Wert, Schrift und Bild :
Meinungsfreiheit für Unis?

Von Klaus Ferdinand Gärditz
Lesezeit: 3 Min.
Der Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht an der Humboldt-Universität lieferte den Fall, mit dem sich das Berliner Verwaltungsgericht zu beschäftigen hatte.
Kommt Universitäten Meinungsfreiheit zu, auf dem Umweg der Wissenschaftsfreiheit? Zur Kritik eines unbedachten Nebengedankens in einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben Meinungen und genießen Meinungsfreiheit. Wissenschaftliche Erkenntnis erfordert Deutung; Deutungsunsicherheit und Ambiguität sind un­vermeidbar. Über wissenschaftlich Rich­tiges kann man daher wissenschaftliche Meinungen haben. Diese beziehen sich aber nicht auf beliebige Aussagen, sondern auf wissenschaftliche Gründe. Das Grundgesetz unterscheidet die Gewährleistungen der Freiheit von „Wissenschaft, Forschung und Lehre“ (Artikel 5 Absatz 3 Satz 1) von der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1). Die Unterscheidung zwischen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit hat inzwischen Eingang in die Artikel 11 und 13 der EU-Grundrechtecharta gefunden.

Meinungen enthalten eine wertende Komponente im Sinne eines Dafürhaltens oder Stellungnehmens. Das ist qua­litativ voraussetzungslos und erfasst auch groben Unsinn, bis hinein in die irrlichternden Gedankenwelten von Querdenkern, Esoterikern oder Q-Anon. Nur vorsätzlich falsche Tatsachenbehauptungen sollen schon aus dem Schutzbereich fallen. Dafür unterliegen Meinungsäußerungen der Schranke der allgemeinen Ge­setze (Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz), die recht weit ist und verhältnis­mäßige Beschränkungen zulässt, solange sich diese nicht gegen spezifische Meinungen als solche richten. Der Schutz der Wissenschaftsfreiheit ist voraussetzungsvoller. Das Bundesverfassungsgericht hat unter Wissenschaft das verstanden, „was nach Inhalt und Form als ernsthafter und planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist“. Ernsthaftigkeit und Planmäßigkeit setzen ein methodengeleitetes und rationales Erkenntnisstreben voraus, das sich insoweit an plausi­blen Mindeststandards des jeweiligen Faches in der Zeit messen lassen muss. Bisweilen gehen die Dinge auch juristisch durcheinander.

Kürzlich hatte das Verwaltungsgericht Berlin über eine unbeholfene Pressemitteilung der Humboldt-Universität zu Ber­lin zu entscheiden. Die Universität meinte, sich unter Berufung auf eigene „Werte“ von Thesen einer bereits ausgeladenen Doktorandin distanzieren zu müssen, die einen Vortrag über biologische Zweigeschlechtlichkeit halten wollte. Das Gericht sprach der Universität zutreffend die Kompetenz ab, wissenschaftliche Positionen durch öffentliche Äußerungen zu diskreditieren, meinte aber, dass Universitäten „im wissenschaftlichen Kontext Meinungsfreiheit aus“ dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit zukomme (Beschluss vom 1. Dezember 2023 – 12 L 399/23). Als grundrechtsgebundene Trägerin öffentlicher Gewalt hat eine staatliche Universität indes keine Meinungsfreiheit. Sie kann lediglich durch Öffentlichkeitsarbeit ihre funktionale Integrität und ungestörte Aufgabenwahrnehmung gegen Angriffe schützen. Eine Universität kann sich zwar auf die Wissenschaftsfreiheit berufen, um ihre kollektive Autonomie ge­gen staatliche Interven­tionen zu verteidigen. Das Grundrecht ermächtigt aber Hochschulorgane nicht dazu, grundrechtlich geschützte Wissenschaft amtlich zu bewerten.

Wahrheit verletzt keine Rechte

Über das, was wissenschaftlich richtig, konsequent, überzeugend oder gehaltvoll ist, kann nur mit wissenschaftlichen Argumenten gestritten werden. Der Staat kann in den Diskurs nicht intervenieren. Die „wissenschaftlichen Wahrheiten sind keine Gegenstände der Gesetzgebung“, schrieb schon Friedrich Christoph Dahlmann, einer der Göttinger Sieben und Mitverfasser der Paulskirchenverfassung. Wissenschaftlich begründete Erkenntnis ist jedem zuzumuten, selbst wenn sie schmerzt. Wahrheit verletzt keine Rechte. Auch das ist ein Wert.

Das Verfassungsrecht zwingt zur Un­terscheidung. Es gibt Mindestanforderungen fachlicher Rationalität, unterhalb derer keine geschützte Wissenschaft mehr vorliegt. Implizit erteilt ein spezielles Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (jedenfalls für das Recht) einer radikalen, in Wohlfühlbiotopen der akademischen Boheme stilprägenden Wissenschaftsskepsis eine Absage, wonach auch wissenschaftliche Erkenntnis bloß camou­fliertes Produkt von Macht, Interessen und Meinungskampf sei. Die Verfassung setzt, insoweit allgemeiner Alltagser­fah­rung folgend, voraus, dass Wissenschaft und relative Objektivität möglich sind.

Zugleich zwingt Differenz dazu, genau hinzusehen. Jeder darf sich Forscher nennen; Institut darf auch ein Tattoo­studio heißen. Und niemand liefert bereits kraft Professorentitels nur wissenschaftliches Wissen. Herummeinen in medienöffentlichen Ledersesseln, haupt­berufliche Motivational Speeches, Frühstücksfernsehen-Science oder po­litischer Aktivismus in der Semantik luf­tiger Sozialtheorien machen noch keine Wissenschaft. Populärwissenschaft kann Teil geschützter Wissen­schafts­kom­­mu­­ni­kation sein, benötigt aber einen fach­lichen Unterbau. So ist auch der Campus kein Biertisch der Meinungsfreiheit. Die amerikanische Historikerin Joan Wallach Scott schrieb 2019 in ihrem Buch „Knowledge, Power, and Academic Freedom“: Meinungsfreiheit („free speech“) macht keine Qualitätsunterschiede, Wis­sen­schafts­freiheit („academic freedom“) schon.