Handball-Nationalspieler :
Juri Knorr zieht es raus aus der Grauzone

Von Frank Heike, Hamburg
Lesezeit: 3 Min.
Spielmacher vor dem Abflug: Juri Knorr
Warum sich die Wege von Juri Knorr und den Rhein-Neckar Löwen trennen – vielleicht schon in diesem Sommer. Viele Argumente sprechen für einen Wechsel nach Aalborg.

Wie schnell es ging für Juri Knorr. Im ersten Jahr bei den Rhein-Neckar Löwen war Kult-Spielmacher Andy Schmid sein Lehrmeister. Als der Schweizer seine große Bundesliga-Karriere beendete, war der Weg frei für Knorr – in der Saison 2022/23 übernahm er zusehends die Verantwortung und führte die ambitionierten Mannheimer mit seinem Mut zum Pokalsieg im April vor einem Jahr.

Handball-Bundesliga

Was wie ein ziemlich guter Beginn für einen inzwischen 23-Jährigen klingt – und auch war –, ging aus Sicht aller Beteiligten leider nicht besonders gut weiter: Anstatt sich nach oben zu bewegen, wie Trainer Sebastian Hinze und Geschäftsführerin Jennifer Kettemann es geplant und gefordert hatten, rutschten die Löwen mit Knorr in Richtung Mittelfeld weg. Verletzungen zentraler Figuren, Ausdauer-Probleme im Spielverlauf, daraus resultierend hohe Niederlagen: „Uns fehlen Stabilität und Widerstandsfähigkeit“, sagt Kettemann.

Und Knorr? Der schien zunehmend unglücklich dort, wo er zum Gesicht eines Klubs werden sollte und einen Vertrag bis Ende Juni 2026 unterschrieben hat. Zuletzt schaute Knorr auf dem Spielfeld nach links und rechts, sah nichts besonders Vielversprechendes und warf dann selbst, was häufig misslang.

Die Löwen sackten als Pokalsieger in die Grauzone ab und spielen aktuell eine Saison mit Höhen und Tiefen. Bei den Niederlagen gegen den SC Magdeburg (24:34, 24:38) oder den Pleiten gegen Flensburg (26:35) und die Füchse Berlin (28:36) waren sie kaum wettbewerbsfähig. Nur in der European League bewahren die Mannheimer ihre Titelchance.

Viele Argumente für Aalborg

Nun wird es eventuell noch ein viertes Jahr Knorrs in den Farben der Löwen geben. Doch wie jetzt bekannt wurde, wird der Spielmacher der Nationalmannschaft das Löwen-Trikot ausziehen und spätestens zum 1. Juli 2025 den Verein wechseln – höchstwahrscheinlich geht er zu Aalborg Haandbold, dem Klub, der vom 1. Juli dieses Jahres an vom ehemaligen Flensburger Coach Maik Machulla betreut wird und bei dem Mikkel Hansen aufhört, so dass ein wichtiger Kaderplatz frei wird. Eine Ausstiegsklausel Knorrs ohne Ablösesumme macht Knorrs Abgang möglich.

Weniger Aufmerksamkeit, mehr Fokus auf das Kerngeschäft, bessere sportliche Aussichten und näher dran an der Familie in Bad Schwartau: aus Sicht Knorrs gibt es viele Argumente pro Aalborg.

Juri Knorr kann mit der Bilanz der Rhein-Neckar-Löwen nicht zufrieden sein.
Juri Knorr kann mit der Bilanz der Rhein-Neckar-Löwen nicht zufrieden sein.dpa

Ob es ihn schon früher, also diesen Sommer, Richtung Norden zieht, könnte auch mit drängenden Sorgen zu tun haben. Am Dienstag sprach Kettemann von „Täuschungen und unwahren Darstellungen“ in den Büchern der Rhein-Neckar Löwen: „Wir haben erhebliche Unregelmäßigkeiten feststellen müssen.“ Anlass zur Sorge gebe es nicht. Aber: „Wir werden in allen Bereichen sparen müssen.“

Offenbar waren Gelder aus Sponsorenvereinbarungen verbucht worden, die es nicht oder nicht in ausreichender Höhe gegeben hatte. Kettemann erläutert: „Wir haben personelle Konsequenzen ziehen müssen und sind dabei, die Vorkommnisse möglichst schnell und umfassend aufzuarbeiten. Wir haben das Team Finanzen und Vertrieb neu aufgestellt, um alles dafür zu tun, dass sich solche Dinge nicht wiederholen können.“ Einen Zusammenhang zwischen dem Finanzloch und Knorrs Abgang gebe es nicht – doch würde man ein Angebot aus Nordjütland für einen früheren Wechsel nach Aalborg sicher gut prüfen. Im Raum stehen 500.000 Euro, sollte er die Dänen schon vom 1. Juli 2024 an verstärken.

Knorr beteuert, er werde die kommende Serie in Gelb und Blau spielen. Dann könnte es erfolgreicher werden: In Tim Nothdurft (Bergischer HC), Sebastian Heymann (FA Göppingen) und Ivan Martimovic (MT Melsungen) kommen drei vielversprechende Neue. Besonders auf Martinovic darf man gespannt sein – sowohl im kroatischen Nationaltrikot als auch für die MT spielt der Linkshänder seit Monaten stark.

Gensheimer wird Sportchef

Um das Ziel nicht weiter zu gefährden, von 2027 an wieder um den Bundesliga-Titel mitzuspielen, haben die Löwen das Team ums Team verbreitert. Nach der Degradierung Oliver Roggischs vom Kaderverantwortlichen zum Sportkoordinator kümmerten sich zuletzt Trainer Hinze, Roggisch und Kettemann um Einkäufe. Das klappte leidlich. Neuer Sportchef wird deswegen Uwe Gensheimer. Vom ehemaligen Kapitän der DHB-Auswahl verspricht sich Kettemann viel. Gensheimer hatte seine aktive Karriere im Winter beendet; andere Kernspieler wie Patrick Groetzki, Olle Forsell Schefvert und Halil Jaganjac fehlten monatelang. „Diese Ausfälle konnten wir nicht kompensieren“, sagt Kettemann.

Zwar gab es Lichtblicke aus dem Nachwuchs, denn einige Akteure mit Geburtsjahren in den 2000ern rückten auf. Doch die Integration der Junglöwen reichte nicht, um nach Platz fünf in der Vorsaison weiter oben anzuklopfen: Gerade bei Kraft und Cleverness ließen die Löwen zu wünschen übrig. Der von Hinze eingeführte Tempohandball geriet angesichts der Ausfälle ins Straucheln.

Nun fängt der Meister von 2016 und 2017 ohne die Führungsfigur Juri Knorr von vorn an – ob erst 2025 oder schon in sechs Wochen, wird die nächste spannende Frage bei den Rhein-Neckar Löwen sein.