Spektakel am Polarkreis

Nicht jedes Rentier ist ein Renntier

Von SEBASTIAN BALZTER (Text) und FRANK RÖTH (Fotos)
11. April 2024 · Wer die mächtigen Bewohner von Skandinaviens Wäldern bloß für süße Winterstatisten hält, liegt völlig falsch. Beim Porocup am Polarkreis in Finnland zeigen sie, welche Kämpfernaturen in ihnen stecken.

Am Ende hat es Sämpylä allen gezeigt. Dabei hatten ihn die Buchmacher am Abend vor dem Finale bloß unter „ferner liefen“ notiert. Auch die vermeintlichen Kenner, die zum Rentierhalterball in die Bar „Zum Bären“ gekommen waren, wollten immer nur von den jungen Flitzern reden, deren große Stunde nun gekommen sei. Selbst Hanna Mikkola, die an diesem Wochenende mit Sämpylä an den Start ging und schon deshalb vorbehaltlos an ihn hätte glauben müssen, zweifelte am Champion der vorvergangenen Saison. Er hatte im Vorlauf unkonzentriert und schwerfällig gewirkt, als ob seine beste Zeit vorbei sei. Er sei kastriert, sagte Mikkola danach mit einem mitleidigen Blick. Vielleicht sei das ein Nachteil gegenüber den heißblütigen Bullen im Feld. Von wegen. Als es darauf ankam in Luosto, dem finnischen Nest knapp 70 Kilometer nördlich vom Polarkreis, bei Sonnenschein und sechs Grad Frost, war Sämpylä der Schnellste.

Fahrerin Hanna Mikkola, Weltrekordhalterin und Siegerin von Luosto, im Wald bei den Rentieren

„Sämpylä!“, donnerte beim Zieleinlauf die Stimme des Rennbahnkommentators aus den Lautsprechern. „Sämpylä“, schwärmten im Birkenwald am Ende der Rennbahn die beiden Eigentümer, zwei Kanthölzer von Männern, als sie den Triumphator an seinen Baum anleinten und er seinen Durst mit glitzerndem Pulverschnee löschen durfte. Fast wurden ihnen die Augen wässrig, bevor sie zum Siegertreppchen schritten, um den Pokal und 1000 Euro Siegprämie entgegenzunehmen. „Sämpylä“, säuselte in den 18-Uhr-Nachrichten sogar der Nachrichtensprecher im Radio.

Rentierrennen sind in Lappland eine große Sache. Und dass Sämpylä mit Hanna Mikkola das Rennen von Luosto allen Besserwissern zum Trotz doch noch gewann, war die Sensation des Tages. Auch wenn der Großsponsor des Rennens, ein Futterhersteller, auf dessen Spezialmischung sich Sämpyläs knorrige Eigentümer partout nicht hatten einlassen wollen, einen anderen Sieger wohl noch sensationeller gefunden hätte.

Beim Porocup im finnischen Ort Luosto entscheiden mitunter Hundertstelsekunden über Sieg und Niederlage.

Luosto ist im Winter, der so weit im Norden bis Ende April dauert, ein schneesicheres Reiseziel. Man kommt hierher zum Eisfischen, zum Hundeschlittenfahren, zur Nordlichtsafari. Als Sehenswürdigkeit wird ein stillgelegtes Amethystbergwerk angepriesen. Es gibt einen kleinen Supermarkt mit Briefkasten, zwei Souvenirläden mit Wollmützen, Lakritz und Saunaöl, es gibt ein paar Restaurants und zwei Hotels, eins davon mit der Bar „Zum Bären“ im Keller, und einen Berg mit Skilift und blauen Pisten. Trubel, Rummel, Remmidemmi gibt es in Luosto nicht. Außer, es ist Porocup.

Der Porocup ist die Rennserie der finnischen Rentierhalter, „Poro“ heißt auf Deutsch „Rentier“. Der Porocup ist zugleich so etwas wie die Weltmeisterschaft in dieser arktischen Wintersportart. Es werden zwar auch in Schweden und in Norwegen Rennen nach ähnlichen Regeln abgehalten, aber nirgends ist die Konkurrenz so groß wie in Finnland.

Wer nie ein Rentierrennen gesehen hat, mag die Angelegenheit für Folklore halten oder für halblegal, wie Hahnenkämpfe. Wer dabei war, weiß es besser. Das Wettgeschäft etwa ist im durchorganisierten Norden fest in staatlicher Hand, und ein Hinterstübchen für krumme Dinger war nicht einmal spätnachts in der Bar „Zum Bären“ aufzuspüren. Bei den Rennen gilt ein strenges Reglement. Die Jockeys müssen mindestens 60 Kilo wiegen, sonst werden ihnen Gewichte angeschnallt. Auf den Helmen sind Kameras installiert, strittige Szenen werden von einem Videoschiedsgericht geklärt. Stichprobenartig werden Blutproben zur Dopingkontrolle genommen – von den Tieren, nicht von den Jockeys. Der übliche Weihnachtsmannkitsch zeigt Rentiere als federnde Märchenwesen, die mit mächtigem Geweih und hellen Glöckchen ihren Schlitten über den Himmel ziehen. In Rovaniemi, der Hauptstadt von Lappland, genügt dieses Klischee für florierende Geschäfte, dort bringen Laiendarsteller in „Santa Claus“-Kostümen und besonders gutmütige Rentiere mit flauschigem Fell die Touristen zur Verzückung.

Auf den Helmen sind Kameras installiert.

Auf der Rennbahn sind andere Qualitäten gefragt. Die Tiere haben der Jahreszeit gemäß ihre Geweihe abgeworfen. Für das Rennen wird ihnen ein Geschirr mit zwei Zügeln angelegt, einer zum Lenken, soweit sie sich lenken lassen, einer zum Festhalten für die Jockeys. Diese sitzen nicht auf dem Rücken, sondern stehen seitlich versetzt auf Ski dahinter und lassen sich in geduckter Haltung über die Bahn ziehen. Ein Trabrennen auf Ski, wenn die Sache nicht im Rentiergalopp vonstattenginge, mit Spitzengeschwindigkeiten von 45 Kilometern pro Stunde und mehr. Das verlangt den Jockeys höchste Körperbeherrschung ab, zumal sie nicht allein, sondern zu fünft oder sechst nebeneinander starten, was die Bahn verteufelt eng macht.

Das wäre Sämpylä und Hanna Mikkola im Vorlauf am Samstagnachmittag fast zum Verhängnis geworden. Schon nach ein paar Hundert Metern trat er im Gedrängel auf ihren rechten Ski, sodass sie ihn verlor. Andere hätten geflucht und aufgegeben. Mikkola nicht. Sie ist 44 Jahre alt, eine gestandene Krankenschwester, und zählt im Nebenberuf zu den erfahrensten Rentierjockeys der Welt. Eingeweihte erzählen sich bis heute von ihrem größten Sieg, 2012 in Yli-Ii, als sie das Rennen in der Fabelzeit von einer Minute und 13,01 Sekunden gewann. Das ist der seither unerreichte Weltrekord über die klassische Ein-Kilometer-Distanz. Jetzt aber war sie kurzfristig eingesprungen für eine Konkurrentin, die in dieser Saison sonst mit Sämpylä angetreten war, bis sie in einem Rennen übel stürzte und sich verletzte, was beiden auch noch die Schmach einer Disqualifikation einbrachte.

Vielleicht war Sämpylä in dem vergurkten Vorlauf schlicht noch nicht an die Ersatzfrau Mikkola gewöhnt. Sie ließ sich von seinem Fehltritt indes nicht abschütteln, sondern hielt sich bis ins Ziel auf dem linken Ski. Eine haarsträubende Zirkusnummer. Die Zeit reichte gerade so für die nächste Runde. Die 36 Besten kommen weiter. Sämpylä kam auf Platz 33. Sechs Hundertstelsekunden langsamer, und es wäre aus gewesen.

Die Jockeys stehen seitlich versetzt auf Ski und lassen sich in geduckter Haltung über die Bahn ziehen.

Als die Zitterpartie überstanden war, tätschelten hinten im Birkenwald die beiden Besitzer ihrem Rentier die bebenden Flanken. Im Laderaum ihres Lieferwagens hatten sie Sämpylä vor dem Rennwochenende aus ihrem Dorf herkutschiert. Drei Stunden hatte die Fahrt gedauert, immer nach Norden. Sämpylä war die Schaukelei und den mit Sägespänen ausgelegten Boden gewohnt. Vor zwei Jahren war er beim Porocup der große Star gewesen, seither schien es bergab zu gehen mit ihm. Schau ihn dir an, sagten die beiden Besitzer jetzt, was für ein Prachtkerl. Nicht jedes Rentier ist ein Renntier, das versteht sich ja von selbst, aber dieses hier: Die breiten Schultern! Der lange Rücken! Der hohe Widerrist! Acht Jahre alt. Da schwinden anderen die Kräfte, räumten sie ein, aber Sämpylä habe gewiss noch zwei gute Jahre vor sich.

Rentiere warten im Birkenhain auf ihren Einsatz.

Der Birkenhain ist das Schmuckstück von Luosto, so sagen es alle Rentierhalter. Genug Bäume für jedes der 140 gemeldeten Tiere und unter dem Schnee ein Waldboden. Viel besser als in weniger idyllischen Anlagen, in denen es zum Anleinen bloß behelfsmäßig ins Eis überfrorener Seen geschlagene Pfähle gibt und die Tiere zwischen den Läufen schutzlos Wind und Wetter ausgeliefert sind.

Ehrenamtliche Helfer haben das Wäldchen eingezäunt, damit es nun als das Porocup-Fahrerlager dienen kann. Vierzehn Tage vor dem Rennwochenende haben sie mit den Vorbereitungen begonnen. Unten im Tal haben sie mit ihren Motorschlitten die Rennbahn in Form gebracht. Ein lang gezogenes U mit zwei Geraden und einer weiten Kurve, 1000 Meter vom Start bis zum Ziel. Die Außenseiten haben sie mit Zäunen abgesteckt, die Innenseiten mit Zweigen. Der Schnee ist zu Wällen zusammengeschoben worden, um dem Gelände seine Struktur zu geben. Auf der Zielseite der Parkplatz für die Lieferwagen der Rentierhalter; auf der Startseite ein kleiner Marktplatz für die Zuschauer. Aus einem knallgelben Anhänger werden saure und süße Schnüre in Dutzenden von Geschmacksrichtungen verkauft. Vor einem großen grauen Wohnmobil gibt es Felle und Fäustlinge gegen die arktische Kälte. In einem grünen Zelt werden Speisen und Getränke feilgeboten. Heißer Blaubeersaft und Rentiergeschnetzeltes mit Kartoffelbrei sind eine sichere Wahl. Als Dessert gibt es Pfannkuchen mit Moltebeeren.

Organisationschef Asko Autio packt die Pokale für die Siegerehrung aus.
Strittige Szenen werden von einem Videoschiedsgericht geklärt.

Die Helfer hatten viel zu tun. Die Startboxen für Rentiere und Jockeys galt es aufzubauen und im Ziel die Zeitmessanlage, zwei Dixi-Klos mussten aufgestellt werden, das Lassowerfen für die Kinder war vorzubereiten, und an den beiden Fahnenstangen hinter dem Siegerpodest hatte man die Flaggen Finnlands und der samischen Urbevölkerung zu hissen. Der Organisationschef Asko Autio, ein Mann mit Rotfuchspelzkappe und Walrossbart, von Beruf Rentierhalter und Rentiermetzger, wird später zufrieden Bilanz ziehen: 60 Helfer waren auf den Beinen, exakt 1176 Eintrittskarten haben sie verkauft, viel mehr als erwartet, bei gerade mal 150 Einwohnern.

Seine prächtige Laune will der Organisationschef sich nicht davon trüben lassen, dass die größte finnische Tierschutzorganisation Rentierrennen am liebsten abgeschafft sähe. Wo immer der Mensch mit Tieren zusammenlebe, hält er dagegen, würden solche Wettbewerbe veranstaltet, und das sei schon immer so gewesen, ein kulturelles Erbe. Die Tierschützer überzeugt das Argument nicht. Aus ihrer Zentrale in Helsinki lassen sie allerdings wissen, dass es für sie derzeit Wichtigeres zu tun gebe, als gegen den Porocup zu demonstrieren.

So konnte, wenige Stunden nach Hanna Mikkolas akrobatischer Einlage auf der Rennbahn, auch der Rentierhalterball in der Bar „Zum Bären“ seinen Lauf nehmen. Die Tiere hatten sich längst neben ihre Birken gelegt und schliefen. Die meisten Jockeys waren auch schon im Bett. Von denen, die sich für die Finalläufe am Sonntag qualifiziert hatten, war nur noch einer auf den Beinen, und das sollte sich für ihn noch rächen.

Nach dem Rennen: Rentierhalterball in der Bar „Zum Bären“

Auf der Bühne spielte ein Trio mit Gitarre, Schlagzeug und Akkordeon zum Schwof auf. Finnischer Tango, finnischer Walzer, finnischer Discofox. Wie eine Lichtgestalt drehte sich auf der Tanzfläche ein ganz in Weiß gekleideter Tänzer. Er trug in der Hitze der Nacht einen Schneeanzug und Fellstiefel, seine lockigen schwarzen Haare klebten verschwitzt unter einer Schiebermütze. Er sei eigens für den Ball zwei Stunden mit seinem Lieferwagen gefahren, erzählte er in einer Tanzpause. Der Aufwand lohne sich, sagte er. Sein Blick blitzte verschwörerisch. „Ich bin jetzt 70 Jahre alt. Aber ich habe ein schneeweißes Rentier dabei. Und dafür tun die Frauen alles.“

Sonntagmittag. Der Rennbahnsprecher rattert die Namen der Halbfinalisten herunter. Er erläutert die Regeln auch auf Englisch, der Porocup ist ja keine Provinzveranstaltung: sechs Läufe, die sechs Besten kommen ins Finale. Er stellt den Touristen im Publikum auch die startenden Tiere vor: „very fast reindeer“ allesamt. Der Bürgermeister der Großgemeinde spricht ein Grußwort, es macht sich Festtagsstimmung breit. Zwei Kinder spielen in Rentierverkleidung Fangen. Manche Besucher haben sich Campingstühle und Thermosflaschen mitgebracht. Nützlicher sind Ferngläser, um das Geschehen in der Kurve und auf der Gegengerade mitverfolgen zu können. Das Zielfoto, das auf einem garagengroßen Bildschirm angezeigt wird, ist auch ohne Hilfsmittel gut zu sehen. In manchen Rennen entscheiden Tausendstelsekunden. Die Nasenspitze zählt.

Luosto ist ein schneesicheres Reiseziel. Man kommt hierher zum Eisfischen, zum Hundeschlittenfahren, zur Nordlichtsafari.

Im letzten Halbfinallauf treten Sämpylä und Hanna Mikkola, der Haudegen und die Weltrekordhalterin, gegen ihre beiden ärgsten Widersacher unter den Jockeys an. Der Perfektionist im Feld, ernst und einsilbig, hat seinen Kleinbus mit Equipment gleich neben dem Wohnwagen der Rennleitung abgestellt, Pole Position. Und den Youngster der Szene, 15 Jahre alt, haben die Lokalzeitungen gerade groß herausgebracht. Er kommt aus der Provinzhauptstadt, sein schwarzer Polarparka ist über und über mit Sponsorennamen bedruckt, der schwarze Helm und die schwarze Skibrille lassen ihn aussehen wie einen Fürsten der Finsternis.

Im Vergleich dazu wirkt Hanna Mikkola in ihrem roten Renndress harmlos. Drei Paar Slalomski hat sie mitgebracht und nebeneinander vor sich in den Schnee gelegt. Die Kanten sind rund geschliffen, um die Verletzungsgefahr zu verringern. Sonst keine Spezialeffekte. Mikkola hat kein Team dabei, ihr einziger Helfer an der Rennbahn ist ihr Ehemann. Der Parka, den sie zwischen den Rennen überzieht, trägt keinen Werbeaufdruck.

Dafür ist sie die Erste, die an der Startbox ihren Platz einnimmt und ihre Ski anschnallt. Sobald alle Jockeys da sind, werden die Tiere aus ihrem Birkenhain geholt. Je nach Temperament sind zwei, drei oder vier kräftige Männer nötig, um sie zu bändigen. Manche versuchen auszureißen. Ob aus Furcht oder aus Vorfreude auf das Rennen, ist schwer zu entscheiden. Wenn Rentiere auf irgendetwas überhaupt keine Lust hätten, versichert eine Rentierhalterin ohne jeden Porocup-Bezug, ließen sie sich keinen Millimeter bewegen. Dagegen seien Esel die reinsten Flexibilitätsbündel.

Schließlich stehen alle sechs Finalisten in ihren Boxen. Die Jockeys daneben, mit den Zügeln in ihren Händen. „Yksi, kaksi, aja“ – eins, zwei, los! Die Boxentüren schwingen auf. Sämpylä verpasst wieder den Start, muss auf der Außenbahn in die Kurve gehen. Erst auf der Zielgeraden kommt er in Schwung, als hätte er einen Elektromotor zugeschaltet, und überholt einen Konkurrenten nach dem anderen. „Luosto speed!“, ruft der Rennbahnsprecher.

Lassowerfen für die Kinder
Belohnung für die Rentiere

Es gibt etwa 200.000 Rentiere in Finnland. Sie sind nicht zahm wie Rinder, auch nicht wild wie Rehe. Im Sommer suchen sie sich ihr Futter frei in den Wäldern und im Hochland, fressen Moos und Flechten, Beeren und Pilze. Im Herbst werden sie zusammengetrieben und anhand ihrer Ohrmarken wieder ihren Besitzern zugeteilt, die sie mit Heu und Futterpellets über den Winter bringen.

Als Renntiere taugen nur die Männchen. Weibchen ziehen keine Skifahrer hinter sich her. Ob aus Schwäche oder aus Klugheit, das wird bei Fachveranstaltungen wie dem Rentierhalterball in der Bar „Zum Bären“ gerne diskutiert, je später, desto eifriger. Unter den Männchen wiederum sind auch nur wenige gleichermaßen willig und begabt genug für die Rennbahn. Die meisten anderen landen schon als Kälbchen beim Metzger, weil für die Reproduktion ein paar wenige potente Bullen genügen. Das Fleisch ist die Haupteinnahmequelle der Halter, der Porocup ist die Kür. Der Metzger zahlt 400 Euro für ein Bullenkalb, ein Renn-Champion kann das Zehnfache kosten.

Zwei oder drei Winter braucht es, um die Tiere an das Geschirr und an die Bahn zu gewöhnen. In der Saison bekommen sie von Dezember an kein Heu mehr, sondern nur noch Pellets, damit sie kein Fett ansetzen. Zum Training scheucht man sie einen Hügel hoch, lässt sie an der Leine neben dem Motorschlitten herlaufen, dreht mit ihnen Runden auf einer Privatbahn. Ein ernstes Geschäft, auch wenn nicht jeder dabei verbissen ans Werk geht, was sich schon an den Namen der gemeldeten Tiere zeigt. Eins heißt Bäh, ein anderes Räikkönen wie der finnische Formel-1-Pilot; auch Pompom, Huhu und Cha-cha-cha sind dabei. Sämpylä heißt auf Finnisch übrigens „Brötchen“. Aber das hat nichts zu sagen. Er wurde nach einem erfolgreichen finnischen Trabrennpferd benannt.

Und vielleicht war es doch nicht so, dass er sich erst an Hanna Mikkola gewöhnen musste. Vielleicht ist er, wie man es von den Besten in vielen Disziplinen sagt, in Luosto einfach nur stets genauso schnell gerannt, wie es nötig war.

Vor dem Finale jedenfalls bäumt er sich in der Startbox auf, stößt mit dem Kopf gegen die Tür, als könne er es nicht erwarten. So geladen war er vor keinem der vorhergehenden Läufe. Diesmal ist er von Anfang an hellwach. Egal, dass ihm die Außenbahn zugelost wurde. Das Sechserfeld dünnt sich schnell aus. Der feierfreudige Jockey aus der Bar „Zum Bären“ kollidiert kurz nach dem Start mit einem Wettbewerber, beide scheiden aus. Der Youngster und der Perfektionist sind aber noch dabei. Der Sprecher gibt am Mikrofon alles. Englische Übersetzungen sind nicht mehr nötig. „Very fast reindeer“, das weiß jetzt sowieso schon jeder. Nach 1000 Metern liegen zwei Hundertstelsekunden zwischen der ersten und der vierten Rentiernasenspitze.

Die Reihenfolge ist durchs Fernglas nicht zu erkennen. Hanna Mikkola wartet mit ihrem Jubel trotzdem nicht auf das Zielfoto. Sie hat genug Rennen hinter sich, um zu wissen, wie sich ein Porocup-Sieg anfühlt. Im Ziel lässt sie die Zügel los und reißt die Arme hoch. War doch klar, dass Sämpylä es am Ende allen zeigen würde.

Informationen

Die Porocup-Rennen werden jedes Jahr von Februar bis April ausgetragen. Eine Eintrittskarte kostet 10 Euro. Die Daten für die Saison 2025 werden voraussichtlich im Sommer vom Rennverband auf der Homepage www.porokilpailijat.fi veröffentlicht. Luosto liegt nördlich vom Polarkreis in Lappland, es gibt eine Busverbindung zum Flughafen in Rovaniemi. Nach Rovaniemi kommt man von Helsinki aus auch mit dem Nachtzug. Eine Übernachtung im „Lapland Hotel Luostotunturi“ kostet für zwei Personen im Doppelzimmer mit Frühstück etwa 150 Euro www.laplandhotels.com. Weitere Informationen gibt es unter www.visitfinland.com.