Formel 1 in Japan :
„Mensch, wo kommt diese halbe Sekunde Vorsprung her?“

Von Richard Blehn, Suzuka
Lesezeit: 3 Min.
Unzufriedenheit bei Mercedes: Lewis Hamilton fährt im Qualifying nicht um die Spitzenplätze mit.
Nach dem Qualifying jammert Weltmeister Max Verstappen auf hohem Niveau. Die Konkurrenten Lewis Hamilton und Fernando Alonso sind ratlos. Und ein Mexikaner hätte beinahe die Sensation geschafft.

Drei – Vier – Fünf, das ist der ganz persönliche Abzählreim von Max Verstappen: In der Qualifikation zum Großen Preis von Japan am Sonntag (7.00 Uhr MESZ im F.A.Z.-Liveticker zur Formel 1 und bei Sky). Der Titelverteidiger fährt auf dem Suzuka International Race Circuit so, als hätte es den bitteren Ausfall im letzten Rennen nie gegeben: Zum dritten Mal in Folge steht er auf einer der anspruchsvollsten Strecken im Kalender auf der Pole-Position, zum vierten Mal hintereinander in diesem noch jungen Rennjahr, sogar zum fünften Mal saisonübergreifend.

Gesellschaft in der ersten Startreihe bekommt der Red-Bull-Pilot durch seinen Teamkollegen Sergio Perez, dem bei seiner letzten Runde in der Schlussminute lediglich 66 Tausendstel zur Sensation fehlten. „Ich dachte, es wäre möglich“, sagte der trotzdem zufrieden wirkende Mexikaner. Für ihn geht es schließlich am Jahresende um eine Vertragsverlängerung, und die wird nur Wirklichkeit, wenn er gegenüber dem – zugegeben hohen – Maßstab Verstappen nicht zu sehr abfällt.

Verstappen: „Die Strecke erfordert viel Fahrgefühl“

Dritter wurde Lando Norris mit dem McLaren, der Brite bläst zum Angriff: „Wir konnten um den Tagessieg mitkämpfen, das ist für uns ein wichtiger Schritt nach vorn.“ Melbourne-Sieger Carlos Sainz jr. im Ferrari als Vierter war mit seiner Leistung zufrieden, aber nicht mit der seines roten Dienstwagens: „Weiter nach vorn zu kommen, wäre schwierig geworden. Wir haben nicht das schnellste Auto.“

Obwohl der Vorsprung gegenüber Perez so verschwindend gering war, ist es eine neuerliche Machtdemonstration des Titelverteidigers, der sich kein bisschen vom Trubel innerhalb der Rennstall- und Konzernspitze nervös machen lässt. Er scheint allem Ärger einfach davonzufahren, und macht sich damit im Wortsinn unangreifbar. Dank seines optimal abgestimmten RB 20 kann er mit sich selbst um die Wette fahren, selbst von außen lässt sich das ungeheure Tempo erkennen – durch die Spoon-Kurve, in der weit über 5G an Fliehkräften wirken, flog er mit 200 km/h. Auf Kosten der Selbstkritik geht die fortgesetzte Überlegenheit offenbar nicht. „Am Ende ist es nochmal eng geworden. Du willst immer die perfekte Runde fahren, aber es funktioniert nicht immer alles, wenn man ans Limit geht. Die Strecke erfordert viel Fahrgefühl“, sagte der Niederländer. Das ist Jammern auf hohem Niveau, denn Fahrer wie Fahrzeug harmonieren optimal.

Die beiden anderen Champions im Feld wirkten beinahe ratlos angesichts der lockeren Art und Weise, mit der die Nummer Eins auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke ihnen enteilte. „Mensch, wo kommt diese halbe Sekunde Vorsprung her?“, stöhnte Lewis Hamilton, der im Mercedes nur Siebter wurde. Fernando Alonso, mit dem Aston Martin immerhin Fünfter, fragte seinen Ingenieur über Bordfunk beinahe entnervt: „Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, um schneller zu fahren. Ich dachte eigentlich, ich hätte eine gute Runde hingelegt.“ Red-Bull-Teamchef Christian Horner könnte seinen Gratulationsspruch ins Cockpit auch vom Band abspielen lassen: „Gut gemacht, Position Eins, guter Job.“

Der Silberpfeil bleibt weiterhin eine technische Wundertüte. Als „unerfreulich“ bezeichnet Teamchef Toto Wolff die Samstagsvorstellung, die Plätze sieben und neun seien zum „wegwerfen“. Immerhin kann der Österreicher nach technischen Änderungen in der Fahrzeugabstimmung eine leichte Tendenz zum Besseren erkennen. Vor dem Sky-Mikrofon analysierte er: „Das hat den Abstand, den wir im letzten Jahr hier hatten, halbiert und uns näher herangebracht an die Spitze und an McLaren. Nur ein Zehntel besser und wir wären in der zweiten Reihe gelandet. Aber ich möchte nichts schönrechnen.“

Sein Ferrari-Kollege Fred Vasseur schaute nach einer durchwachsenen Mannschaftsleistung schon aufs Rennen. Der Franzose hat eine einleuchtende Erklärung für die Plätze vier und acht: „Wir haben ein paar kleine Fehler gemacht. Red Bull hat keine Fehler gemacht. Das ist ihr großer Vorteil.“ Die Arbeit seiner Scuderia hingegen sei nicht gut genug gewesen. Zu mehr Aggressivität auf den 53 Runden rät er nur bedingt, denn der Grenzbereich auf der liegenden Asphalt-Acht ist gefährlicher als anderswo. Er schwörte lieber auf die beim letzten Rennen so erfolgreiche Taktik: „Wir sollten besser nur auf uns selbst gucken.“

Wie ein Tagessieger wurde der Japaner Yuki Tsunoda vom einheimischen Publikum bejubelt, der mit seinem Racing-Bull-Honda als Zehnter den Sprung in die Top-Ten-Qualifikation schaffte. Im Gegensatz zum Emmericher Nico Hülkenberg, der auf dem zwölften Rang den Sprung in die Endrunde verpasste, auch wenn es knapp war.