Spionagevorwürfe gegen Syrer :
Ein Flüchtlingshelfer im Visier des türkischen Geheimdienstes

Von Friederike Böge, Ankara
Lesezeit: 3 Min.
Der angebliche Spion hat sich für Migranten im griechisch-türkischen und syrisch-türkischen Grenzgebiet eingesetzt.
In Istanbul sitzt ein syrischer Menschenrechtler in Haft. Die Türkei wirft ihm vor, für Frankreich spioniert zu haben – und Falschinformationen über die Lage von Flüchtlingen gestreut zu haben.

Am 27. November vergangenen Jahres verschwand ein syrischer Menschenrechtsaktivist mitten in Istanbul. Zwei Wochen später wurde sein Anwalt von den Sicherheitsbehörden informiert, dass Ahmed Katie wegen Spionageverdachts festgenommen worden sei. Nun hat die regierungsnahe Boulevard-Zeitung „Sabah“ enthüllt, was ihm vorgeworfen wird: Spionage für Frankreich.

Es ist eine wilde Geschichte, die einiges über die Methoden der türkischen Sicherheitsbehörden im Umgang mit Menschenrechtsaktivisten erzählt. Die „Sabah“ schreibt unter Berufung auf Regierungsquellen, die türkische Spionageabwehr habe eine Zelle des französischen Auslandsnachrichtendienstes DGSE „enttarnt“. Katie sei ihr Anführer gewesen. Die DGSE habe ihm als Gegenleistung für militärische und politische Informationen Asyl in Frankreich angeboten. Ziel sei außerdem gewesen, Falschinformationen über die Lage syrischer Flüchtlinge in der Türkei zu streuen, um die türkische Regierung in Europa zu diskreditieren.

Unter anderem soll Katie der Türkei in Medieninterviews illegale Pushbacks gegen Flüchtlinge an der Grenze zu Griechenland vorgeworfen haben. Ebenso Folter in Abschiebeeinrichtungen und ein tödliches Vorgehen gegen Flüchtlinge an der Grenze zu Syrien. Die staatlichen türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtet außerdem, Katie habe falsche Dokumente für Syrer besorgt. In beiden Berichten heißt es, Katie habe seine Anweisungen von einer Pariser Hilfsorganisation erhalten, die sich für notleidende Syrer einsetzt. Sie werde angeblich vom französischen Geheimdienst kontrolliert.

Bot Rechtsberatung für Flüchtlinge an

Schon im Oktober hatte Katie über merkwürdige Geschehnisse berichtet. In einem inzwischen gelöschten Youtube-Video hatte er von einem Treffen mit drei Personen erzählt, die sich als Mitarbeiter türkischer Sicherheitsbehörden vorgestellt hätten. Sie hätten ihn gezwungen, eine SIM-Karte auf seinen Namen zu kaufen und die Karte an sie zu übergeben. Kurz danach gab der syrische Aktivist auf Facebook bekannt, dass er seine Menschenrechtsarbeit einstelle und nicht mehr für syrische Oppositionsmedien berichten werde. Laut einem Bericht der Website „Middle East Eye“ wandte er sich an die Istanbuler Staatsanwaltschaft, um zu Protokoll zu geben, dass er nur zwei SIM-Karten besitze und keine weitere verwende.

Katie hatte 2022 in Istanbul eine Organisation gegründet, die Rechtsberatung für Flüchtlinge anbietet. Nach mehreren Jahren Haft in Syrien war der Kritiker des syrischen Diktators Baschar al-Assad 2013 nach Istanbul gekommen. Damals war er in der Türkei willkommen. Assad galt auch dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan als Feind. Inzwischen bemüht die Türkei sich um eine Annäherung, vor allem um eine Rückkehr der syrischen Flüchtlinge zu forcieren.

Laut einem Bericht der Zeitung „Le Monde“ von Dezember machte Katie sich vor seiner Festnahme zunehmend Sorgen um seine Sicherheit in der Türkei. Er bemühte sich demnach beim französischen Konsulat um eine Einreisegenehmigung, um in Frankreich politisches Asyl zu beantragen. Das Konsulat habe ihm die dafür nötigen Papiere auf der Basis einer Sonderregelung ausgestellt.

Ein Arbeitskollege des Aktivisten sagte der „Le Monde“, die gleichen drei selbsterklärten Sicherheitsbeamten, die ihm die SIM-Karte abgepresst hätten, hätten ihn noch einmal zu sich zitiert. An jenem Novembertag im vergangenen Jahr, an dem er verschwand. In regierungsnahen türkischen Medien wird über den Fall im gleichen Atemzug berichtet wie über die Festnahme mutmaßlicher Spione für China und Iran.