.
Unpolitisch wachse das Volk, im Schutz der politischen Entscheidungen, von der Gewalt des Staates abgeschirmt gegen jeden lichten Einfall: Sarkastisch verwies Franz Blei diesen Gedanken von Carl Schmitts NS-Verfassungslehre in die Sphäre der Spökenkiekerei. Bleis verschollener letzter Brief an Schmitt aus dem Januar 1934 wird hier erstmals publiziert.

Als „Deutsches Gespräch“ veröffentlichte der Schriftsteller und Kritiker Franz Blei 1931 in der „Neuen Schweizer Rundschau“ das Protokoll einer weinseligen Unterhaltung zwischen einem Österreicher, einem Bayern und einem Rheinländer. Der Bayer wird als ein für Ernst Jünger schwärmender Nationalsozialist vorgestellt, der Österreicher, der starke Züge des Autors selbst trägt, als „säkularisierter Kleriker“. Der Rheinländer schließlich, ein „Dogmatiker“ mit „fast französischer Lebhaftigkeit“, ist leicht als der Staatsrechtler Carl Schmitt zu erkennen. Kurz bevor die sechste Flasche Wein geöffnet wird, hält der Schmitt jenes Prosastücks eine Rede gegen die romantische Idee der Nation. Kriege werden in einer internationalisierten Wirtschaft als Mittel ökonomischer Konkurrenz geführt. Auch 1914 habe das deutsche Volk, so der Rheinländer, international gedacht, „nur die Konkurrenz und deren Neid“ gesehen. „Es besaß kein Nationalgefühl, sondern ein Internationalgefühl, wenn es so was gibt.“

Die Freundschaft zwischen Carl Schmitt und Franz Blei gehört zu den unwahrscheinlichsten intellektuellen Konstellationen der Weimarer Republik. Hier der Theoretiker des Ausnahmezustands und der Diktatur, der 1932 für Franz von Papen gegen die Selbständigkeit Preußens und 1933 für Hitler für die Legitimität des Ermächtigungsgesetzes kämpfen sollte; dort der Übersetzer Oscar Wildes, Sammler erotischer Literatur und abgründige Satiriker des Weimarer Kulturbetriebs. Verachtung für Liberalismus und Romantik führte die beiden „gottlosen Klerikalen“ zusammen. Ihr Bündnis sollte zerbrechen, als Liberalismus- und Romantikkritik nicht mehr als Opposition gegen den Geist von Weimar taugten.

Das Bestiarium des Literaturbetriebs

Wie der Münchener Anglist Andreas Höfele in seiner großen Studie über den literarischen Resonanzraum von Schmitts politischem Denken gezeigt hat, hat Franz Blei den siebzehn Jahre jüngeren Juristen, der bis dahin vorwiegend fachwissenschaftliche Arbeiten publiziert hatte, als politisch-literarischen Autor eigentlich erst entdeckt und mit seinem weit verzweigten literarischen Netzwerk gefördert. So etwa mit der Monatszeitschrift „Summa“. Zu ihrem einzigen Jahrgang trug Schmitt noch während des Ersten Weltkriegs zwei Texte bei, in denen er erstmals die Grundbegriffe seiner politischen Theorie formulierte, außerdem eine literarische Satire auf die Praxis des Tagebuchschreibens. Bleis bekanntestes Werk, das „Bestiarium Literaricum“, ist eine Satire auf die literarische Welt in Form von Tierbeschreibungen. Schmitt lieferte pseudonym den Artikel über Karl Kraus.

In Schmitts Tagebuchwerk taucht Franz Blei oft an entscheidender Stelle auf. Die Erinnerung an eine Begegnung mit Blei in Berlin 1921 flocht Schmitt in den Entwurf seines Abschiedsbriefs an seine irische Geliebte Kathleen Murray ein. Dann aber notierte er auch immer wieder Befremden über den in chaotischen Verhältnissen lebenden Blei, so etwa im April 1923: „Um 4 zu Blei, in seine Wohnung, ein ärmlicher alter Mann, aber lebendig, der typische Philosoph des 18. Jahrhunderts“. Blei bestritt damals seinen Lebensunterhalt mit einer Bühnenrolle in Carl Sternheims Komödie „Die Hose“. Schmitt war entsetzt: „wie Sie den Schriftsteller mit dem Schauspieler identifizierten, genügt mir, um zu wissen, dass jede auf ein erhöhtes Podium gestellte Art von Schauspielerei eine ekelhafte Verballhornung Ihrer selbst sein muss“.

Im Nachkriegstagebuch „Glossarium“ erinnerte sich Schmitt an den alten Freund ohne ein böses Wort. Noch einmal rief er die antiliberale Allianz auf, in einer Parodie des von Richard Strauss vertonten Gedichts „Allerseelen“ von Hermann von Gilm: „Komm in die Bar mit grüner Orchidee, / Den ganzen Friedrich Nietzsche bring herbei, / Und tritt den Bürger feste auf die Zehe, / Wie einst Franz Blei.“

Versteigert und verschwunden

Die Quellen dieser ungleichen Freundschaft sind nur lückenhaft überliefert. Die Briefe Franz Bleis an Carl Schmitt wurden 1995 publiziert, von den Briefen Schmitts gibt es nur hier und da Entwürfe oder Abschriften in seinen Tagebüchern. Ein Teil jener Briefe aus dem verstreuten Nachlass Bleis, die meisten aus den Jahren 1921 und 1922, tauchte 2008 in einer Auktion des Berliner Antiquariats Stargardt auf. Sie wurden an einen unbekannten Käufer veräußert wurden und sind seither verschwunden. Ihr Inhalt ist nur ganz wenigen bekannt.

Bleis Brief wurde Schmitt nachgeschickt: Nur wenige Monate hatte dieser an der Universität zu Köln gelehrt; als Ordinarius der Friedrich-Wilhelms-Universität kehrte er im Herbst 1933 nach Berlin zurück, wo er seit 1928 an der Handelshochschule tätig gewesen war.
Bleis Brief wurde Schmitt nachgeschickt: Nur wenige Monate hatte dieser an der Universität zu Köln gelehrt; als Ordinarius der Friedrich-Wilhelms-Universität kehrte er im Herbst 1933 nach Berlin zurück, wo er seit 1928 an der Handelshochschule tätig gewesen war.Hauptstaatsarchiv Nordrhein-Westfalen

1931 emigrierte Blei nach Mallorca, freilich nicht aus politischen Gründen. Die Insel war anders als Berlin auch für einen notorischen Bankrotteur bezahlbar. Schmitt und Blei sollten sich nie wieder treffen: Während die Nationalsozialisten, die Blei, wahrscheinlich aufgrund der Darstellung in Adolf Bartels’ „Deutsche Dichtung von Hebbel bis zur Gegenwart“ (1921), fälschlich für einen Juden hielten, seine Werke einschließlich des „Bestiariums“ verboten, entschied sich Schmitt, zum staatsrechtlichen Apologeten der Diktatur zu werden. Darüber kam es zu einem letzten, bisher unbekannten Austausch zwischen Blei und Schmitt.

Schon ein gutes halbes Jahr bevor Schmitt mit der berüchtigten Rechtfertigung der Ermordung von Ernst Röhm und anderen der politischen Gewalt das Hemd der Legalität umhängen sollte, hatte er Ende 1933 eine Gesamtdeutung der NS-Diktatur veröffentlicht: Die Broschüre „Staat, Bewegung, Volk“ verkündete die neue innere Einheit der Verfassung des NS-Staates im Prinzip des Führertums und der rassischen Art­gleich­heit des Volkes. „Jedes einzelne der drei Worte Staat, Bewegung, Volk“, heißt es dort, „kann für das Ganze der politischen Einheit gebraucht werden“, nämlich der „politisch-statische Teil“ des Staates, „die Bewegung als das politisch-dynamische Element und das Volk als die im Schutz und Schatten der politischen Entscheidungen wachsende unpolitische Seite“.

Der verhinderte Vorwortschreiber

Dass ausgerechnet Schmitt das Volk als eine still im Schatten der Politik wachsende Größe beschrieb, muss Blei, der ein Freiexemplar nach Mallorca bekam, geradezu vor den Kopf gestoßen haben. Schmitt hatte am Beginn ihrer Freundschaft seine scharfe Kritik der „Politischen Romantik“ geschrieben. Noch 1928 schrieb er Blei auf die Frage, wer ein Vorwort zu einer Neuauflage dieses Buches schreiben könne: „Sie könnten es nicht, weil Sie zu faul sind, und alle anderen könnten es nicht, weil sie zu dumm sind.“

Fünf Jahre später war, in Bleis Worten, „der Gegner der politischen Romantik ei­nem Sensationsroman erlegen“. Bleis öffentliche Abrechnung mit dem „Fall Carl Schmitt“ erschien Ende 1936 in einer Wiener Zeitschrift, kurz nachdem der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges Blei aus Mallorca vertrieben und auf eine lange Flucht gezwungen hatte. Sie führte ihn durch Österreich, Italien, Frankreich und Portugal schließlich nach New York, wo er 1942 verarmt starb. Bleis Artikel beginnt mit der Erinnerung an einen Brief: „Als er mir seine Broschüre ‚Staat, Volk, Bewegung‘ (1933) schickte, schrieb ich Carl Schmitt, daß ich ihm nach wie vor gratia und amicitia bewahren würde, aber daß über die reverentia ein häßlicher Schatten gefallen sei. Ich bekam keine Antwort. Der Schatten hat [sich] durch die weiteren Publikationen und Stimmungen Schmitts, die mir zu Gesicht gekommen sind, zur ägyptischen Finsternis verdichtet.“

In der Ausgabe der Blei-Briefe von 1995 fehlt jener dort erwähnte letzte Brief. Er dürfte mit das Schärfste sein, was Schmitt damals aus seinem Umfeld zu hören bekam. Blei rechnete Schmitt vor, wie quer seine Apologie des Hitler-Regimes zu allem stand, was sie in der Weimarer Zeit gemeinsam gedacht hatten. Führertum und Artgleichheit seien keine staatsrechtliche Beschreibung, sondern ein romantischer Wahn: „Jedes Theorem hat einen Dämon in sich, von dem man besessen ist. Das lässt einen jedes Anzeichen der Verwirklichung des Theorems schon als vollendetes Faktum der Verwirklichung begrüssen.“ Mit „Staat, Bewegung, Volk“, hieß das, hatte Schmitt die gemeinsame Linie der Liberalismuskritik an die Apologie einer schwarzen Romantik verraten.

Wunder gibt es plötzlich wieder

Sarkastisch diagnostizierte Blei bei Schmitt einen Wunderglauben für den Fall, dass er die Realisierung seiner Staatsvorstellung im Nationalsozialismus für möglich halten sollte. Eine berühmte These aus Schmitts „Politischer Theologie“ von 1922 lautet: „Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie.“

Lange bevor das deutsche P.E.N.-Zentrum unter dem Spottnamen einer Würstchenbude in Verruf geriet, garantierte es seinen Mitgliedern ein warmes Abendessen: Auf einer Clubsitzung im Frühjahr 1930, die in der Illustrierten „Tempo“ dokumentiert wurde, unterhielt sich Franz Blei (links) mit dem Forschungsreisenden, Ornithologen und Dokumentarfilmer Victor Baron von Plessen.
Lange bevor das deutsche P.E.N.-Zentrum unter dem Spottnamen einer Würstchenbude in Verruf geriet, garantierte es seinen Mitgliedern ein warmes Abendessen: Auf einer Clubsitzung im Frühjahr 1930, die in der Illustrierten „Tempo“ dokumentiert wurde, unterhielt sich Franz Blei (links) mit dem Forschungsreisenden, Ornithologen und Dokumentarfilmer Victor Baron von Plessen.Picture Alliance

Der 1933 erschienene Roman „Jesuiten, Spießer, Bolschewiken“ des österreichischen Publizisten Erik Ritter von ­Kuehnelt-Leddihn, den Blei Schmitt empfahl und auf eine Stufe mit den Romanen von Georges Bernanos stellte, wurde in Deutschland auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt. Die italienische Übersetzung von 1936 mit dem Titel „Gesuiti, borghesi, bolshevichi“ wurde als bestes antikommunistisches Buch mit dem „Premio Mussolini“ ausgezeichnet.

Bleis Brief vom 10. Januar 1934 fand sich nun im Vorlass des 1931 geborenen New Yorker Politikwissenschaftlers George Schwab. Schwab stammt, worüber seine 2021 erschienenen Erinnerungen berichten („Odyssey of a Child Survivor: From Latvia Through the Camps to the United States“, Privatdruck, New York), aus Lettland, wuchs auf als Kind eines deutschsprachigen jüdischen Arztes, der nach der deutschen Besetzung 1941 von den Einsatzkommandos der SS beim Massaker in Liepāja erschossen wurde. Schwab überlebte das Ghetto von Liepāja, mehrere Konzentrationslager, schlug sich nach dem Krieg in Hamburg als Straßenjunge durch und erreichte schließlich 1947 New York, wo er im Studium auf die Emigranten Otto Kirchheimer und Franz Neumann traf, die bei Schmitt studiert hatten. In diesem Umfeld nahm Schwab als Doktorarbeit die erste englischsprachige Darstellung von Schmitts politischer Theorie in Angriff. Später baute er mit Hans Morgenthau und Henry Kissinger eine außenpolitische Denkfabrik auf.

Die Vorarbeiten zu jener Dissertation, die 1970 als „The Challenge of the Exception. An Introduction to the Political Ideas of Carl Schmitt between 1921 and 1936“ in Schmitts Berliner Hausverlag Duncker & Humblot erschien, führten Schwab im Frühsommer 1957 zurück nach Europa und schließlich auch nach Plettenberg, wo er den persönlichen Kontakt mit Schmitt suchte – und fand. „Er erinnerte mich“, so berichtet Schwab über die erste Begegnung, „eher an einen gerissenen, aber lässigen Wall-Street-Millionär oder Rechtsanwalt als an einen nervösen, kettenrauchenden Pariser Rive-gauche-Intellektuellen.“

Schmitt, der damals wohl von Schwabs jüdischem Glauben noch nichts ahnte, fand in ihm, was er suchte: einen Interpreten, der außerhalb der politischen Formation der deutschen Nachkriegszeit stand, und damit die Chance, die internationale Diskussion um sein Denken zu beeinflussen. Seit jener ersten Begegnung versorgte Schmitt ihn daher unablässig mit Material, dessen Zusammenstellung und Kommentierung recht genau verrät, wie Schmitt in der Neuen Welt gesehen werden wollte. Schwab übersetzte später Schmitts Schlüsselwerke ins Englische und prägte damit die amerikanische Rezeption seit den Siebzigerjahren entscheidend. Seit Kurzem sind die Sammlungen Schwabs mit dem Nachlass Carl Schmitts im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen zugänglich, unter ihnen auch der hier publizierte Brief Franz Bleis (Signatur RW 265 Nr. 30194).

Franz Blei an Carl Schmitt

Cala Ratjada Mall. 10.1.34

Lieber Doktor Carl Schmitt,

besten Dank für Ihre Schrift, die in ihrem kritischen Teil ganz ausgezeichnet ist. Treffender und besser ist nie das Urteil über den Liberalismus gesprochen worden. In der Apologie des derzeitigen Staates sagen Sie erst im Schlussatz gleich treffendes: „Ohne Artgleichheit kann ein totaler Führerstaat nicht einen Tag bestehen“. Darin bin ich ganz Ihrer Meinung. Und da die Artgleichheit weder existiert noch hergestellt werden kann, besteht der totale Führerstaat eben nur in der Behauptung, dass er da sei und bestünde. Ich habe drei Hauptschriften der deutschen Rassisten gelesen und bin nicht erstaunt, dass die Deutschen mangels jeden Sinnes für das Lächerliche darüber nicht vor Lachen bersten. Ueber die Austreibung der Juden rege ich mich nicht weiter auf. Auch nicht sehr über die Vernichtung der deutschen Kommunisten und Socialisten und Pacifisten, aber ich kann denen, blos weil sie eine andere Form der Wirtschaft wünschen, nicht die „deutsche Art“ absprechen. Sie erinnern sich, dass mir immer das Wirtschaften als höchst nebensächlich erschien, ein planmässiges Wirtschaften höchstens etwas vernünftiger als eines ohne Plan wie es der private Kapitalismus treibt. Auch eine kollektivistische Wirtschaft wird ihre Unzufriedenen finden, weil halt die Menschen ungleich, nicht zu einem egalen Start zu bringen sind. Aber eine biologische rassenmässige Artgleichheit ist pure Romantik wie auch „der Führer“. Dass ein in der Mark geborner Krawutschke sich einen Germanen dünkt (und die östlich der Oder lebenden Deutschen sind durch Landschaft und Klima immer wieder geborne Krawutschkes, also Metöken, slavisch-deutsches Mischvolk, weshalb sie sich ja so sehr um ihr Germanentum kümmern), – das ist derzeit begreiflich, aber als Dünken noch keine Voraussetzung für ein Faktum, das als politischer Begriff verwendbar wäre. Auch der Führer ist Romantik. So eine Art politischer Wunderglaube an den Messias, eine Art göttliche unänderbare Person, die sich nicht irren kann als eine Summe aller möglichen Weisheit, also eines nicht menschlich lebenden Wesens. Ich kann nicht finden, dass A.H. auch nur im Geringsten Züge eines solchen Wesens besitzt. Sein Buch ist die Konfusion des aufgeregten Kleinbürgers, der nichts zu tun hat und daher zu allem redet, weil er von allem etwas läuten gehört hat. Seine Neben- und Unterführer ganz gleichen Wesens, ihr Gehorsam das Wissen um die Adoration des Führers, die sie ihrerseits nur so lange geniessen als sie dem Führer gehorsamen, den sie öffentlich zum deutschen Messias zu erklären nie ermüden werden. Denn ihre Macht beziehen sie ausschliesslich von ihm.

Lieber Doktor, Sie sehen in diesen Führern die Männer, die Ihre staatsrechtliche Praedilektion, den Totalen Staat verwirklichen, was sie zum Teil ja auch wirklich tun, obzwar die Vereinheitlichung des Reiches durch Abschaffung der nur dynastisch berechtigten Einzelstaaten auch jedes andere Regime getroffen hätte. Es lag das sozusagen in der Luft. Und wäre das erste eines kollektivistischen Regimes auch gewesen. Jedes Theorem hat einen Dämon in sich, von dem man besessen ist. Das lässt einen jedes Anzeichen der Verwirklichung des Theorems schon als vollendetes Faktum der Verwirklichung begrüssen. Aber wenn, wie Sie selber sagen, die totale Verwirklichung des totalen Staates auf Voraussetzungen sich gründet, die nie existiert haben und durch keine Macht der Welt zu schaffen sind (sie sind natürlich bei irgendwelchen afrikanischen oder australischen Stämmen vorhanden), – wie können Sie annehmen, dass diese Voraussetzungen im Falle des jetzigen deutschen Reiches erfüllt sind? Sie müssten denn an Wunder glauben, die selbst im Religiösen zu den zweifelhaften Dingen gehören, aber da immerhin ein Konstituens des Glaubens bilden. Doch nie im politischen Geschehen. Da gibts immer nur Menschen, die sich was einbilden und je dümmer es ist, um so hartnäckiger darauf bestehen. –

Ist Ihnen ein Buch unter die Hände gekommen, von Kühnel-Lehdin, das den etwas dummen Titel „Jesuiten, Spiesser, Bolschewiken“ hat und bei Pustet in Salzburg erschienen ist? Wenn nicht, empfehle ich es Ihnen sehr. Es ist die erste bedeutende Auseinandersetzung der kath. Kirche mit den Sowjets, ausserdem ein Roman vom Range der Bücher Bernanos, innerhalb der deutschen kathol. Belliteratur eine grossartige Leistung.

Ich hoffe, es geht Ihnen und Ihren beiden Frauen im Hause gut. Wir warten hier auf den Frühling, der in vier Wochen losgeht und die Insel in einen Blumengarten verwandelt.

Herzlichst Ihr Blei