Courbets „Begegnung“ :
Er will ja keine Schlösser bauen

Von Christine Tauber
Lesezeit: 8 Min.
Zwei Männer, einander in niedrigerer Stellung vermutend, begegnen sich: Alfred Bruyas vermachte „La Rencontre“ dem Musée Fabre in Montpellier.
Rollentausch erübrigt Geldbedarf: Gustave Courbets Gemälde „La Rencontre“ setzt die Emanzipation des Künstlers von der Patronage ins Werk.

Gustave Courbet war „The most arrogant man in France“, glaubt man dem Titel von Petra ten Doesschate-Chus Untersuchung über Courbet und die Medienkultur des neunzehnten Jahrhunderts aus dem Jahr 2007. Sein die Hybris streifendes künstlerisches Selbstbewusstsein trug er nicht nur gegenüber seinen Auftraggebern zur Schau, sondern auch in immer stärker zugespitzten Autonomiedemonstrationen und Unabhängigkeitserklärungen gegenüber den seit Jahrhunderten etablierten Institutionen der Kunst. Konflikte waren programmiert. Den neueren Forschungen zur Kunstpatronage zufolge kann ein Patronageverhältnis als gelungen bezeichnet werden, wenn es einer Logik der wechselseitigen Abhängigkeit von Künstler und Auftraggeber folgt: vonseiten des Künstlers im Sinne der Alimentierung, vonseiten des Auftraggebers im Hinblick auf eine autonome künstlerische Gestaltung, die einen von ihm erhofften Mehrwert allererst ermöglicht.

Die bisherige Patronageforschung hat die kulturelle Produktion vornehmlich als instrumentalisierbare, einseitig abhängige Funktionsgröße betrachtet. In dem von Ulrich Oevermann entwickelten reziproken Modell von Kunstpatronage wird hingegen die Subventionsbedürftigkeit und Förderungsabhängigkeit kultureller und künstlerischer Produktion um den Gesichtspunkt der Eigenmächtigkeit künstlerischer Hervorbringungen ergänzt, welche sich durch ­autonome ästhetische Gestaltung auszeichnen. Treibt der Künstler aber seine Autonomiedemonstration und sein Unabhängigkeitspostulat auf die Spitze, wie das bei Courbet der Fall ist, muss es notwendig zu Konflikten mit dem Auftraggeber kommen. Die Patronagebeziehung droht zu scheitern.

Ein freimaurerischer Geheimbund

Der Bankierssohn Alfred Bruyas aus Montpellier, Courbet-Sammler der ersten Stunde, fühlte sich dazu berufen, die moderne Kunst vor einem unverständigen Publikum zu retten, indem er sie mäzenatisch förderte. Er schrieb sich selbst in einem äußerst verquasten und an vielen Stellen unverständlichen Briefstil in dieser Mission eine Messias-Rolle zu, in der er die zeitgenössische Kunst zu der immer wieder emphatisch aufgerufenen „solution“ führen wollte, einer „Lösung“, von der Bruyas wahrscheinlich selbst nicht genau wusste, was damit gemeint war. Courbet sollte in diesen freimaurerischen Geheimbund einbezogen werden, dessen Mission nur dessen beiden einzigen Mitgliedern einsichtig war.

Berühmt dafür, unbekannte Maler bekannt gemacht zu haben: Gedenktafel für Alfred Bruyas an seinem Geburtshaus in Montpellier
Berühmt dafür, unbekannte Maler bekannt gemacht zu haben: Gedenktafel für Alfred Bruyas an seinem Geburtshaus in MontpellierWikimedia Commons / CC0 1.0 DEED

Die Anbahnung der Patronagebeziehung zwischen Courbet und Bruyas scheint, wie so häufig, über ein Bild erfolgt zu sein: 1853 kaufte Bruyas Courbets „Badende“, in denen er eine modernisierte Variante der christlichen Verkündigung oder des noli me tangere erkannt haben mag, die ihn vom Sujet her ansprach. Aber auch das Scheitern dieser Beziehung ist auf ein Gemälde zurückzuführen: In seiner „Rencontre“ von 1854 stellt Courbet das Zusammentreffen von Künstler und Auftraggeber als einen Moment forcierter künstlerischer Autonomiedemonstration dar.

Der Maler biedert sich den messianischen Hirngespinsten seines künftigen Auftraggebers nicht an. Vielmehr verleiht er sich das Image eines frei wie ein Vogel umherschweifenden Handwerkers auf der Walz, der alles, was er für die Ausübung seiner Profession benötigt, mit sich führt und sich nicht mit unnötigem Besitz belastet. Damit wird zugleich der Geld-Besitz von Bruyat als bedeutungslos deklassiert. Die Begegnung findet zwischen Courbet rechts, seinem Mäzen Bruyas und dessen Diener Calas sowie dem Hund von Bruyas links statt.

Warum zieht er überhaupt den Hut?

Drei grundverschiedene Herr-Diener-Verhältnisse sind hier kontrastiv dargestellt: erstens der tierische Diener, der Hund, der seinem Herrn folgt und ihn auf freiem Feld auch ohne Befehl beschützt; zweitens der eigentliche Knecht, der verschämt zu Boden blickt, weil er dem Herrscher im Reich der Kunst nicht in die Augen schauen darf; und schließlich drittens der dienende, Aufträge ausführende Künstler, der hier aber so gar nichts Dienerhaftes, vielmehr etwas Herrisches im Auftreten hat, was selbst den Mäzen Bruyas dazu bringt, seine Augen zu Boden zu senken, um sich dem arrogant-abschätzigen Blick des Malers zu entziehen. Fast erstaunlich, dass Courbet es überhaupt für nötig befunden hat, seinen (bürgerlichen) Hut (nicht etwa die Malermütze) abzunehmen.

Der Künstler kommt von rechts nach links, das Terrain beanspruchend, ins Bild. Er verkörpert die Zukunft, die hier auf die Vergangenheit trifft, die erstarrt und bewegungslos dasteht. Er bringt sich in die pole position, indem er den ersten Schritt macht. Das Zusammentreffen im Bild vollzieht sich nicht im Hause des Mäzens in der Stadt, sondern im Modus der klassischen frühneuzeitlichen Herrscherbegegnung auf neutralem Terrain, wo keiner der beiden Potentaten einen territorialen Standortvorteil hat. Im Niemandsland findet die Begegnung statt, an einem Ort, den man auch als Duellplatz wählen könnte. Die Konditionen der sich anbahnenden Patronagebeziehung sind erst noch auszuhandeln.

Der Maler zwingt den Mäzen, sein städtisches Refugium, das ihn gleichermaßen vor der Natur und dem Realismus abschirmt, zu verlassen, um dem Künstler seine Reverenz zu erweisen. Dieser moderne Wanderarbeiter, der im Besitz der Produktionsmittel ist, braucht weder die Akademie mit ihren überholten ästhetischen Idealen noch die Anerkennung oder Förderung durch Preis­verleihungen seitens des akkreditierten Ausstellungsbetriebs.

Der größte Fehler eines Auftraggebers

Vor Courbets Besuch in Montpellier hatte Bruyas versucht, ihn in die Rolle des servilen Künstlers zu drängen, der bis ins Letzte den Wünschen des Auftraggebers nachkommt. In einem Brief vom 17. April 1854 lud Bruyas Courbet, den er im Jahr zuvor in Paris kennengelernt hatte, nach Montpellier ein, sozusagen als artist in residence. Diesem Einladungsschreiben legte er vier Fotografien nach Bildern aus seiner Sammlung bei, darunter Octave Tassaerts „L’Atelier du peintre“ von 1853, in dem in der Verkehrung der Rollen der Auftraggeber den zentralen Platz vor der Leinwand eingenommen hat und dem Maler dessen Bildidee erläutert, also die Deutungshoheit über das in Auftrag gegebene Werk beansprucht.

Bruyas schrieb auffordernd, Courbet möge doch ein ähnliches Bildthema ins Auge fassen. Damit beging er den größten Fehler, den der Auftraggeber in einer Patronagebeziehung machen kann, nämlich den Künstler bei seiner autonomen Arbeit zu behindern, indem er ihn zum Ideenillustrator des Mäzens degradiert und ihm seine Sujets diktiert.

Courbets Malerkollege Charles-Marie de Sarcus, der als Karikaturist den Künstlernamen Quillenbois führte, parodierte „La Recontre“ unter dem Titel „L’adoration de M. Courbet, imitation réaliste de l’adoration des mages“ (L’Illustration, 21. Juli 1855, Ausschnitt).
Courbets Malerkollege Charles-Marie de Sarcus, der als Karikaturist den Künstlernamen Quillenbois führte, parodierte „La Recontre“ unter dem Titel „L’adoration de M. Courbet, imitation réaliste de l’adoration des mages“ (L’Illustration, 21. Juli 1855, Ausschnitt).Musée Fabre

Courbets Konter in der „Rencontre“ ließ nicht lange auf sich warten: Während der Künstler hier dem neuen Abenteuer selbstbewusst, fast hochfahrend entge­gentritt, bekommen Bruyas und sein Diener eine Körperhaltung verpasst, welche dasselbe wie die in Bittbriefen übliche Formel „Votre humble serviteur“ auszudrücken scheint. Dieser Künstler ist nicht bereit, sich dem inhaltlichen Diktat seitens des Auftraggebers willfährig zu fügen. Dass Bruyas die Botschaft von Courbets Gegen-Bild nicht verborgen blieb, kann man einem Brief vom 30. August 1855 entnehmen. Darin reagiert er auf Courbets Schilderung seiner angeblich triumphalen Erfolge bei der Weltausstellung von 1855, auf der insbesondere „Bonjour, Monsieur Courbet!“ Furore beim Publikum gemacht habe. Das war der Alternativ­titel, den das Pariser Publikum und die Presse dem Bild verliehen hatten, die Überhebung des Künstlers über seinen Mäzen genau registrierend.

Der Geist der Gleichheit

Bruyas hatte Courbets „Pavillon du réalisme“ auf der Weltausstellung finanziert und die Courbet-Bilder aus seiner Sammlung dafür zur Verfügung gestellt. Der durch den Affront der „Rencontre“ in seiner Ehre gekränkte Mäzen fühlte sich jetzt aus diesem Gemeinschaftsunternehmen ausgeschlossen: „Ruhm für Sie, lieber Freund, der Sie uns für die Freiheit opfern. Sie werden mich während Ihres Erfolgs entschuldigen, wenn ich aus gewissen Rücksichten nicht zu Ihnen kommen kann.“ Und dann kommt der Wink mit dem Zaunpfahl, mit dem der Auftraggeber den unbotmäßigen Künstler wieder in die ihm gebührende Rolle des Dieners zurückdrängen wollte: „A bon serviteur bon maître! Wir haben den Geist der Gleichheit von allen zweifelhaften Elementen befreit.“

Die „Begegnung“ ist neben vielem anderen auch ein ästhetisches Programmbild, das sich offensiv gegen die höchsten Ideale der Akademie, nämlich „vérité“ (Wahrheit) und „vraisemblance“ (Wahrscheinlichkeit), richtet. Der Realist kann es sich leisten, mit Hilfe seines Bildes den künftigen Mäzen sozusagen zu seinem Glück zu zwingen, indem er ihm seinerseits die vom Künstler erwünschte Rolle im Bild zuschreibt beziehungsweise zumalt. Denn unwahrscheinlicher geht es nun wirklich nicht mehr: Wieso sollte der Bürger aus Montpellier weit vor den Toren der Stadt mit Hund und Diener spazieren gehen? Und wieso sollte ihm ausgerechnet an diesem unwahrscheinlichsten aller utopischen Un-Orte zufällig Courbet begegnen, wenn dieser doch faktisch mit der Eisenbahn angereist war?

Es ist in höchstem Maße unwahrscheinlich, so kann man paraphrasieren, was Courbet dem Mäzen zu verstehen geben wollte, dass es in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine solche ideale Patronagebeziehung, wie sie in der Renaissance möglich war, noch geben könnte – aber, so Courbets Pointe: Wir beide sind dazu auserwählt, das Unwahrscheinlichste Realität werden zu lassen.

Permanent marginal wie der „Ewige Jude“

In diesem Kontext bekommt auch Linda Nochlins Vergleich des Künstlers mit dem „Ewigen Juden“ in einem Aufsatz von 1967 eine neue Bedeutung. Denn in der Szene auf einem Bilderbogen aus Épinal, die Nochlin als spiegelverkehrtes Vorbild für Courbets „Rencontre“ benennt, sind es ja Stadtbürger, die dem durch das ländliche Frankreich vagierenden Juif errant vor den Toren der Stadt begegnen und sich mit ihm austauschen. Bei Courbets Begegnung im – von der Stadt aus gesehen – marginalen Raum findet hingegen keine Kommunikation statt, nicht einmal durch Blickkontakt.

In der fast isokephalen Aufreihung der drei Personen ragt der Kopf des Malers minimal über die anderen beiden hinaus. Kein Wunder, schließlich hat er das Bild gemalt und damit die Rollenzuweisungen in der Hand, wie Stephanie Marchal 2012 in ihrer Untersuchung „Gustave Courbet in seinen Selbstdarstellungen“ herausgearbeitet hat: „vermittels des bewussten Hinwegsetzens über die Regeln der Perspektive stellt Courbet die bestehende Ordnung in Frage“. In der hier gezeigten neuen Sozialordnung steht der Künstler über dem Finanzier seiner Werke, weil er qua Geistesaristokrat der einzig würdige Erbe des Ancien Régime ist. Zugleich – und in paradoxer Volte – ist das Bild in seiner Rollenzuschreibung revolutionär: Es stellt eine (sozial) „verkehrte Welt“ dar, in welcher der Entrepreneur, als der Courbet sich immer wieder stilisierte, als „self-made man“ den sozialen Aufstieg aus eigenen Mitteln schafft.

Klaus Herding schrieb in diesem Sinne 1975 im „Städel-Jahrbuch“: „Courbets Aussage im Begegnungsbild lautet, dass der Weg zur Gleichberechtigung in einer Konkurrenzgesellschaft über die Aufbietung eines übermäßigen individuellen Autoritätsanspruchs führen kann oder muss.“ Der Maler ersetzt die alte Ordnung durch eine neue, egalitäre Sozialbeziehung, die sich allein durch Leistung begründet.

Assimilierung an Napoleon III.

Der Auftraggeber wird in eine als überholt markierte aristokratische Rolle gedrängt, die unter neuen Vorzeichen nur noch dem Künstler zusteht. Bruyas war Anhänger des von Courbet gehassten Zweiten Kaiserreichs, und sein Bart lässt sich mit Ting Chang als sichtbare Assimilierung an Napoleon III. verstehen. In der „Rencontre“ bildet Courbets vektorartig-energetisch-potenter Bart den hochgradig präsenten Gegenpol zur Perpetuierung aristokratischer Verhaltensmuster. Bruyas trägt einen Jagdrock und bringt seinen Diener-Vasallen, der seinen roten Mantel tragen muss, sowie seinen Hund zu den Verhandlungen mit. Courbet kommt ohne Sekundanten und Assistenten; Bruyas verstößt in Courbets Sicht der Dinge gegen die Spielregeln der Aushandlung einer Patronagebeziehung, die sich in der Auseinandersetzung von Mann gegen Mann vollzieht.

Der Mensch und das Meer, ebenfalls 1854 für Bruyas gemalt
Der Mensch und das Meer, ebenfalls 1854 für Bruyas gemaltMusée Fabre

Während Courbets erstem Montpellier-Aufenthalt 1854 versuchten Künstler und Auftraggeber noch, den Schein einer auf Reziprozität der Abhängigkeiten basierenden, gelungenen Patronagebeziehung aufrechtzuerhalten. So gestand Courbet Bruyas gnädig das Auftragsmonopol für seine dortige Bildproduktion zu. Am Ende dieses Aufenthalts steht dann eine Landschaft, genauer ein Seestück, das Courbet für Bruyas malt. Es ist nicht zu entscheiden, ob es sich bei der kleinen Rückenfigur auf dem Felsen am Meer um Bruyas handelt oder ob Courbet hier ein Selbstporträt produziert hat. Vielleicht soll das auch gerade in der Schwebe bleiben.

Verlockend wäre es, dieses Bild als Abschiedsbild des auto­nomen Künstlers zu interpretieren, welcher der Vergangenheit mit ihrer gescheiterten Patronagebeziehung den Rücken zukehrt und zu neuen Horizonten aufbricht – in eine Zukunft, die er bereits deutlich enthusiastischer als in der „Rencontre“ mit seinem Hut begrüßt. Man könnte dem so interpretierten Bild den (fiktiven) Titel „Adieu, Monsieur ­Bruyas!“ verleihen – und eben nicht „Au Revoir“.