Tag der deutschen Einheit :
Merkel erinnert an die DDR

Von Eckart Lohse, Berlin
Lesezeit: 3 Min.
Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Juni 2022 im Berliner Ensemble
Oft meldet sich die Altkanzlerin nicht mehr zu Wort. In einer Dokumentation spricht sie nun über die erste Hälfte ihres Lebens. Und plädiert für Vielfalt in der Gesellschaft.

Zum Tag der deutschen Einheit pflegen am 3. Oktober die Spitzen der Verfassungsorgane zu sprechen: Bundespräsident, Bundeskanzler, Bundesratspräsident. Man wechselt sich ab. Angela Merkel (CDU) gehört seit knapp zwei Jahren nicht mehr in diesen Kreis. Da sie aber offenkundig nicht gewillt ist, den anderen die Interpretationshoheit über die Lage des vereinigten Deutschlands zu überlassen, hat die ansonsten mit öffentlichen Äußerungen sparsame Altkanzlerin schon vor dem 3. Oktober dem ZDF ein Interview gegeben. Kurz und knackig.

Weil auf dieses schon Tage vorher hingewiesen wurde und aus dem für Journalisten zugänglichen Gespräch ausführlich zitiert wurde, hat Merkel gute Chancen, mindestens so sehr wahrgenommen zu werden wie die Festredner des 3. Oktober. Vermutlich noch mehr.

Spätestens seit dem Einheitsfeiertag vor zwei Jahren wissen die Deutschen, wie sehr die einstige Kanzlerin sich über ihrer Vergangenheit in der DDR definiert, wie prägend diese für sie ist. Erstaunlich ist das nicht, denn Merkel war 35 Jahre alt, als die Mauer fiel, erst im nächsten Jahr wird sie 70. Lässt man die ganz frühe Kindheit in Hamburg weg, hat sie also etwa die Hälfte ihres Lebens in der DDR verbracht. Da hört man es nicht gerne, wenn diese Zeit als „Ballast“ bezeichnet wird, wie es auch noch in einem Buch der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung geschehen war. Am 3. Oktober 2021, auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft, hatte sie sich darüber bitter beklagt.

„Ich plädiere immer für Vielfalt“

Nun, zwei Jahre später, kam Merkel im ZDF wieder darauf zu sprechen. Als sie damals das Wort „Ballast“ gelesen habe, sei das wie ein „kleiner Schlag in die Magengrube“ gewesen. Sie habe es erst gar nicht glauben können, sagte Merkel dem Interviewer. Sie habe sich „entkernt“ gefühlt. „Ich war einfach baff. Da muss man erstmal drauf kommen.“

Merkel hat sich über das Ende der DDR als Staat und als System immer gefreut. Aber sie verteidigt das „persönliche Leben“ dort. Man habe Freunde gehabt, habe gefeiert, sei mit den Eltern in den Urlaub gefahren, sagte sie jetzt. Wie man aus der Freiheit Erkenntnisse gewinnen könne, so sei das auch möglich mit der Abwesenheit von Freiheit.

Gefragt, warum sie sich erst ganz zum Ende ihrer Kanzlerschaft so deutlich zu diesem Thema geäußert habe, machte Merkel klar, dass sie nicht als Kanzlerin der Ostdeutschen habe wahrgenommen werden wollen, sondern als Kanzlerin aller Deutschen. Sie habe vieles mit sich selbst ausgemacht. Dann, als sie sich vor zwei Jahren öffentlich geäußert hatte, habe sie erstaunt festgestellt, wie viele Menschen das als etwas erkannt hätten, das sie auch angehe.

Schon in ihrer Rede in Halle hatte Merkel vor zwei Jahren beklagt, dass Menschen ihrer Generation und Herkunft aus der DDR „die Zugehörigkeit zu unserem wiedervereinigten Land auch nach drei Jahrzehnten deutscher Einheit gleichsam immer wieder neu beweisen müssten“. Als sei das Leben in der DDR „eine Art Zumutung“ gewesen.

Zwei Jahre später bezog sie jetzt in diese Wahrnehmung auch Menschen mit Migrationshintergrund ein. Eine solche Erfahrung verbinde diejenigen, die eine Minderheitenbiografie hätten. In den vorigen Jahren seien viele Menschen nach Deutschland gekommen, die „dauerhaft in unserem Land leben und noch nicht immer hier gelebt haben“ sagte Merkel. Sie mit aufzunehmen sei eine neue Aufgabe. „Deutschland umfasst alle“, äußerte die für ihre Flüchtlingspolitik in den Jahren seit 2015 vielfach kritisierte Kanzlerin. „Ich plädiere immer für Vielfalt.“

Umfrage unter Ostdeutschen

Das Interview mit der Altkanzlerin wird in einer Dokumentation ausgestrahlt, die sich mit dem Zusammenwachsen Deutschlands befasst. Dazu wurde auch eine Umfrage des Politbarometers erstellt. Ob der Vorwurf berechtigt sei, dass Ostdeutsche immer noch wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden, wird gefragt. Im Westen haben das 20 Prozent der befragten Personen bejaht, 73 von Hundert verneinten. Im Osten fand die Hälfte der Befragten, dass das so sei und 48 Prozent bestritten es.

Nur von Ostdeutschen wollte das Politbarometer wissen, wie sie die politischen Verhältnisse heute im vereinten Deutschland bewerteten im Vergleich zu denjenigen in der DDR. Gut die Hälfte, 57 Prozent, äußerten die Auffassung, die Verhältnisse seien besser. 19 von 100 Befragten sahen keinen Unterschied, 13 nannten sie schlechter und elf äußerten keine Meinung. Befragt wurden auch Bürger, die nach der Wende geboren wurde.