Steinmeier in der Türkei :
60 Kilo Dönerfleisch im Gepäck

Von Friederike Böge, Istanbul
Lesezeit: 4 Min.
„Deutsches Nationalgericht“:Bundespräsident Steinemeier serviert mit dem Berliner Gastronomen Arif Keles einen Döner.
Bei seinem ersten Türkeibesuch als Bundespräsident würdigt Steinmeier türkische Einwanderer. Propalästinensische Demonstranten werfen Deutschland vor, es würde sich am Morden im Gazastreifen beteiligen.

Eigentlich wollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am ersten Tag seiner dreitägigen Türkeireise nur positive Botschaften zum komplizierten deutsch-türkischen Verhältnis senden. Doch als er am Montag gemeinsam mit dem Istanbuler Bürgermeister auf den Bahnsteig des historischen Sirkeci-Bahnhofs trat, riefen ihm propalästinensische Demonstranten „Mörder Deutschland“ und „Kollaborateur Deutschland“ entgegen. Auch wenn es nur einige Dutzend Demonstranten waren, die rasch von der Polizei umringt wurden, erinnerte die Szene doch daran, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei alles andere als unbelastet sind. Das gilt insbesondere für die Positionen zum Gazakrieg und zum Massaker der Hamas in Israel.

Vom Sirkeci-Bahnhof brachen in den Sechzigerjahren Hunderttausende Türken als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland auf. „An diesem Bahnhof hier begannen viele Geschichten“, sagte der Bundespräsident. Von dort Die Züge fuhren direkt nach München. Es sei ein „ Aufbruch ins Unbekannte“ gewesen. „Am Ende dieser Reise ins Ungewisse warteten erst einmal Heimweh, Entbehrung und Anstrengung.“ Steinmeier würdigte die Lebensleistung der ersten türkischen Einwanderergeneration. Die fast drei Millionen türkischstämmigen Menschen, die heute in Deutschland leben, „haben unser Land mit aufgebaut“, sagte er. „Sie sind nicht Menschen mit Migrationshintergrund – Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund.“

Über die Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis sagte er zu Beginn seiner ersten Türkeireise als Bundespräsident kein Wort. Lieber sprach er von lange Zurückliegendem, etwa davon, dass der frühere Oberbürgermeister von Berlin Ernst Reuter einst Schutz vor den Nationalsozialisten in der Türkei gefunden hatte. Auch über die aktuelle Lage in dem Land schwieg er. Trotzdem sendete Steinmeier eine Botschaft im Sirkeci-Bahnhof, wo ihn der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu empfing. Mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan trifft er erst am Mittwoch zusammen.

Steinmeier trifft erst die Opposition, dann den Präsidenten

Das wäre nicht bemerkenswert, wäre Imamoğlu nicht der neue Hoffnungsträger der türkischen Opposition. Vor drei Wochen hat seine Republikanische Volkspartei (CHP) in den Kommunalwahlen zum ersten Mal überhaupt mehr Stimmen erhalten als die Regierungspartei von Präsident Erdoğan. In Oppositionskreisen ist schon von einem historischen Wendepunkt die Rede. Imamoğlu wird etwas verfrüht als aussichtsreicher Kandidat für die Präsidentenwahl 2028 gehandelt. Zu diesem Thema wollte Imamoğlu sich am Montag nicht äußern. Er sprach lieber über die Mitglieder seiner Familie, die von Sirkeci aus noch Deutschland emigrierten.

Imamoğlu ist nicht der einzige Oppositionspolitiker in Steinmeiers Besuchsprogramm. In der Hauptstadt trifft er am Mittwoch den CHP-Vorsitzenden Özgür Özel und den Bürgermeistermeister von Ankara, Mansur Yavaş, der mit 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde. Ob Steinmeiers Besuch wohl den demokratischen Wandel in der Türkei befördern könne, fragt sich die regierungskritische Nachrichtenwebsite „Gazete Duvar“. Die Gespräche fänden in einer Lage statt, „in der die Hoffnung auf Veränderung blüht“.

Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu konzentrierte sich indes auf die Wirtschaftsbeziehungen. Sie äußerte die Hoffnung, dass Steinmeiers Besuch in der vom Erdbeben betroffenen Stadt Gaziantep am Dienstag deutschen Investitionen für eine „grüne Stadtentwicklung“ den Weg ebnen möge. In Gaziantep regiert Bürgermeisterin Fatma Şahin von Erdoğans AKP. Viel mehr als die Zentralregierung gilt sie als verlässliche Partnerin bei deutschen und europäischen Hilfsprojekten für Erdbebenopfer und syrische Flüchtlinge.

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Wiederholt er Gaucks Kritik?

Am Mittwoch wird Steinmeier das erste westliche Staatsoberhaupt sein, das der türkischen Präsidenten seit den Kommunalwahlen empfängt. Es gilt als denkbar, dass seine Wahlniederlage ihn auch zu einer Neujustierung seiner Außenpolitik bewegt, vor allem um neue Investitionen einzuwerben. Deshalb wird mit Spannung darauf geschaut, welche Signale er im Gespräch mit Steinmeier sendet.

Die beiden Politiker kennen sich schon lange, auch aus Steinmeiers Zeit als Außenminister. Erdoğan sprach am Freitag von einer langen „Freundschaft“. Man kann aber davon ausgehen, dass sie nicht nur Freundlichkeiten austauschen. Vor allem Erdoğans Unterstützung der Hamas, deren Chef Ismail Hanija er am Wochenende empfing, ist aus deutscher Sicht unerträglich. Umgekehrt trifft die deutsche Unterstützung für Israel in der Türkei parteiübergreifend auf Unverständnis.

Vor fast genau zehn Jahren sprach Steinmeiers Amtsvorgänger Joachim Gauck die „Gefährdung der Demokratie“ bei seinem Besuch in der Türkei offen an. Erdoğan warf ihm daraufhin „Einmischung in innere Angelegenheiten“ vor. Seit damals hat sich die Aushöhlung der Demokratie und die Politisierung der Justiz erheblich verschärft, vor allem nach dem gescheiterten Putschversuch von 2016.

In den Vorberichten der meisten türkischen Medien lag der Fokus allerdings anderswo: Sie konzentrierten sich auf den Berliner Dönerladenbesitzer Arif Keleş, der mit 60 Kilogramm schockgefrorenem Dönerfleisch als Delegationsmitglied in der Präsidentenmaschine anreiste. Das Fleisch soll als „deutsches Nationalgericht“ zum Empfang des Bundespräsidenten am Montagabend in der Kulturakademie Tarabya serviert werden.